Das Ziel hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vorgegeben: In „Tesla-Geschwindigkeit“, sagte der Wirtschaftsminister damals, müsse die Bundesrepublik jetzt Stromleitungen, LNG-Terminals und Anlagen für erneuerbare Energien bauen, um unabhängig zu werden von Energielieferungen aus Russland.
Der Grünen-Politiker bezog sich auf das Tempo, mit der der Autohersteller in Brandenburg eine Fabrik hochgezogen hatte. Doch man kann das Bild auch auf die Geschwindigkeit der Autos beziehen: Gefordert war eine Kehrtwende in voller Fahrt. Schließlich fuhr Deutschland jahrelang in die Gegenrichtung.
Gut ein halbes Jahr später kann man festhalten: Die Bundesregierung hat es bisher geschafft, den Crash zu verhindern, und ist unterwegs in Richtung Unabhängigkeit von Russland. Und das, obwohl Russland noch vor Kurzem bei allen fossilen Energieträgern ein wichtiger Lieferant war. Steinkohle etwa, die in Deutschland nicht mehr abgebaut wird, kam zu Beginn des Jahres noch zur Hälfte aus Russland. Wenige Monate später waren es bereits nur noch acht Prozent, seit Mitte August greift das EU-Embargo gegen Kohle aus Russland, bestellt wird jetzt in anderen Ländern.
Ähnlich sieht es beim Öl aus: Schon im Juli meldete die Bundesregierung, dass bis auf Rosnefts Betriebe die Raffinerien in Deutschland in der Lage seien, ihren Rohölbedarf bis zum Jahresende ohne Lieferungen aus Russland zu decken. Zuvor hatte russisches Öl 35 Prozent der Importe ausgemacht. Mit der Entscheidung, Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung zu stellen, ist der Weg frei, jetzt auch in Brandenburg die Verträge umzustellen – rechtzeitig zum Ende des Jahres, wenn das Ölembargo der EU greifen soll.
Am schwierigsten ist die Aufgabe bei Erdgas. 55 Prozent des enormen deutschen Verbrauchs wurden Anfang 2022 noch über russische Pipelines gedeckt. Inzwischen kommt über Nord Stream 1 nichts mehr an. Und die schwimmenden LNG-Terminals, die gerade in halsbrecherischem Tempo aufgestellt werden, sollen so schnell fertig sein, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer vollständigen Unabhängigkeit von russischem Gas zum Ende des nächsten Jahres rechnet.
Genug, um jetzt die Füße hochzulegen, ist all das nicht. Dass im Winter Gas fehlt, kann nicht ausgeschlossen werden. Und ob die Raffinerie in Schwedt ausgelastet bleibt, ist auch offen. Und trotzdem muss man festhalten, wie viel sich in kurzer Zeit bewegt hat: Mit einer erheblichen Kraftanstrengung in den vergangenen Monaten ist es tatsächlich gelungen, die Abhängigkeiten von Russland an vielen Stellen drastisch zu senken oder gar zu beenden. Möglich war das, weil Bund, Länder, Wirtschaft und andere konzentriert zusammengearbeitet haben. Das ist eine gute Nachricht. Aber es ist ein schwieriger Weg, ein teurer und einer, der zu vermeiden gewesen wäre, hätte man rechtzeitig auf Warnungen gehört, etwa aus vielen europäischen Partnerländern.
Die letzten Monate müssen deshalb unbedingt auch eine Mahnung sein, sich nie wieder auf einem zentralen Feld so angreifbar zu machen. Anfangen könnte man zum Beispiel bei der Photovoltaik. Bei der Herstellung von Solarpanels liegt der Marktanteil Chinas bei mehr als 80 Prozent – Deutschland spielt dabei derzeit keine Rolle.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Crash verhindert
Theresa Martus sieht bei der Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen bereits viel erreicht