Die Tiefsee, die ab rund 200 Metern unterhalb des Meeresspiegels beginnt und mehr als 50 Prozent der Erdoberfläche bedeckt, ist ein faszinierender Lebensraum, in dem sich viele hoch spezialisierte Arten entwickelt haben. Gleichzeitig finden sich in ihr vielfältige Mineralaggregate wie Manganknollen, Massivsulfide und Kobaltkrusten, die in Millionen von Jahren entstanden sind.
Auf der Suche nach neuen Rohstoffquellen, welche gerade in der Umwelt- und Energietechnik dringend benötigt werden, scheint die Tiefsee zunehmend Aufmerksamkeit zu bekommen. Gerade die Manganknollen, welche reich an Rohstoffen wie Kobalt, Nickel und Mangan sind, könnten mithilfe von Kollektoren am Meeresboden abgebaut werden und versprechen so ein lukratives Geschäft zu sein.
Energiewende steigert Bedarf an bestimmten Rohstoffen
Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Dazu wird die Nachfrage nach Rohstoffen weiter steigen, wie der folgende Vergleich anschaulich verdeutlicht: Eine moderne Photovoltaikanlage benötigt bei gleicher Leistung doppelt so viele metallische Rohstoffe wie ein Kohlekraftwerk.
Geopolitisch hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zu einem sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel geführt: Fortan gilt es, die eigene Rohstoffversorgung weiter zu diversifizieren, um einseitige Rohstoffabhängigkeiten zu vermeiden. Berechnungen zufolge könnten beispielsweise rund 80 Prozent der deutschen Netto-Importe für Kobalt aus der Tiefsee gewonnen werden, wodurch diese auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen interessant wird.
Gleichzeitig verweisen Befürworterinnen und Befürworter darauf, dass der Landbergbau, der meist in Entwicklungsländern praktiziert wird, nicht nachhaltig sei, da er Ausbeutung und Ressourcenkonflikte verstärke. Ist der Tiefseebergbau somit die nachhaltige Alternative zur Ressourcengewinnung?
Die Tiefsee ist metaphorisch gesprochen eine Terra incognita, da bisher nur rund 0,0001 Prozent dieses einzigartigen Lebensraums erforscht wurden.
Die Tiefsee ist metaphorisch gesprochen eine Terra incognita, da bisher nur rund 0,0001 Prozent dieses einzigartigen Lebensraums erforscht wurden. Abbauvorhaben sind daher mit nicht kalkulierbaren Risiken für dieses hochkomplexe Ökosystem mit seinen sehr empfindlichen Arten verbunden. Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verweisen bereits darauf, dass der Tiefseebergbau das biologische Gleichgewicht irreversibel schädigen könnte.
Ein weiterer gefährlicher Nebeneffekt ist die Freisetzung von unterseeischen CO2 und Methan während des Abbauprozesses. Das würde nicht nur dem Umweltschutz schaden, sondern auch den Klimaschutz mit seinen notwendigen Emissionsminderungen ad absurdum führen. Das Ziel der Agenda 2030, Ozeane und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu erhalten und zu schützen, würde ebenfalls konterkariert.
Die Natur erholt sich in der Tiefsee nur langsam
Hinzukommt, dass Studien deutlich gemacht haben, dass das Ökosystem sich nach der Abbauphase wohl nur außerordentlich langsam regeneriert. So dauert es beispielsweise mehrere Millionen Jahre, bis Manganknollen nachgewachsen sind. Beim Landbergbau hingegen erfolgt die Renaturierung in einem kürzeren Zeitraum, auch wenn hier ebenfalls negative Umwelteffekte auftreten.
Abseits dieser ökologischen Einwände stellt sich auch die fundamentale Frage, ob die Ressourcen der Tiefsee überhaupt für die Energiewende benötigt werden. Die zugrundeliegende Annahme, dass der Tiefseebergbau den Landbergbau substituieren könnte, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Es bleibt unklar, inwieweit sich der Tiefseebergbau als Geschäftsfeld durchsetzen würde.
Der Gastautor
- André Algermißen ist Referent für Klima, Landwirtschaft und Umwelt in der Abteilung „Agenda 2030“ der Konrad-Adenauer-Stiftung.
- Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen Abgeordneten im Deutschen Bundestag.
- Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat 18 Politische Bildungsforen in Deutschland und ist in über 100 Ländern weltweit mit Büros vertreten. Sie setzt sich national und international durch politische Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ein.
Da der Ausbau erneuerbarer Energien große Mengen an Rohstoffen benötigt, ist lediglich eine Momentaufnahme möglich: Der wissenschaftliche Fortschritt wird langfristig zu mehr Rohstoffeffizienz sowie Rohstoffsubstitution führen und damit auch die Nachfrage verringern.
Hinzukommt, dass immer mehr Staaten einen Transformationsprozess von einer linearen Wirtschaft hin zu einer zirkulären Wirtschaft eingeleitet haben, sodass der Rohstoffverbrauch nicht nur in der Industrie, sondern auch im Alltag der Menschen sinken wird.
Dennoch wäre es verfrüht davon auszugehen, dass zukünftig keine weiteren Rohstoffquellen erschlossen werden müssen, denn Zirkularität wird sich nicht in allen wirtschaftlichen Prozessen umsetzen lassen. Des Weiteren lässt sich noch nicht valide abschätzen, welche Auswirkungen das weltweite Bevölkerungswachstum auf die Rohstoffnachfrage hat.
Wem gehört die Tiefsee?
Die Tiefsee fällt, was Regulierungen angeht, in die Zuständigkeit der 1994 gegründeten Internationalen Meeresbodenbehörde (International Sea Authority, ISA), die in der Vergangenheit mehrere Lizenzen vergeben hat, um die Rohstoffquellen und ihren potenziellen Abbau zu erforschen. Deutschland verfügt bereits seit 2006 über ein rund 75 000 Quadratkilometer großes Explorationsgebiet im Pazifik.
Im Jahr 2021 hat der Inselstaat Nauru das Interesse bekundet, gemeinsam mit dem kanadischen Start-Up-Unternehmen The Metals Company (TMC), Manganknollen in der Clarion-Clipperton-Zone abzubauen, die im Pazifik zwischen Mexiko und Hawaii liegt. Dadurch löste der Inselstaat eine Klausel des UN-Seerechtsübereinkommens aus, die besagt, dass innerhalb von zwei Jahren ein entsprechendes Regelwerk für den Tiefseebergbau verabschiedet werden muss. Die Frist ist mittlerweile abgelaufen, doch der Rat der Internationalen Meeresbodenbehörde konnte sich bei seinen Verhandlungen Ende Juli 2023 nicht auf ein Regelwerk einigen.
Der Abschluss entsprechender Regularien wurde vielmehr auf 2025 vertagt. Diese Verzögerungen schaffen in der Konsequenz einen problematischen rechtlichen Schwebezustand, weil unklar bleibt, wie mit potenziellen Abbauanträgen umgegangen werden soll. Da ohne Regelwerk die Anträge voraussichtlich genehmigt werden müssen, steht die Tiefsee somit am Scheideweg.
In der deutschen Öffentlichkeit, aber auch zunehmend in der Wirtschaft, werden potenzielle Abbauvorhaben aufgrund ungeklärter Auswirkungen auf das Ökosystem kritisch gesehen. Diese Auffassung deckt sich auch mit der Haltung der Bundesregierung, die den Tiefseebergbau zwar nicht kategorisch ausschließt, sich aber zum Vorsorgeprinzip bekennt: Abbauanträge wird Deutschland so lange nicht unterstützen, bis die Risiken ausreichend erforscht sind und strenge Abbauregularien vorliegen, die ernsthafte Umweltrisiken ausschließen.
Frankreich, Spanien und Finnland üben Kritik am Tiefseebergbau
Mit dieser umsichtigen Vorgehensweise, die bereits schon unter der vergangenen Bundesregierung praktiziert wurde, steht Deutschland nicht allein da: Staaten wie Frankreich, Spanien und Finnland sehen den Tiefseebergbau ebenfalls kritisch.
Damit die Risiken des Tiefseebergbaus für die maritime Biodiversität besser eingeschätzt werden können, gilt es, die Erforschung dieses einzigartigen Lebensraums weiter zu intensivieren und die Erkenntnisse in den politischen Entscheidungsprozess einzuspeisen. Deutschland muss – idealerweise gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Ländern – seinen Einfluss geltend machen und sich auch weiterhin für das Vorsorgeprinzip aussprechen, um einen unregulierten Rohstoffabbau zu vermeiden.
Gleichzeitig sind die Regularien schnellstmöglich zu verabschieden, um den rechtlichen Schwebezustand zu beenden. In diesem Zusammenhang ist zudem der Eindruck entstanden, dass eine Reform der Internationalen Meeresbodenbehörde notwendig ist, um nicht nur ein Regelwerk zu verabschieden, sondern dieses auch konsequent durchsetzen zu können. Deutschland steht ferner in der Verantwortung bei der Transformation hin zu mehr Kreislaufwirtschaft voranzugehen und Rohstoffeffizienz sowie Rohstoffsubstitution zu fördern.
Ob wir gänzlich auf den Tiefseebergbau verzichten können, ist heute nur schwer abzuschätzen. Klar ist aber, dass nicht der Tiefseebergbau ein Erfolgsmodell für eine nachhaltige Zukunft ist, sondern eine zirkuläre Wirtschaft in Verbindung mit einer klugen und diversifizierten Rohstoffpolitik auf der Grundlage einer sich befruchtenden, ambitionierten Forschung.
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