Bildung

Kritik am Schulsystem: Mannheimer Schüler veröffentlicht Buch

Veraltete Lehrpläne, unfaire Notengebung, Frontalunterricht: Marc Kaiser aus Mannheim findet viele Mängel am Schulsystem. In seinem Buch macht er Vorschläge, wie es verbessert werden könnte

Von 
Katja Geiler
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Marc Kaiser möchte mit seinem Buch andere Schülerinnen und Schüler ansprechen. © Katja Geiler

Mannheim. Marc Kaiser aus Mannheim steckt gerade mitten in den Vorbereitungen zum Abitur. Während seiner Schulzeit war ihm aufgefallen, dass das Schulsystem Mängel aufweist und an der Praxis vorbeigeht.

Dem heute 20-Jährigen, der ein berufliches Gymnasium besucht, sind gleich so viele Ecken und Kanten aufgefallen, dass er ein Buch darüber veröffentlicht hat: „Marionette Schüler - Kritik am Schulsystem aus der Sicht eines Schülers“, erschienen 2024 bei Epubli.

„Genau genommen kritisiere ich nicht das System, sondern die Umsetzung. Ich habe meine Mitschüler gefragt, was ihnen nicht gefällt, und habe ein großes Feedback bekommen, auch während des Schreibprozesses. Ich habe geprüft, ob die anderen die gleichen Gedankengänge haben wie ich.“ Und tatsächlich, der Abiturient stand mit seiner Meinung nicht allein da, im Gegenteil, der Kreis wurde immer größer. Ob Schüler, Lehrer, Freundeskreis oder sogar ehemalige Lehrer - keiner konnte die Thesen, die Marc aufgestellt hatte, widerlegen.

Kompakte Kritik am Schulsystem auf 100 Seiten

Im Oktober 2023 begann er mit dem Schreiben, jeden Tag zwei bis drei Stunden, und schon im Februar darauf wurde das Buch veröffentlicht. Auf 100 Seiten spricht Marc verschiedene kritische Punkte an, zum Beispiel wie fair die Notengebung ist oder wie sinnvoll die Lehrpläne sind.

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Das Buch ist dünn und liest sich schnell - dabei hat sich Marc etwas gedacht: „Die Leute, die ich ansprechen will, sind vorwiegend Schülerinnen und Schüler. Wenn man sich die Schullektüre durchlesen muss, bleibt keine Zeit mehr für ein dickes Buch.“

Der Anlass, überhaupt mit dem Buch zu beginnen, war eine Klausur, in der es keine wirkliche Antwort und somit auch keine Musterlösung gab. Doch wie soll ein Lehrer eine solche Klausur überhaupt benoten? Nach Kreativität, Menge des Geschriebenen oder vielleicht nach der Meinung der Schüler? „Ich verstehe, dass Meinungsfreiheit eines unserer wichtigsten Güter ist. Aber wie kann es auf Meinungen Punkte in einer Klausur geben? Wie wird entschieden, was richtig ist und was nicht?“, fragt Marc. „Immerhin war dies eine Klausur, die einen Einfluss auf die Abinote hat, bei der wiederum Stellen hinter dem Komma entscheiden, ob man zum Beispiel Medizin studieren darf.“ Eine Chancengleichheit sei nicht möglich, wenn es sich nicht um eine konkrete Wissensabfrage handelt und es eine Musterlösung gibt, mit der man die einzelnen Klausuren der Schüler abgleichen kann.

Schüler fühlen sich bei Benotung oft machtlos

Die Notengebung nimmt im Buch fast ein Drittel ein. Marc durchleuchtet die Probleme, die bei der Vergabe von mündlichen und schriftlichen Noten auftauchen können. Viele fiese Dinge aus der Schulzeit kommen darin vor, wie zum Beispiel die „Motivationsnoten“, bei denen die Schüler die etwas schlechteren Noten bekommen, damit sie sich mehr anstrengen, oder die allseits unbeliebten „Überraschungstests“, die Marc besonders unfair findet.

Oft falle die Notenvergabe der „pädagogischen Freiheit“ zum Opfer, dann fühlen sich die Schüler umso machtloser. Da Marc ein Talent für Mathematik hat, hat er den „ungefähren Einfluss“ der Schüler auf die Endnote (mündlich plus schriftlich) ausgerechnet und kommt auf 35 Prozent. Für eine Klausur viel lernen und alles hinterher vergessen, im Volksmund auch „Bulimie-Lernen“ genannt, findet Marc sinnlos, weil man kurz danach alles vergessen hat.

Doch Marc kritisiert nicht nur, er macht auch Lösungsvorschläge: „Ich finde, der Unterricht sollte praktischer sein, man könnte mehr Experimente machen. Wir sollten weg vom morgens in die Schule, den ganzen Tag Theorie lernen, abends wieder heim.“ Er nennt ein Beispiel aus seinem Umfeld, bei dem der Lehrer ein historisches Ereignis mit verdeckten Rollen nachspielen ließ und der Aha-Effekt bei der Klasse so groß war, dass er sich ins Gedächtnis einbrannte. „Das ist nicht Schule, sondern Vermittlung von Bildung.“

Forderung: Lehrpläne flexibilisieren und mehr praktische Erfahrungen

Auch den Bildungsplan nimmt Marc unter die Lupe. „Besorgniserregend ist vor allem, dass Menschen, die längst nicht mehr in der Schule sind, maßgeblich an der Gestaltung des Bildungsplans beteiligt sind“, schreibt er im Buch. Ein Klassenzimmer sehe fast noch so aus wie eines vor 100 Jahren, Schule und Lehrplan seien veraltet.

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Als Verbesserung schlägt Marc die „Individualisierung des Lernens“ vor. Büffeln war gestern, die Zukunft könnten flexible Lehrpläne und Unterrichtsmethoden sein, bei denen sich die Schüler die Themen je nach Interesse und Leistungsniveau auswählen. Auch der Frontalunterricht habe ausgedient, eine zeitgemäßere Form sei die „praxisorientierte Ausbildung“, bei der die Schulen zum Beispiel mit Unternehmen und Institutionen zusammenarbeiten.

Mit der Digitalisierung hinken die Schulen zwar deutschlandweit hinterher, doch Marcs Schule ist in dieser Beziehung sehr gut aufgestellt. „Bei uns ist es top, wir haben ein Schüler-iPad mit reinen Schul-Inhalten, ohne Ablenkung durch Runterladen von Spielen.“

Um einen Einfluss auf das Schulsystem zu haben, wollte Marc lange Zeit selbst Lehrer werden. „Es ist eine Zwickmühle, ich schwanke zwischen Mathe und Wirtschaftsingenieurwesen.“ Doch das eine schließt das andere nicht unbedingt aus.

Marionette Schüler, Taschenbuch, Epubli, ISBN: 9783758468773, Preis: 16,99 Euro

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