"MM"-Debatte

Warum stellen immer mehr Museen ihre Kunstwerke ins Internet, Frau Wind?

Museen wollen heute Orte interaktiver Auseinandersetzung sein, sagt Annika Wind. Daher werden Besucherfotos im Netz verbreitet und ganze Sammlungen online gestellt. Ein Gastbeitrag.

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Annika Wind
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Im Atrium der Kunsthalle Mannheim können Besucher auf der digitalen Monitor-Wand „Collection Wall“ per Berührung einen Blick in die Sammlung und auch ins sonst verborgene Depot werfen. © dpa/Christina Laube

Er ist fast zwei Meter lang, aus Bronze und tonnenschwer. Gerade richtig also, um ihn sich in die Hosentasche zu stecken: Constantin Brancusis „Großer Fisch“, eines der bekanntesten Werke der Kunsthalle Mannheim. „In meine Sammlung übernehmen“, heißt es auf der Museums-Homepage und so braucht es nur ein kleines Häkchen in einem kleinen Kästchen auf dem Bildschirm – und dann ist er da: als Abbildung gespeichert auf der Festplatte oder dem Smartphone.

„Ein Terminal ermöglicht, einen Katalog mit persönlichen Favoriten der Sammlung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sich nach Hause zu senden, auszudrucken und zu verschenken“, heißt es in der „Digitalen Strategie“ des Ausstellungshauses. Die Kunsthalle will ein „Museum 4.0“ werden. Dafür stellt sie ihre Sammlung ins Internet und macht sie für jeden verfügbar. Weltweit.

„Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ hatte Walter Benjamin 1935 einen Aufsatz genannt, in dem sich der Kulturkritiker mit der Frage nach dem Wert eines Originals beschäftigte – in Zeiten von Fotografie und Film würde seine Einmaligkeit und Aura zerstört. Wenige Jahre später räumte allerdings Theodor W. Adorno ein, dass ein reproduziertes Kunstwerk durchaus einen Nutzen für den Rezipienten habe: „Anstelle des Genusses tritt Dabeisein und Bescheidwissen, Prestigegewinn anstelle der Kennerschaft“, so der Philosoph in seiner „Dialektik der Aufklärung“. Heute müsste ein Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner digitalen Teilbarkeit“ heißen. Denn längst haben Museen auch den virtuellen Wert ihrer Bestände erkannt.

Das Museum of Modern Art in New York etwa besitzt an die 200 000 Kunstwerke von der Klassischen Moderne bis heute – davon sind 79 000 online abrufbar. Das Royal Ontario Museum hat von seinen sechs Millionen Ausstellungsstücken 17 338 online gestellt. Im Museum für Kultur-, Kunst- und Naturgeschichte in Toronto finden sich sogar Schilder, die Besucher auf fotogene Objekte aufmerksam machen. „Wir hatten vorher einige sehr gute Ausstellungen“, so Ryan Dodge im Interview mit dem Online-Magazin www.museum-id.com, „aber erst indem wir unsere Besucher ermuntert haben, ihre Museumsfotos mit anderen zu teilen, ist eine starke, authentische Gemeinschaft entstanden“. Museen müssten aufhören, ihre Besucher einzuschränken, so der Digital-Experte des Museums, das nach eigenen Angaben inzwischen 263 000 Besucherfotos besitzt.

Auch viele Künstler verbreiten ihre Werke digital. „Teilt eure In-Orbit-Erfahrung mit uns!“, heißt es auf der Internetseite der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, in der bis Jahresende Tomás Saraceno ein riesiges, unter der Glaskuppel verspanntes Stahlnetz installiert hat. In ihm kann man wie auf Wolken in schwindelerregender Höhe unter dem Dach des Ständehauses herumspazieren. Und sicher gehen, dass die Fotos später auf Instagram oder Facebook weiterverbreitet werden. Eine Milliarde Nutzer teilen inzwischen über den Online-Dienst Instagram ihre Erlebnisse mit der Welt. Darauf haben auch Lifestyle-Magazine wie „Forbes“ oder „Vogue“ reagiert, die Listen der „most instagrammable places/spots“ (Instagram-taugliche Plätze) von Helsinki bis Barcelona veröffentlichen. Was die Kunsthalle Mannheim betrifft, ist da noch Luft nach oben: Unter dem Hashtag #kunsthallemannheim finden sich 2456 Beiträge auf Instagram. Zum Vergleich: Der Hashtag #museumludwig in Köln hat 16 281 Einträge, das #hausderkunst in München 13 384.

Heilige Hallen oder Orte interaktiver medialer Auseinandersetzung – viele Museen sind inzwischen beides. „Das Zusammenspiel der digitalen Instrumente innerhalb und außerhalb des Museums verdichtet das Bildungserlebnis in einer Art Crossmapping der verschiedenen Medialitäten und schafft neue Erkenntniswelten“, heißt es etwas umständlich auf der Homepage der Mannheimer Kunsthalle. Auch der Deutsche Museumsbund rät seinen Mitgliedern dazu, zumindest Teile ihrer Sammlung online zu stellen, um sie – nicht nur der Forschung – zugänglich zu machen: „Der Nutzerkreis wird so erweitert, denn digitale Datenbanken richten sich nicht mehr nur ans Museumspublikum, sondern oftmals an eine breitere, neugierige Öffentlichkeit“, so der Präsident Eckart Köhne.

Allerdings sind der wundersamen Bildervermehrung im Internet in Deutschland Grenzen gesetzt. Denn die VG-Bildkunst, der Fotografen und Künstler ihre Verwertungsrechte übertragen, fordert für jede Abbildung Lizenzabgaben ein. Das beschränkt auch die Möglichkeiten von Museen. „Gebt endlich die Bilder frei“, fordert daher etwa Roland Nachtigäller auf seinem Museumsblog. Der Direktor des Marta in Herford hatte Raumansichten vergangener Ausstellungen auf die eigene Seite gestellt und wurde daraufhin von der VG-Bildkunst ermahnt, weil sie Werke der von ihr vertretenen Künstler zeigten. Mittlerweile würden für die Onlinenutzung Mietmodelle etabliert, die auf lange Sicht geradezu abenteuerliche Summen für eine einzelne Abbildung auftürmten, so Nachtigäller. Ein Blick auf die Internetseiten großer Museen zeigt das Problem noch deutlicher. So sind in der „Sammlung Online“ der Kunstsammlung NRW nur rund 200 besonders populäre Werke aufgeführt, noch nicht einmal zehn Prozent des Gesamtbestandes. Von den allein 33 000 Blättern der Grafik-Sammlung in der Mannheimer Kunsthalle sind bisher nur 43 mit Abbildung abrufbar.

Dass Instagram unter dem Stichwort #reissengelhornmuseen nur 62 Beiträge anzeigt, verwundert nicht – kaum ein deutsches Museum ist so restriktiv wie das Mannheimer Ausstellungshaus, was die digitale Weiterverbreitung seiner Bestände angeht. Aufsehen hatte 2016 ein Prozess erregt, den die Reiss-Engelhorn-Museen (Rem) gegen Wikipedia führten. Damals ging es um ein Porträt von Richard Wagner des Malers Caesar Willich (1825-1886), das die Wikimedia-Gesellschaft auf einer ihrer Seiten veröffentlicht hatte. Das war eigentlich „gemeinfrei“, das Urheberrecht also mehr als 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers abgelaufen. Nicht so aus Sicht der Rem, die wegen 17 Reproduktionsfotos ihres Hausfotografen vor Gericht zogen. Ihr Argument: Die Aufnahmen hätten nicht nur Geld gekostet, sondern auch handwerklichen Aufwand bedeutet – und seien deshalb schützenswert. Dabei handelte es sich um gar keine eigenständigen Werke, sondern um möglichst exakte Abbildungen. „Wir möchten betonen, dass wir große Sympathie für das Projekt Wikipedia haben“, gab nach dem Urteilsspruch Alfried Wieczorek in einer Stellungnahme bekannt. „In diesem Fall stellt sich für uns aber die Frage, wer die Entscheidung über das Ob und vor allem das Wie der öffentlichen Zugänglichmachung unserer Bestände haben soll“, so der Generaldirektor der Rem.

Nicht nur für Wikimedia war das Urteil bitter, sondern auch für Blogger mit kleinen oder gar keinen Budgets: Sie sind nun der Gebührenordnung eines Museums ausgeliefert. Mehr noch: Das Urteil könnte dazu führen, dass selbst Kunst vergangener Jahrhunderte aus dem Internet verschwindet. Während viele Museen gezielt mit Wikipedia zusammenarbeiten, um für ihre Sammlung zu werben, beschränken die Rem den Zugang zu ihrer Sammlung. Das widerspricht nicht nur den Prinzipien der Gemeinfreiheit, sondern dem Bildungsauftrag eines öffentlich geförderten Hauses, das einen eindeutigen Auftrag hat: der Allgemeinheit zu dienen. Dazu gehört auch, dass Kulturgüter im Internet frei verfügbar sind. Weltweit.

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Annika Wind

  • „Radikal digital“ ist der Titel eines Schwerpunktheftes von „kultur.west“, das Annika Wind gerade im Essener K-West Verlag herausgebracht hat. Darin untersucht sie mit einigen Autoren den Einfluss von Bits und Bytes auf die Kulturszene – etwa im Theater oder in der Kunst. Seit 1. September ist sie Chefredakteurin des „Magazins für Kunst und Gesellschaft in NRW, das seit 15 Jahren über Entwicklungen im Land berichtet.
  • Als freie Autorin ist sie auf die Themen Kunst und Architektur spezialisiert und unterrichtet Kulturjournalismus an Journalistenschulen. Für eine Serie über „Künstlerhäuser“, die im „Mannheimer Morgen“ erschien, wurde die frühere Redakteurin dieser Zeitung 2015 mit dem Medienpreis Pfalz (Kategorie Nachwuchs) ausgezeichnet. Zuletzt hat sie mit dem Hamburger Medienkünstler Frederik Busch einen Fotoband über „German Business Plants“ im Kehrer Verlag herausgebracht und ein Buch über Mannheim geschrieben, das Ende 2018 bei DuMont erscheint.

Freie Autorin

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