Mannheim. Forschung, Lehre und Therapie unter einem Dach – damit beschritt das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) vor 50 Jahren neue Wege. Das Konzept hat sich bewährt. Die Pioniereinrichtung war zugleich Politikum. Und damit Antwort auf die noch Anfang der 1970er „unzumutbare“ psychiatrische Krankenversorgung, wie die beiden ZI-Wegbereiter Heinz Häfner und Hans Martini in ihrem Buch über die Gründungsgeschichte betonten. Nicht zu vergessen: Massentötungen psychisch Kranker während des Nationalsozialismus hatten zu einer tiefen, Jahrzehnte nachwirkenden wie lähmenden Vertrauenskrise geführt. Dass Empfehlungen einer überfälligen Psychiatrie-Enquete mit Planungen fürs ZI zusammenfielen, war kein Zufall. Im Gegenteil.
Nicht von ungefähr erklärte Reformer Caspar Kulenkampff beim Eröffnungsfestakt, dass „die allerorts in Bewegung geratene Psychiatrie erwartungsvoll nach Mannheim blickt“. Das Modellinstitut sollte die Erwartungen mehr als erfüllen.
Wohl kaum ein medizinisches Fach dürfte sich derart gewandelt haben. Vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Als das mitten in der Quadratestadt residierende ZI 1975 begann, Kranke aufzunehmen, schaltete es eine Textanzeige: „Sie sind weder verrückt noch hysterisch. Sie haben keinen Schaum vor dem Mund und beißen keine kleinen Kinder.“ Solch eine heute eher schräge Aufklärung wäre wohl nicht mehr nötig. Und dennoch haben Menschen mit seelischen Erkrankungen immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen.
Wunderbar wäre, wenn das ZI beim Sechzigsten auf den Durchbruch neuer, sowohl effektiver wie nebenwirkungsarmer, Medikamente blicken könnte.
Das ZI gilt als Leuchtturm der Wissenschaft – in Kooperation mit der Weltgesundheitsorganisation. Auch wenn Spitzenforschung den Weg für bestmögliche Behandlungskonzepte ebnet, so nützt dies Menschen wenig, wenn sie in Krisen keinen Therapieplatz finden. Und deshalb ist Teil der Erfolgsgeschichte, dass Vollversorgung für die Stadtbevölkerung erreicht wurde und Kranke in akuter Not nicht mehr nach Wiesloch überwiesen werden müssen.
Zu einem runden Geburtstag gehören Zukunftswünsche. Wunderbar wäre, wenn das ZI beim Sechzigsten auf den Durchbruch neuer, sowohl effektiver wie nebenwirkungsarmer, Medikamente blicken könnte. Und wenn gelänge, massiv ins Leben eingreifende Krankheiten wie Schizophrenien und auch das folgenschwere Vergessen schon beim Anpirschen zu erkennen und damit leichter zu behandeln, vielleicht sogar auszubremsen sind. Visionen mögen das ZI auch weiterhin beflügeln!
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar 50 Jahre ZI in Mannheim: Pioniermodell mit Visionen
Waltraud Kirsch-Mayer hat das ZI von Anbeginn journalistisch begleitet. Neben der Pionierarbeit war die Vollversorgung für die Stadtbevölkerung Teil seiner Erfolgsgeschichte, kommentiert sie zum runden Geburtstag.