"MM"-Debatte

Wie geht es für die SPD nun weiter, Herr Heisterhagen?

Nach zwei schweren Niederlagen müssen sich die Sozialdemokraten radikalen Grundsatzfragen stellen. Nils Heisterhagen plädiert für eine Politik des linken Realismus. Wie diese konkret aussehen könnte, erklärt er am Beispiel Mannheim. Ein Gastbeitrag.

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Nils Heisterhagen
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Ein Wahlplakat mit dem Spitzenkandidaten der SPD Hessen Thorsten Schäfer-Gümbel und seiner Frau Annette Gümbel wird in Frankfurt abmontiert.Nach der Wahl ist vor der Wahl – doch bis dahin muss einiges passieren. © dpa/Nils Heisterhagen

Für die SPD kam die Wahl in Bayern einer erdrutschartigen Klatsche gleich. In Hessen war die Wahl zumindest bitter, wenn nicht sogar bestürzend. Die Wahlen sind nicht identisch. Vor allem die Bayern-Wahl zeigt aber das Problem der SPD.

Die Bayern-SPD hatte in ihrem Wahlkampf vor allem damit Werbung gemacht, einen neuen politischen Stil zu leben. Man wolle für „Haltung“ und für „Anstand“ stehen. Dieser Grünen-2.0-Wahlkampf führte aber nicht dazu, dass man Wähler gewann, die sich vom Stil Seehofers und Söders verstört sahen. Die Grünen selbst waren in Bayern weit anziehender für die, die einen anderen Stil haben wollten.

Als die SPD maßgeblich über politischen Stil sinnierte, wurde zeitgleich nicht klar, was sie eigentlich genau tun wollte. So verlor sie erst recht jene Wähler, die von der SPD konkrete Antworten darauf erwarten, wie sie denn ihr Leben verbessern wolle. Die SPD ist immer eine Partei gewesen, die für jene Politik macht, die noch nicht zufrieden sind. Die Politik der SPD war stets eine, die fragt, wo jemand hinwill. Die SPD war so stets eine Partei der Zukunft, die Kämpfe angenommen hat, um das Leben derer zu verbessern, von denen sie das Vertrauen und die Unterstützung bekam, ihre Kämpfe nicht nur mit ihnen, sondern vor allem für sie auszutragen.

Die SPD war so stets eine Arbeitnehmer-Partei, die Politik für die untere Mittelschicht, Geringverdiener und jene machen wollte, die sich nicht einfach saturiert zurücklehnen und den Status Quo genießen wollen. Wer arm ist, kann den Status Quo nämlich nicht genießen, genau so wenig wie der, der immer mehr Probleme hat, seine Miete noch zu bezahlen. Es kann auch nicht der sein Leben einfach so genießen, der sich Sorgen macht, was denn die Digitalisierung für ihn konkret für Auswirkungen hat. Soziale Sicherheit und sichere und gute Arbeit war so immer das zentrale Thema der SPD. Ebenso die Fragen, wie es um Löhne und bezahlbaren Wohnraum steht. Die SPD war immer eine Partei des Konkreten, die die sozialen Verhältnisse mit aller Klarheit benennt und dann Konzepte erarbeitet, wie diese verbesserbar seien.

Diesen Nimbus der Ärmel-Hoch-Krempel-Partei, die anpackt und das auch und gerade da, wo es anstrengend, unangenehm und konfliktreich ist, ließ sie aber erodieren durch ihre Politik der „Neuen Mitte“, in der sie nicht nur Steuersenkungen für Reiche und Deregulierungen umsetzte.

Diese Liberalisierungspolitik, die die SPD im allgemeinen Zeitgeist der späten 1990er und frühen 2000er Jahre für notwendig erachtete und auch zusätzlich mit Sozialreformen untermauerte, hinterfragte stark ihre klassische Aufgabe als Partei der sozialen Sicherheit – um es noch nett auszudrücken. Diese Politik eines Rückzugs des Staates als organisierende Kraft sozialen Zusammenhalts und gleichwertiger Lebensverhältnisse, ließ dann aber viele Stammwähler zunächst fragend und später kopfschüttelnd zurück – auch und gerade deswegen, weil die SPD es bislang nicht schaffte, der erneuten Veränderung der sozialen Realität mit einer Rückkehr zu klassisch sozialdemokratischer Politik zu begegnen.

Dem langjährigen Oberbürgermeister von München und ehemaligen Spitzenkandidaten der SPD in Bayern, Christian Ude, platze angesichts der Zerlegung der Bayern-SPD schon im Wahlstudio am Wahlabend der Kragen. Ein paar Tage später sagte er in einem Wut-Interview im politischen Magazin „Cicero“ dann, was sich ändern müsse: „Zuallererst muss man offen zugeben, dass man über den erdrutschartigen Totalschaden entsetzt ist. Da darf nichts verharmlost werden. Die SPD muss alles auf den Prüfstand stellen, muss bereit sein, bisher ‚verbotene’ Themen anzugehen, wo bisher nur Schönfärberei erlaubt war. Stattdessen wird bisher auf offener Bühne ein trickreiches ‚Weiter so’ versucht.“

Was Christian Ude hier vermittelt, ist die Botschaft eines „linken Realismus“, den auch ich in meinem Buch „Die liberale Illusion“ entwickele. Diese Politik will nichts schönreden, aber auch nichts schlechtreden. Und das bei allen Themen, von Sozialem und Wirtschaft beginnend und bei Innerer Sicherheit und Migration aufhörend. Diese Politik will die Ärmel-Hoch-Krempel-Philosophie der alten Sozialdemokratie wiedergewinnen.

Wie diese Politik des linken Realismus konkret aussehen könnte, lässt sich nun anhand von Mannheim selbst diskutieren.

Überregional bekannt wurde so der Mannheimer Stadtteil Schönau in Norden der Stadt. Denn die AfD konnte hier bei der letzten Landtagswahl stark punkten. Gut 30 Prozent wählten hier die AfD. Doch das ist nicht das einzige Dilemma der SPD. Denn im bürgerlichen Süden der Stadt siegte erneut ein Grüner. „Spiegel Online“ berichtete das so nach der Wahl - weitgehend unkommentiert, welches Dilemma sich hier für die SPD offenbart.

Doch genau hier zeigt sich die Zerrissenheit der SPD. Menschen, die in guten Vierteln mit gutem Geld wohnen, wählen heute oft Grüne und CDU. In Mannheim-Schönau wiederum verliert man an die AfD, obwohl die SPD prädestiniert wäre, die Menschen im Mannheimer Norden mit einem linken Realismus zu erreichen und andererseits als Partei des sozialen Zusammenhalts auch den Menschen im Süden das Gefühl zu geben, dass sie die Volkspartei sein kann und will, die das Leben der Allermeisten verbessern will und somit letztlich dem „Gemeinwohl“ am Besten dienen könnte.

Doch die SPD wird zwischen den Polen einer liberalen Selbstzufriedenheit und eines systemkritischen Populismus zerrieben und findet einfach nicht zu einer Linie und auch zu keinem Profil. So stirbt sie weg. Sie ist nicht mehr die Partei eines integrierenden „Sowohl-als-auch“, sondern für viele nur noch eine Partei des „Weder-noch“. Viele wissen nicht, woran sie mit dieser SPD sind.

Dabei bräuchte gerade Mannheim eine politische Kraft, die die immer stärker werdenden Gegensätze und Konflikte der Stadt überwindet und zu einem neuen positiven Ganzen führt. Die SPD wäre prädestiniert dafür. Das gilt nicht nur im Lokalen und Kleinen. So eine Partei der Integration, die nicht davor zurückschreckt Konflikte hart und ohne Scheuklappen zu führen, um einen neuen Zusammenhalt zu schaffen, die braucht es auch im Großen – im Bund.

Die SPD hätte die Chance, wieder Menschen zu verbinden, wenn sie nur eine Idee davon hätte, warum es gerade jetzt eine politische Kraft der Integration braucht. Denn diese wird gebraucht angesichts so fundamentaler Umbrüche wie der Digitalisierung, dem demographischen Wandel und dem Aufstieg von Schwellenländern wie China und Südkorea, die mehr und mehr in die hochtechnologischen Branchen hinein gehen, durch die Deutschland – auch und gerade um Mannheim herum – noch wirtschaftlich erfolgreich ist.

All diese Umbrüche lassen auch die Menschen im Süden Mannheims nicht unberührt. Auch ihre Jobs sind nicht 100 Prozent sicher. Auch sie suchen Antworten.

Eine Nachfrage braucht aber auch immer ein Angebot. Da muss die SPD nun ran. Im Kleinen wie im Großen. Sie braucht einen harten Bruch mit jenen liberalen Illusionen, in die sie sich zuletzt bewegt hat. Sie muss wieder eine Partei des Konkreten, eine Partei der hoch gekrempelten Ärmel werden. Ihre sogenannte „Erneuerung“ wird ausbleiben, wenn sie nicht in aller Klarheit ihren Kurs neu justieren und dann mutig kommunizieren kann. Die SPD braucht eine klare Richtungsentscheidung. Sie braucht eine eindeutige Kursansage.

So viel sei angedeutet, wo die Reise hin gehen muss. Die SPD muss sozial- und steuerpolitisch linker werden, eine neue Wirtschaftspolitik für das 21. Jahrhundert entwerfen und in der Migrationspolitik und der Inneren Sicherheit mit ihrem diffusen Agieren aufhören und hier realistische Antworten formulieren, die das Leben vor Ort weder schönreden noch schlechtreden. Es gilt für die große Mehrheit der Menschen dieses Land zu einem positiveren Ganzen zu entwickeln. Dafür muss man was tun. Oder im Bild zu bleiben: die Ärmel hochkrempeln.

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Nils Heisterhagen

Nils Heisterhagen, 1988 geboren, ist Sozialdemokrat und war bis vor Kurzem Grundsatzreferent der SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz.

Er hat in Göttingen und Hannover Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre studiert und an der Humboldt Universität zu Berlin in Philosophie mit einer Arbeit über einen „Existenziellen Republikanismus“ promoviert.

Sein Buch „Die liberale Illusion. Warum wir einen linken Realismus brauchen“ ist im Dietz-Verlag erschienen.

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