Verdrängt die Dominanz des Fußballs alle anderen Sportarten, Herr Harksen?

Milliarden für Fernsehrechte, Millionen für einen einzelnen Spieler: Horrende Summen fließen in den Fußball. Darunter leiden alle anderen, sagt der deutsche Leichtathletiktrainer Rüdiger Harksen. Dabei hat die Sportwelt so viel Vielfalt zu bieten. Ein Gastbeitrag.

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Rüdiger Harksen
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Im Schatten der Kicker? Wenn im Fernsehen überwiegend nur noch Fußballspiele gezeigt werden, kämpfen zwangsläufig andere klassische Sportarten ums Überleben. © picture alliance / Jan Woitas/dp, Jan Woitas, dpa-Zentralbild

Die derzeitige Fußballlandschaft ist geprägt von immensen Spielergehältern, schwindelerregenden Transfersummen und hohem Sponsorenengagement. Den Streit um die TV-Rechte gewinnen meist die kostenpflichtigen Pay-Sender. Ist der sportliche Wettstreit auf dem Spielfeld zur Nebensache geworden und regiert nicht in Wahrheit die Macht des Geldes?

„Die Bedeutung des Fußballs ist zu groß geworden. Wir haben die Leichtathletik erschlagen, wir haben den Handball erschlagen, wir haben den Basketball erschlagen“, sagte der langjährige Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Eintracht und jetzige Boss des Hamburger Sportvereins Heribert Bruchhagen (Deutsche Presse-Agentur, 11. Mai 2016).

Wie Recht er hat. Längst sind die Zeiten vorbei, bei denen in den großen Stadien der Republik neben König Fußball auch die olympische Kernsportart Leichtathletik Wettkämpfe vor gefüllten Zuschauerrängen präsentieren konnte.

Raus aus den Stadien mit den Läufern, Springern und Werfern war die Devise, ran an das Spielfeld mit den Zuschauerrängen zum Zelebrieren der Lieblingssportart (nicht nur) der Deutschen in modernen Fußballtempeln.

Das historische Berliner Olympiastadion bleibt da eine rühmliche Ausnahme, aber wie lange noch? Dabei darf doch die Frage erlaubt sein, ob sich der FC Bayern München in der modernen Allianz-Arena sportlich erfolgreicher darstellt als zu Zeiten von Beckenbauer, Rummenigge & Co. im alt ehrwürdigen Münchner Olympiastadion.

Auf dem Spielfeld zählt doch immer noch der sportliche Kampf mit den Königlichen aus Madrid, den steinreichen Sponsorenteams von der Insel oder den Scheichklubs um Europas Fußballkrone.

Weiter führt Heribert Bruchhagen aus, 1,2 Milliarden Euro zahle das Fernsehen den Klubs, mehr als zwei Millionen Euro Jahresgehalt bekämen Spieler bei Bruchhagens HSV im Schnitt – und Bayerns Lizenzspieleretat liege gar bei 250 Millionen Euro („Neue Westfälische Zeitung“, 19. Juli 2017).

Diese unverhältnismäßig hohen Gehälter für junge Männer, deren Altersgenossen nach absolvierter Ausbildung oder als Studenten sich überlegen müssen, wie ihre Altersversorgung in einigen Jahrzehnten aussehen kann, sprengen jegliche Kraft der Vernunft.

In diesem Kontext darf auch nicht vergessen werden, dass mit staatlichen Geldern in regelmäßigen Abständen Polizeieinsätze organisiert werden müssen, um den eskalierenden Fußballrabauken mit der „hässlichen Fratze“ des per se faszinierenden liebsten Männersports Einhalt zu gebieten. Muss der Steuerzahler diese Auswüchse mitfinanzieren? Oder sind hier nicht auch die Vereine gefordert, im Sinne einer gesellschaftlichen Solidargemeinschaft, die von den eigenen Fans verursachten Schäden und gesundheitsgefährdende dienstliche Einsätze von Polizeibeamten finanziell mit zu regulieren?

Die Übermacht des Fußballs in den Medien wird daran deutlich, dass selbst bei einer Frauen-Europameisterschaft vor nahezu leeren Stadien die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten im Abendprogramm Vorrundenspiele mit geringer Einschaltquote im Vergleich zum Serienrenner „Tatort“ senden.

Sogar Fußballspiele aus der Regionalliga (Liga vierter Kategorie) werden – vorzugsweise am Montag – im Fernsehprogramm angeboten. Hingegen muss sich der Eishockey- oder Handballfan freuen, wenn – sogar bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Land – überhaupt Spiele übertragen werden – wenn auch nur im Pay-TV. Früher wurden solche sportlichen Großereignisse ausgewogen und angemessen von den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ausgestrahlt.

Noch schwerer haben es olympische Kernsportarten wie Schwimmen, Turnen, Judo oder Rudern. Da muss sich der sportinteressierte Fernsehkonsument, und das ist laut Statistiken mindestens die Hälfte des Fernsehklientels, schon vier Jahre gedulden, bis der olympische Wettstreit der Weltbesten angemessene Fernsehpräsenzzeiten erhält.

Natürlich hat sich der Fußball als beliebteste Sportart der Welt seinen Stellenwert verdient, daran gibt es nichts zu rütteln. Auch der Schreiber dieser Zeilen möchte nicht auf spannende Bundesliga-, Championsleague- und WM-Spiele verzichten. Worum es geht, ist die Angemessenheit und gerechte Verteilung der Sendezeiten. Aber das ist nicht die Schuld des Fußballs, der hat einfach nur seine Hausaufgaben gemacht. Wie übrigens auch der Wintersport. Der macht deutlich, dass auch Olympischer Sport eine TV-Präsenz haben kann.

Bei der Frage nach Ausgewogenheit sind also die Sendeanstalten gefordert. In der Leichtathletik gibt es beispielsweise die Diamond League-Serie, vergleichbar mit Weltcupveranstaltungen bei Wintersportarten. Dieses Wettkampfformat findet im öffentlich-rechtlichen Programm nicht statt – auch wenn die über den verbindlichen Gebühreneinzug finanzierten Sender den Auftrag haben, den Sport in seiner Gesamtheit abzubilden.

Auf der anderen Seite müssen sich aber auch die Sportarten selbst Wettkampfformate und Präsentationskonzepte überlegen, um bei den Fernsehanstalten und beim Publikum attraktiver zu werden.

Wir schreiben das Jahr 2018. Digitale Sendeformen im Netz erfreuen sich steigernder Beliebtheit und schaffen sich quasi ihren eigenen Markt. Live-Streams vieler Sportevents am Laptop, Tablet oder auf dem Smartphone an allen möglichen Flecken dieser Welt ersetzen die klassische Sportschau auf dem heimischen Sofa bei Chips und Bier. Der Medienmarkt ist vielfältig geworden, Öffentlich-rechtliches Fernsehen, Pay-TV und Live-Stream sind generationsübergreifend in der medialen Welt nicht mehr wegzudenken. Diese Möglichkeiten zur Verbesserung der Außenwahrnehmung werden von vielen Sportarten noch viel zu wenig genutzt.

Die Übermacht von König „Fußball“ in den Medien spiegelt sich auch bei der Sponsorenbindung wider. Die kommerziellen Spielsportarten erfahren eine deutlich höhere Zuwendung im Vergleich zu den klassischen olympischen Individualsportarten. In vielen anderen Ländern sind erfolgreiche Individualsportler „national heroes“. Hierzulande sind Olympiasieger oder Weltmeister oftmals Randerscheinungen in der sportlichen Wahrnehmung, die es schwer haben, Sponsoren zu begeistern.

Der beste Speerwerfer der Welt, dekoriert mit dem Titel eines Olympiasiegers oder Weltmeisters, schafft es bisweilen in TV-Talkshows. Eine leistungsgerechte Sponsorenbewertung im Vergleich zu den Kollegen der Spielsportarten findet hingegen nicht statt.

Höher in der Gunst der Sponsorenkultur stehen oft sogar Spielsportler, unter anderem zweit- bis drittklassige Eishockeyprofis aus den amerikanischen und kanadischen Ligen, die – ähnlich wie die Schweinis und Poldis mit verblichenem Nationalmannschaftshintergrund – im Herbst ihrer Karriere nun im Ausland auf wesentlich geringerem Leistungslevel ihr Bankkonto stabilisieren.

Und wie sieht es in der Republik mit Sportveranstaltungen aus? Deutschland mag und kann sie auf höchstem Weltniveau! Die Olympischen Spiele 1972 in München haben 27 Jahre nach Beendigung der Kriegskatastrophe als das größte Fest des Sports einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen. Das hat Deutschland gut getan. Für die Leichtathletik-WM 1993 erhielt das Stuttgarter Publikum den Fairplay-Preis der Unesco. Das Sommermärchen der Fußball WM 2006 erzeugt bei uns in der Rückblende immer noch sportliche Gänsehautmomente, innerhalb und außerhalb der Stadien. Nicht nur der Sportinsider freut sich über fesselnde Emotionen, über Begeisterung und Leidenschaft der Akteure und des Publikums. Sport ist die größte Bewegung innerhalb unserer Gesellschaft, er fasziniert und ergreift uns.

Aber die Deutschen wollen kein Olympia im eigenen Land mehr. Die Zahl der Olympiaverweigerer ist größer als die der Befürworter, ebenso in Tirol und in der Schweiz. Gigantismus, Kommerz und Kosten der Spiele haben zu große Ausmaße angenommen. Sie dominieren in der Abwägung des Für und Wider über den Reiz des sportlichen Wettkampfes. Hinzu kommen Korruptionsskandale bei der Sport-Weltmacht IOC (das Internationale Olympische Komitee). Das alles schafft keine positive Stimmung mehr für Olympia in der Heimat.

Sind das erste Zeichen für eine Rückbesinnung auf die sportlichen Grundwerte Höher, Schneller und Weiter? Sind das Zeichen für eine Abkehr vom grenzenlosen Anstieg des Kostenwahnsinns? Schön wär´s!

Doch wenn dann wieder Transferbeträge von 222 Millionen Euro für einen Elitekicker nach Paris Saint-Germain über den Tisch gehen, könnte das eine Vorahnung dessen sein, was passiert, wenn chinesische Fußballinvestoren hierzulande ins Business einsteigen. „Money makes the world go round“ (Geld regiert die Welt) – das scheint auch im Fußball zu stimmen.

Die meisten Deutschen, Schweizer und Österreicher mögen zwar kein Olympia im eigenen Land, aber bei einer Fußball-WM oder EM würden sie eher nicht nein sagen. Und das trotz massenhafter Skandale bei der FIFA. Wie passt das zusammen?

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Rüdiger Harksen



  • Rüdiger Harksen ist Bundestrainer im Deutschen Leichtathletikverband (DLV), Leistungssportchef der MTG Mannheim und Bundesstützpunktleiter Leichtathletik am Olympiastützpunkt Rhein-Neckar.
  • Er wurde am 23. September 1954 in Hockenheim geboren, studierte Sport und Germanistik, war Lehrer am Mannheimer Ludwig-Frank-Gymnasium und nebenbei Trainer bei der MTG Mannheim.
  • 1985 gab er seine Stelle als Studienrat für den Posten als hauptamtlicher Bundestrainer beim DLV auf.
  • Von 2008 bis 2010 war er Chef-Bundestrainer für den Laufbereich.
  • Als Leichtathletiktrainer war Harksen bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona, 1996 in Atlanta, 2004 in Athen, 2008 in Peking und den Spielen 2012 in London dabei.
  • Er ist Lehrbeauftragter an der Trainerakademie des DOSB und als Referent unter anderem beim Leichtathletikweltverband (IAAF) und internationalen Kongressen im Einsatz.
  • Seine Athletinnen und Athleten gewannen bei Internationalen und Deutschen Meisterschaften in den vergangenen 35 Jahren mehr als 100 Medaillen.

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