Klima- und Umweltschutz geht uns alle an. Konsequentes Handeln ist die Voraussetzung für ein gutes Leben in Zukunft. Aktivistinnen und Aktivisten tragen dazu bei, dass Klimaschutz mittlerweile als drängende Aufgabe von einer breiten Bevölkerungsmehrheit anerkannt wird. Gleichzeitig sehen wir aber, dass in den letzten Jahrzehnten beim Klimaschutz insgesamt zu wenig passiert ist und dass trotz vieler Anstrengungen und einzelner Erfolge – beispielsweise bei der Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energien – viele Umweltindikatoren, vom globalen CO2-Ausstoß über Müll und Gifte in der Umwelt bis zum Artensterben, weiterhin leider in die falsche Richtung zeigen. Lösungsvorschläge decken ein breites Spektrum ab: von der Abschaffung des Kapitalismus und radikaler Schrumpfkur für die Wirtschaft bis zum munteren „weiter so“ mit Klimatechnologien als Wachstumsturbo.
Ob die Wirtschaft wachsen oder schrumpfen soll, ist aus unserer Sicht aber die falsche Frage. Die Frage muss lauten: Wovon brauchen wir in Zukunft weniger und wovon brauchen wir mehr? Dann ist die Antwort klar: Schrumpfen soll das, was Umwelt und Soziales zerstört, und wachsen soll das, was Umwelt regeneriert und das Miteinander stärkt. Doch wie wissen wir, was zerstört und was regeneriert und wie viel Negativwirkung können wir uns bis wann maximal erlauben? Die spannendste Frage für Unternehmerinnen und Entscheider ist aber: Wie schaffen wir es, dass die regenerative, menschenfreundliche Zukunftswirtschaft schon heute auch ökonomisch erfolgreich wird?
Die Gastautoren
Katharina Beck ist finanzpolitische Sprecherin der Bundestags- fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags und Verwaltungsrätin der KfW.
Vor ihrem Wechsel in die Politik hat Beck bei Accenture Strategy DAX-Vorstände zu Nachhaltigkeit beraten, ein Unternehmen für positive Veränderungen gegründet und in NGOs gearbeitet.
Beck ist außerdem Mitgründerin von „Reinventing Society“, einem gemeinnützigen Think Tank.
Philipp Buddemeier ist Gründer und CEO der Nachhaltigkeitsberatung „Better Earth“.
Er begann seine Karriere bei der internationalen Strategieberatung Bain & Company. Seit 15 Jahren widmet er sich dem Thema Nachhaltigkeit, unter anderem arbeitete er bei Save the Children. Für Accenture Strategy baute er das Thema Circular Economy mit auf und leitete für innogy Consulting den Bereich Sustainability und Dekarbonisierung.
Das gemeinsame Buch „Green Ferry. Das Ticket ins konsequent nachhaltige Wirtschaften“ ist im Murmann Verlag erschienen.
Eine einfache Antwort wäre, dass die Politik die Rahmenbedingungen entsprechend setzen muss. Das ist konzeptionell richtig, bequem einzufordern – nur hat es bislang nicht in ausreichendem Maße funktioniert. Gerade die häufig zu beobachtende Kombination aus zum Teil unerfüllbaren Forderungen an die Politik – beispielsweise nach einem global einheitlichen CO2-Preis – in Kombination mit Beschwerden über neue bürokratische Bürden, wenn die Politik dann handelt, zeigt, dass manchmal der Ruf nach der Politik auch nur die eigene Untätigkeit und Mutlosigkeit kaschieren soll.
Die Politik bleibt weiter in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass regeneratives Wirtschaften in Zukunft auch ökonomisch erfolgreich sein kann. Bis aber die Mehrheiten für ausreichend effektive Änderungen im System erreicht sind, gibt es für mutige Unternehmerinnen und Unternehmer viel zu tun, um die Chancen der Zukunftswirtschaft schon heute zu ergreifen.
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Wir ermutigen dazu, die Transformation der Wirtschaft durch neue Entscheidungen auf drei Ebenen anzugehen: normativ, strategisch und operativ. Normativ schlagen wir vor, zwei zentrale Glaubenssätze der aktuellen Betriebswirtschaft zu ändern: „impact first“ statt „profit first“ und prosozial statt asozial. Was meinen wir damit? Wer heute ein Unternehmen nach BWL-Textbuch führt, der soll innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen alles rausholen, um seine Gewinne zu maximieren. Lohn- und Einkaufskosten drücken und beim Umweltschutz nur die Minimalanforderungen erfüllen. Der Stakeholder-Kapitalismus, der die Zielsetzung propagiert, dass alle relevanten Gruppen, also beispielsweise auch die Lieferanten- und Mitarbeiterinteressen zu berücksichtigen sind, geht darüber hinaus, aber nur ansatzweise. Perspektive und Zeithorizont erweitern sich. Beispielsweise könnten so auch Klimamaßnahmen gerechtfertigt werden, die keinen kurzfristig positiven Business-Case auf Basis der unmittelbar erfassbaren Finanzkennzahlen haben, weil die verbesserte Arbeitgeberattraktivität, die bessere Vorbereitung für zukünftige Klimaregulierung und so weiter als zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden.
„Impact first“ geht aber deutlich weiter als die Stakeholder-orientierte Ergänzung der vorherrschenden Profitmaximierungslogik und stellt die Entscheidungshierarchie auf den Kopf. Die erste und primäre Frage lautet: Leistet mein Unternehmen in Summe oder zunächst auch nur ein einzelnes neues Produkt einen positiven Beitrag zur Zukunftswirtschaft? Das heißt: Agiere ich im „safe and just space“, in dem die planetaren Grenzen und soziale Mindestanforderungen erfüllt sind? Gleichzeitig schlagen wir ein neues Menschenbild vor, das auf Vertrauen und die Produktivkraft der Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit setzt. Wer sich normativ für die Zukunftswirtschaft entscheidet, steht nun vor der nächsten Aufgabe: Wie kann diese neue Orientierung in die strategische Ausrichtung des Unternehmens übersetzt werden? Womit legen CEO und Vorstand Montagmorgen los? Wir schlagen zunächst vor, den eigenen Standort zu bestimmen und Ziele zu setzen. Dann geht es an Innovation und neue Geschäftsmodelle sowie die systematische Transformation des gegenwärtigen Produkt- und Servicesportfolios. Neue Finanzierungsquellen, neue Rechtsformen, beispielsweise die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen, neue Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette und Kommunikation runden das Strategieprogramm ab.
Wie das konkret gehen kann? Für die Standortbestimmung wird die Wirkung der eigenen Produkte und Services evaluiert, die Nachhaltigkeitsleistung entlang der Lieferkette bewertet und der organisationale Reifegrad der Organisation für die Nachhaltigkeitstransformation erhoben. Die Standortbestimmung bietet damit eine erste Orientierung und einen Priorisierungsvorschlag, um sozial-ökologische Ziele zu setzen. Grundsätzlich sollten sich die ökologischen Ziele an den planetaren Grenzen orientieren und die sozialen Ziele an den Nachhaltigkeitszielen der UN oder der Menschenrechtscharta. Organisationen wie SBTi und SBTn stellen beispielsweise kostenlos Methodiken für die Festlegung von Klima- und anderen Umweltzielen zur Verfügung.
Damit die sozial-ökologischen Ziele zu produktiver Veränderung und nicht zu Frustration und Zynismus führen, ist es wichtig, einen realistischen Transformationskorridor festzulegen. Dadurch werden die Langfristziele, beispielsweise für eine klima- und umweltpositive Lieferkette, durch greifbare Mittelfristziele – beispielsweise minus 50 Prozent CO2 und plus 80 Prozent Rezyklateinsatz bis 2030 – ergänzt.
Als weiterer erfolgskritischer Baustein der Transformation bleibt die operative Verankerung, ergänzt durch neue Entscheidungsregeln. Wer seiner Controlling-Leiterin oder seinem Einkäufer lediglich das neue Langfristziel der naturpositiven Lieferkette vorgibt, kann keine greifbaren Veränderungen erwarten. Die konkreteren Mittelfristziele helfen natürlich, aber müssen für maximale Wirksamkeit und Relevanz trotzdem je Funktion übersetzt werden.
Welchen Beitrag kann beispielsweise der Einkauf liefern, wo eignen sich Sekundärrohstoffe, wo gibt es lokal verfügbaren Naturmaterialien mit einem positiven Umwelteffekt? Und müssen Entscheidungsregeln geändert werden, damit diese Materialalternativen zum Einsatz kommen? Muss vielleicht in Zusammenarbeit mit der Entwicklung das Produkt überarbeitet werden?
Beispiele von Pionierunternehmen, von Avocadostore und ecosia bis zu WEtell, können als Inspiration dienen, aber Erfolg in Richtung Zukunftswirtschaft erfordert eigenes Nachdenken, Mut zum Experiment und Hartnäckigkeit. In der Vergangenheit hat es oft gereicht, dass Vorhandene etwas besser zu machen. Aus sozial-ökologischer Sicht war dies meist aber ein „weniger schlecht“. Wer in der Zukunftswirtschaft ankommen will, stellt eine andere Frage: Wird die Welt durch mein Produkt oder meine Dienstleistung tatsächlich besser?
Wir sind eine Welt gewohnt, in der Wirtschaftswachstum als Zielgröße gesellschaftlichen Handelns und die primäre Ausrichtung an Profitmaximierung im Rahmen der Gesetze selten hinterfragt werden. Das Gelingen der Zukunftswirtschaft erfordert eine neue Haltung in der Politik, der Wirtschaft und auch bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Haltungen verändern sich häufig unbemerkt. Bis sie anders sind. Von der Abschaffung des Sklavenhandels bis zur Einführung des Wahlrechts für Frauen.
Damit eine Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen zum Wohle aller Menschen ins Leben kommt, braucht es jede und jeden. Mutige Pioniere und Menschen mit Lust aufs Ausprobieren – auch im Kleinen – haben schon immer der Welt einen anderen Twist geben können. Die Geschichte zeigt, dass auch unmöglich scheinende Transformationen möglich sind. Und jede und jeder von uns hat das Potenzial, einen neuen Kurs einzuschlagen.
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