2020 erschien meine Autobiografie „Mist, die versteht mich ja!“. Es folgten eine große Resonanz bei der Leserschaft, der Einzug auf die Spiegel-Bestseller-Liste und viele Zuschriften. Zum einen von weißen Menschen, die es nicht verstanden, dass Mitmenschen aufgrund ihrer Hautfarbe ausgegrenzt werden. Die Absenderinnen und Absender wollten wissen, was sie tun können, wenn sie rassistisches Verhalten beobachten.
Zum anderen nahmen Menschen mit Migrationsgeschichte Kontakt auf. Sie berichteten von Situationen, in denen sie diskriminiert wurden. Wiederum Dritte fragten, warum ich mit „den Weißen“ überhaupt noch reden würde. Ich erläuterte, dass Reden der Schlüssel zu einer besseren Verständigung sein könne. Das und diese Feststellung waren mir ebenfalls wichtig, bedeutet jedoch keinesfalls, dass Menschen, denen rassistisches Verhalten begegnet, die Rolle des immer netten Menschen einzunehmen haben, um das ihnen gezeigte inakzeptable Verhalten im Alltags-, Schul- oder Berufsleben wegzulächeln, sodass sie als möglichst nicht emotional „gelobt“ werden würden.
Eine andere Gruppe der Mehrheitsgesellschaft wollte nicht nachzuvollziehen, warum bestimmtes Benehmen oder Begriffe rassistisch seien. „Das habe ich als Kind doch auch immer gesagt“, war ein Versuch, das eigene Verhalten zu rechtfertigen.
Trotz dieser unterschiedlichen Beobachtungen fiel mir eine große Bereitschaft meines vornehmlich weißen Publikums auf, sich die verschiedenen Perspektiven anzuhören, über diese zu diskutieren und sie neben ihrer eigenen Meinung – zumindest ansatzweise – stehenzulassen. Gleichermaßen war es ihnen wichtig, über die Verpflichtung einer Integrationsbereitschaft von zugewanderten Menschen sprechen zu dürfen. Aus meiner Sicht eine Grundvoraussetzung für ein gelingendes Miteinander verschiedener Kulturen.
Natürlich konnte ich relativierende Erläuterungen meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner nicht stehenlassen. Dennoch versuchte ich mit jenen Menschen, die ein grundsätzlich höflich positives Menschenbild ausstrahlten, die kontroversen Gespräche auf eine Weise zu führen, die einem Perspektivwechsel eine Chance gaben. So wollte ich den Menschen die Auswirkungen von rassistisch diskriminierendem Verhalten verständlich machen.
Nein, Diskriminierung und Rassismus sind keine Wellness-Themen, über die es sich entspannt parlieren lässt. Diese Themen führen nicht selten zu Auseinandersetzungen, in den Sozialen Medien zu verbalen Entgleisungen. Es geht um Recht haben sowie das Negieren von Gefühlen und Empfindungen. Es geht um Relativierungen und Vergleiche. Zuweilen wird das empörte Lied der eigenen Unschuld angestimmt.
Dennoch – mein Publikum hatte sehr viele Fragen und erwartete Antworten. „Danke für Ihre Erklärungen“, hieß es am Ende einer Lesung. „Dass wir das N-, M- und Z-Wort nicht mehr sagen sollten, haben wir begriffen. Aber wir benötigen von Ihnen weitere Handlungsstrategien, was wir im Alltag im Umgang mit Menschen, die äußerlich vermeintlich nicht von hier sind, verändern können.“
„Wir benötigen Empowerment und Verhaltenstechniken, um stark mit Diskriminierung umgehen zu können“, sagten jene Menschen mit Migrationsgeschichte. Ich stand vor einem Dilemma! Die Zuschriften nahmen zu, die Fragen in den Veranstaltungen häuften sich. Ich konnte sie unmöglich innerhalb kürzester Zeit beantworten.
Dennoch hatte ich den Anspruch, die Menschen, die eine gesellschaftliche Offenheit signalisierten, sowie jene, die mit Situationen oftmals sehr allein dastanden, zu unterstützen. In einem Podcast sah ich die große Chance, viele Themen des Alltages ansprechen zu können, sie zu erläutern, unterschiedliche Perspektiven zu eröffnen, schlechte Gewissen zu nehmen und Kraft zu geben. Darin sollten zwei Perspektiven zu Wort kommen – die der Mehrheitsgesellschaft und die der Menschen mit Migrationsgeschichte.
Das Einnehmen der beiden Perspektiven fiel mir aufgrund meiner eigenen Biografie nicht schwer. Dennoch fragte ich mich mit der Zeit, ob es sich nicht anböte, in diesem Format mit einem Mitglied der weißen Mehrheitsgesellschaft in den Diskurs zu gehen. Gemeinsam könnten wir aufzeigen, dass ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann, ohne dabei den gegenseitigen Respekt und die Achtung vor dem anderen aus den Augen zu verlieren. Dieser Gedanke reifte und es gab eine Person, mit der ich mir einen solchen Diskurs gelingend vorstellen konnte: Marion Kuchenny.
Rassismus. Wenn dieser Begriff fällt, wird es schnell ungemütlich. Weil es ein Thema ist, das in der Regel zu heftigen gesellschaftlichen Debatten führt und bei dem man als weißer Menschen oft das Gefühl hat, eigentlich nichts richtig machen zu können. Oft enden solche Auseinandersetzungen entweder in einer verstockten Abwehrhaltung oder in einer großen Unsicherheit, wie denn nun mit dieser Problematik umgegangen werden soll. „Was darf ich eigentlich noch sagen?“ ist ein Satz, der immer wieder fällt. Ein Satz, der manchmal als Provokation gemeint sein kann, aber meist auch einfach nur der Ausdruck einer schlichten Hilflosigkeit ist.
Und wenn dann ein Fall durch die Medienlandschaft rauscht wie der einer weißen Musikerin mit Rasta-Zöpfen, die bei einem Festival von den Veranstaltern ausgeladen wird mit der Begründung, dass ihre Frisur ein Ausdruck kultureller Aneignung sei – dann läuft das Fass des öffentlichen Schlagabtauschs ganz schnell über.
Mich als Journalistin beschäftigt diese verbale Negativ-Spirale schon lange und es macht mir zunehmend Sorge, mit welcher Aggressivität wir inzwischen über Rassismus und Diskriminierung streiten. Und mit „wir“ meine ich beide Seiten. Statt einander wirklich zuzuhören und gemeinsam über Lösungen nachzudenken, drischt jeder nur noch verbal auf den anderen ein oder zieht sich beleidigt in seine „Bubble“ zurück, um sich dort von Gleichgesinnten bestätigen zu lassen, wie schrecklich und unbelehrbar die andere Seite ist.
Befeuert durch die Anonymität in der digitalen Medienwelt scheint es außerdem immer weniger moralische Barrieren zu geben, die all den ungefilterten Ausbrüchen von Wut und Hass Einhalt gebieten. „Das muss doch auch anders gehen!“ habe ich mir oft gedacht, und als Florence und ich uns am Ende eines langen Abends voneinander verabschiedeten, wurde aus diesem Gedanken plötzlich eine konkrete Idee. Mit ihrer Frage: „Lust auf einen gemeinsamen Podcast über Alltagsrassismus?“ schien der Weg plötzlich klar. Zeigen, dass man über schwierige Themen wie Rassismus und Diskriminierung reden kann, ohne in Streit zu geraten. Offen und deutlich, aber immer konstruktiv und mit dem nötigen Respekt voreinander. Und wie könnte das besser gehen, als mit einer weißen und einer Schwarzen Frau?
Beide Perspektiven – zusammengebracht in einem gemeinsamen Podcast. Ein Wagnis? Vielleicht. Aber vor allem ein großes Abenteuer. Das Feedback, das wir von unseren Podcast-Hörerinnen und -Hörern bekommen, ist jedenfalls bislang sehr ermutigend. „Ihr gebt mir mit Euren Gesprächen einen ganz neuen Blick auf dieses Thema“, „Toll, dass Ihr zeigt, dass es auch anders gehen kann.“, „Schön, dass hier wirklich beide Perspektiven abgebildet werden“. Rückmeldungen wie diese zeigen, dass es gut ist, sich in der Rassismus-Debatte auf einen neuen Weg zu machen. Einen Weg, der alle mitnimmt. Und in dem jeder den Raum und den Respekt bekommt, der ihm hilft, besser zu verstehen, worum es dem jeweils anderen geht.
Gemeinsames Fazit
„Reden und zusammen!“ Unsere Arbeit ist ein Plädoyer für Toleranz und Verständnis. Wir möchten es als Grundlage und Leitfaden verstanden wissen – für eine bessere, weil konstruktive und von Respekt getragene Kommunikation. Das ist uns ein großes Anliegen.
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