Berlin. Viel Zeit bleibt nicht: In 22 Jahren muss Deutschland klimaneutral sein. So sieht es das Klimaschutzgesetz vor. Das erste Etappenziel steht schon 2030 an. Dann soll Deutschland 55 Prozent weniger Emissionen ausstoßen als 1990. Damit das gelingt, müsste sich das Tempo der Emissionsminderungen fast verdreifachen. Daher macht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun Druck: „Konkret geht es jetzt darum, weitere Barrieren, die eine nachhaltige Wertschöpfung und Energieversorgung behindern, aus dem Weg zu räumen, Innovationen und Investitionen zu stärken und anzureizen“, sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion.
Trotz Krise seien im vergangenen Jahr Grundlagen für den klimaneutralen Umbau gelegt worden. Wie es nun weitergeht, skizziert das Wirtschaftsministerium in einem Werkstattbericht, der unserer Redaktion exklusiv vorliegt. Ein Überblick:
Strom
Ist Deutschlands Strom im Jahr 2030 nicht grün, dann nützen auch die geplanten 15 Millionen Elektro-Autos oder die sechs Millionen Wärmepumpen wenig. Im vergangenen Jahr stammte fast jede zweite Terrawattstunde Strom aus erneuerbaren Energien. Da mit der Abkehr vom fossilen Brennstoff der Hunger nach grüner Energie steigt, muss schnell einiges passieren. 2030 werden wohl bis zu 750 Terrawattstunden grüner Strom benötigt. 2022 stammten erst 233,9 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien.
Es muss also vorangehen – bei der Windkraft sowie bei Photovoltaikanlagen. Leicht gesagt: Wer zuletzt eine Windkraftanlage an Land plante, brauchte dafür fünf bis zwölf Jahre. Weitere vier bis fünf Jahre dauerte es danach, ehe die Anlage zugelassen war. Genehmigungsverfahren von zwei Jahren? Keine Seltenheit, sondern die Regel.
Seit 2022 liegt der Ausbau der erneuerbaren Energien im „überragenden öffentlichen Interesse“. Aus den Verbänden kam Kritik, dass es trotzdem nicht vorangehe. Dass 200 000 Fachkräfte fehlen, macht die Sache nicht einfacher. Im März will Habeck zu einem Windkraft- und zu einem separaten Photovoltaikgipfel laden. Es sollen Strategien entwickelt werden, die den Ausbau voranbringen sollen. Gut für Verbraucher: Der Mieterstrom soll reformiert werden, so dass Mieter von einer Photovoltaikanlage profitieren können, der Einbau von Balkon-Photovoltaikanlagen soll erleichtert werden.
Industrie
Immer wieder wurde zuletzt vor einer Deindustrialisierung in Deutschland gewarnt. Pläne wie die des Chemieriesen BASF, der 2600 Stellen streichen will, verstärkten die Debatte. Eine schrumpfende Industrie kann sich auch Habeck nicht leisten, will er nicht nur die Klimaziele erreichen, sondern auch den „Wohlstand erneuern“, wie es als übergeordnetes Ziel im Bericht seines Hauses steht. Die „gesamtwirtschaftliche Stabilität“ sei dafür eine wichtige Voraussetzung. Helfen könnte günstige Energie. Seit Jahren klagen die Unternehmen, dass die Kosten zum Standortnachteil werden. Nun soll ein Industriestrompreis für Entlastung sorgen: Ein Preis, der in Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien erzielt wird, soll über Differenzverträge an die Industrie weitergegeben werden.
Rohstoffe
Der Zusammenbruch der Lieferketten während der Corona-Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar Deutschland in sensiblen Bereichen wie der Halbleiterindustrie ist. Deutschland will Kapazitäten aufbauen, jedoch ist laut Wirtschaftsministerium in der Halbleiterindustrie jeder zweite Arbeitsplatz unbesetzt. Nicht nur Fachkräfte, auch die benötigten Rohstoffe sind derzeit knapp.
Beim für die Autoindustrie wichtigen Palladium besitzen Südafrika und Russland einen Marktanteil von 80 Prozent, ebenso bei Platin. Über 80 Prozent der Seltenen Erden stammen aus China. Daher will das Ministerium nun das Berggesetz modernisieren und verstärkt nach heimischen und europäischen Rohstoffen Ausschau halten. Aber auch neue Partnerschaften wie jüngst mit Chile sollen die Abhängigkeiten reduzieren.
Wohnen
Das geplante Verbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 hat eine hitzige Debatte ausgelöst. Klar ist: Deutschlands Gebäudebestand ist nicht klimafit. Ein Drittel aller Endenergie wird in Gebäuden verbraucht. Das Wirtschaftsministerium hat daher im vergangenen Jahr die Zügel angezogen. Mit durchwachsenen Ergebnissen. So kollabierte zweimal die Neubauförderung.
Mittlerweile gilt ein strengerer Energiestandard, aber die Neubauzahlen brechen ein. Auch bei den Sanierungen setzte Habeck den Rotstift an, um nicht wieder in einen Förderstopp zu laufen und das vorhandene Geld breiter zu verteilen. Immerhin: 200 000 Wärmepumpen wurden laut Wirtschaftsministerium im vergangenen Jahr bewilligt, 110 000 Biomasseheizungen und fast 140 000 Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden.
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