Debatte

Wie verändert autonomes Bezahlen den Handel, Herr Beij?

Wenn die KI shoppen geht: Beim Agentic Commerce übernehmen KI-Agenten den Kaufprozess – von der Recherche bis zur Bezahlung. Ein Gastbeitrag.

Von 
Pascal Beij
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Ein über KI-Agenten gesteuerter Einkauf: bequem – oder gefährlich? © Getty Images/iStockphoto

Das Wichtigste in Kürze

  • KI-Agenten übernehmen den Kaufprozess autonom, was Handel und Konsum revolutioniert.
  • Nutzer sparen Zeit, aber es gibt technische und rechtliche Herausforderungen.
  • Der agentenbasierte Handel kann das Einkaufserlebnis künftig verändern - aber es gibt auch viele Unsicherheiten und Fragen.

Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub. Doch wer kennt sie nicht – die oftmals mühsame und zeitaufwendige Suche nach dem günstigsten Flug und dem besten Hotel? Was wäre, wenn genau dieser Prozess schon bald von einer Künstlichen Intelligenz vollständig übernommen werden könnte? Stellen Sie sich vor, Sie schildern nur noch Ihre Wünsche und Vorstellungen, während eine KI im Hintergrund sämtliche Optionen abgleicht, vergleicht und schließlich autonom für Sie bucht – ohne weiteres Zutun Ihrerseits.

Genau hier setzt der agentenbasierte Handel, auch „Agentic Commerce“ genannt, an. Im Gegensatz zur klassischen generativen KI übernimmt ein KI-Agent im Agentic Commerce bereits sämtliche Schritte eines Kaufprozesses. Der entscheidende Unterschied dabei ist, dass die künstliche Intelligenz nicht nur vorschlägt und unterstützt, sondern aktiv im Namen der Nutzenden handelt. Sie sucht, prüft, trifft Entscheidungen und bezahlt – völlig eigenständig.

Die Potenziale des Agentic Commerce sind weitreichend. Für die Verbraucher ergibt sich ein nie dagewesener Komfortgewinn: Sie sparen Zeit und Aufwand, weil ihnen die aufwendige Recherche abgenommen wird, und können sich anderen Dingen widmen, während die KI für sie das Beste herausholt. Dabei werden Preisvergleiche und Vertragsabschlüsse nicht nur schneller, sondern auch gezielter nach individuellen Bedürfnissen getroffen.

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Pascal Beij ist als Chief Commercial Officer (CCO) maßgeblich für die Umsetzung der Wachstumsstrategie von Unzer verantwortlich. Unzer ist ein Zahlungsunternehmen, das auch einen Sitz in Heidelberg hat.

Unter seiner Führung entwickelt Unzer ein integriertes Ökosystem, das Händler entlang der gesamten Zahlungsabwicklung unterstützt und ihre digitale Transformation fördert. Ziel ist es, einfach integrierbare Zahlungs- und Softwarelösungen bereitzustellen, die Unternehmen helfen, ihre Prozesse zu digitalisieren und auf veränderte Kundenerwartungen zu reagieren.

Bevor er zu Unzer kam, war Pascal Beij als Senior Vice President Retail für Zentraleuropa beim Zahlungsdienstleister Planet tätig. Mit mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung im Zahlungsverkehr und Handel gilt er als anerkannter Experte und Impulsgeber der Branche.

Diese Entwicklung verändert auch die Customer Journey grundlegend: Die klassischen „Momente der Wahrheit“ – also die bewusste Entscheidung des Kunden – werden von unsichtbaren Mikroentscheidungen der KI ersetzt. Dadurch wird Markenloyalität schwieriger aufrechtzuerhalten, da Agenten primär nach Preis-Leistung und Parametern entscheiden, nicht nach emotionaler Markenbindung.

Unternehmen profitieren ebenfalls. KI-Agenten greifen aktiv in die Steuerung von Lieferketten ein, überwachen Lagerstände und sorgen für optimale Beschaffung – automatisch und vorausschauend. Preise werden durch algorithmische Verhandlungen optimiert, was für beide Seiten Effizienzsteigerungen und bessere Konditionen bedeutet. Zudem entstehen ganz neue Geschäftsmodelle: So könnten beispielsweise Abo-Agenten regelmäßig wiederkehrende Einkäufe übernehmen oder spezialisierte Preisjäger-Agenten auf die Suche nach den besten Deals gehen, ohne dass der Mensch sich aktiv darum kümmern muss.

Der neue Kaufprozess: Unsichtbare Zahlungen und Dauerbetrieb

Mit KI-Agenten verändert sich der traditionelle Einkaufsprozess grundlegend. Zahlungen werden künftig aus dem Hintergrund ausgelöst – gesteuert durch die Präferenzen der Nutzer und ohne deren aktiven Zutun. Shopping wird zum automatisierten Dauerzustand: Die KI überwacht rund um die Uhr Preise, bestellt nach und reagiert in Echtzeit, oft noch bevor der Verbraucher überhaupt merkt, dass ein Angebot verfügbar oder ein Vorrat knapp wird.

Für Händler verschiebt sich der Fokus vom klassischen Marketing auf die technische Auffindbarkeit und maschinenlesbare Präsentation der eigenen Angebote. Nur Produkte, die hochwertig digitalisiert und maschinenfreundlich angeboten werden, bleiben für KI-Agenten sichtbar. Unternehmen müssen auf offene Schnittstellen und exzellente Datenqualität achten. Das bedeutet auch, dass SEO und Performance-Marketing durch „Agent Experience Optimization“ (AXO) ersetzt werden müssen – also die Optimierung von Datenstrukturen für KI-Agenten statt für menschliche Käufer.

Auch Zahlungsdienstleister stehen vor technisch erforderlichen Änderungen: Der klassische Warenkorb verschwindet, stattdessen sind performante API-Architekturen, Tokenisierung sowie schnelle, sichere Echtzeit-Transaktionen gefragt.

Herausforderungen: Rechtliche, technische und regulatorische Unsicherheiten

So viele Chancen Agentic Commerce eröffnet, so groß sind die Herausforderungen. Denn bisher ist der gesamte Zahlungs- und Handelsprozess auf den Menschen als Entscheider ausgerichtet. Bislang zielten Innovationen – von Kreditkarten über E-Wallets bis zu Mobile Payments – vorrangig darauf, Konsumenten das Bezahlen möglichst komfortabel und sicher zu machen. KI-Agenten unterbrechen das Muster: Der Mensch wird aus dem Zahlungsvorgang herausgelöst.

Das wirft viele neue Fragen auf: Wie ist sichergestellt, dass KI-Agenten tatsächlich im Auftrag und Sinne ihrer Nutzer handeln? Was passiert mit Rückbuchungen, wenn kein Mensch den Kauf ausgelöst hat? Wie viel Kontrolle haben die Nutzer – und wie viel möchten sie abgeben? Wie werden Sicherheits-Token für Agenten erzeugt und gemanagt? Und wer haftet bei Fehlern oder Missbrauch, wenn rund um die Uhr, weltweit und ohne menschliche Freigabe Transaktionen ausgeführt werden?

Auch technisch und regulatorisch besteht hoher Klärungsbedarf. Sicherheitstoken für KI-Agenten sind nicht standardisiert, klassische Betrugsprävention und Risikomodelle greifen nicht mehr. Neue, rund um die Uhr aktive Transaktionsmuster verlangen nach modernen Sicherheits- und Überwachungsansätzen. Zugleich sind viele rechtliche und regulatorische Fragen noch unbeantwortet, etwa im Hinblick auf Haftung, Verantwortlichkeiten und Compliance. Der Gesetzgeber wird gefordert sein, den Rahmen zu schaffen, in dem sich Agentic Commerce sinnvoll, sicher und im Sinne der Verbraucher entfalten kann.

Enormes Marktpotenzial: Milliarden-Transaktionen durch KI-Agenten

Wo stehen wir also heute? Das Potential von agentenbasiertem Handel ist groß. Analysten prognostizieren, dass bis zum Jahr 2029 zwischen ein und vier Prozent aller digitalen Zahlungstransaktionen durch KI-Agenten ausgeführt werden könnten. Bei einem erwarteten Gesamtvolumen von über 36 Billionen US-Dollar jährlich bedeutet selbst ein kleiner Anteil einen Markt von bis zu 1,47 Billionen US-Dollar.

Zudem könnte der Einsatz von KI künftig zu einer höheren Konversionsrate führen, da der menschliche Entscheidungsfaktor entfällt. Dadurch sinkt das Risiko, dass sich Kundinnen und Kunden während des Checkout-Prozesses doch noch umentscheiden. Das zeigt: Auch wenn der aktuelle Anteil gering erscheint, ist das Veränderungspotenzial erheblich.

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Gerade Transaktionen, die regelmäßig, vorhersehbar und standardisiert ablaufen – etwa im B2B-Bereich, bei wiederkehrenden Zahlungen, im internationalen Handel, bei Abonnements und bei Mikrozahlungen – eignen sich ideal für agentenbasierte Automatisierung. Hier können KI-Agenten schnell, eigenständig und effizient arbeiten, menschliche Interaktionen sind kaum noch nötig. Bei komplexen Einzel- oder sehr großen Transaktionen dürfte der Mensch aber weiterhin einbezogen bleiben.

Praxisbeispiele und Entwicklungen im Markt

Zwar steckt agentenbasierter Handel noch in den Anfängen, die Entwicklung schreitet aber schnell voran. Ein Beispiel: Das US-Unternehmen Perplexity, ein Anbieter generativer KI mit Commerce-Fokus, brachte im September 2024 einen KI-Agenten auf den Markt, der Bestellungen eigenständig ausführen konnte. Noch läuft nicht alles reibungslos – so benötigte der Agent für den einfacheren Kauf von Zahnpasta gleich zwei Versuche und mehrere Stunden. Solche Kinderkrankheiten zeigen: Der Weg zur flächendeckend praxistauglichen Lösung ist lang, die Richtung aber klar.

Weitere große Zahlungsdienstleister investieren in den Bereich. Visa und Mastercard kündigten Anfang 2025 neue Services rund um AI-Commerce an. Mastercard setzt auf agentenzentrierte Tokenisierung, Visa auf eine skalierbare Plattform mit Fokus auf Datenschutz und Risikomanagement.

Auch andere große Zahlungsdienstleister und Plattformanbieter treiben diese Entwicklung aktiv voran: Sie ermöglichen es kleinen Unternehmen und Entwicklern durch leicht einbindbare, KI-kompatible Schnittstellen, Prozesse rund um Zahlung, Abrechnung, Versand und Abo-Management zu automatisieren. Die Hürden zur Integration solcher Lösungen werden gezielt gesenkt, sodass auch Nicht-Programmierer den Einstieg in KI-gestützte Abläufe finden.

Fazit: Die Zukunft ist zum Greifen nah

Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz zeigt: Agentic Commerce ist keine Vision für die ferne Zukunft mehr, sondern schon heute greifbar. Um nochmal auf Perplexity zurückzukommen: Knapp sechs Monate später können US-Kunden bereits Reisen buchen, Produkte bestellen oder Tickets kaufen – die Bezahlung läuft automatisch im Hintergrund über Dienste wie PayPal oder Venmo.7 Der Grundstein für autonomen Handel ist damit gelegt.

Ob sich die Technologie flächendeckend durchsetzt, wird davon abhängen, wie bereit Nutzer sind, Kaufentscheidungen an Maschinen zu delegieren – und wie sehr sie den Systemen vertrauen. Klar ist: Agentic Commerce besitzt das Potenzial, das gesamte Einkaufserlebnis zu revolutionieren – für Verbraucher, Handel und die gesamte Finanzwelt. Unternehmen, die diese Entwicklung aktiv mitgestalten, können sich entscheidende Vorteile sichern.

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