Zeitzeichen

Wieso sich Stardirigent Teodor Currentzis im Ukraine-Krieg vielleicht nicht positioniert

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 

Schier alle Welt äußert sich zur Ukraine und veranstaltet weltweit Benefizkonzerte für die Opfer der russischen Invasion. Kleine Ensembles, Einzelkünstler und Theatertruppen sind genauso dabei wie große Klangkörper, etwa das Mannheimer Nationaltheaterorchester. Sie spielen. Sie sammeln. Sie positionieren sich.

So auch der russische Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko: „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt. Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.“ So steht es auf der Webseite des legendären Orchesters.

Nachdem Stardirigent (und Putin-Freund) Valery Gergiev aus München verjagt wurde und Starsopranistin (und Putin-Freundin) Anna Netrebko weltweit Absagen kassiert hat, bleibt es im Ländle still. Haaallo? Ist da wer? War da nicht ein bedeutender Protagonist? Oh ja: Aber aus Stuttgart, wo der vielleicht eigenwilligste, fundamentalistischste und gleichermaßen interessanteste Dirigent unserer Zeit das SWR Symphonie Orchester dirigiert (oder gar regiert?), ein egomaner Dandy sondergleichen, ist nichts zur Ukraine und schon gar nichts Russland- oder Putin-kritisches zu hören. Es geht natürlich um Teodor Currentzis, den Griechen mit den Formel-1-Tempi, der wie Gérard Depardieu im russischen Paradies Steuern bezahlen soll.

Natürlich steht Currentzis als Wahlrusse nicht unter Generalverdacht. Aber als Musiker, der augenscheinlich jahrelang von Putins Macht und seinen Oligarchen profitiert hat, könnte man sein Schweigen einschlägig interpretieren. Currentzis Vorzeigeensemble MusicAeterna übrigens ist weitgehend von der russischen VTB-Bank finanziert, und sein Opernhaus im kalten Perm wurde, so schreibt es das Klassikmagazin „Van“, maßgeblich von einigen Oligarchen und Firmen aus der Region um Perm unterstützt.

Man müsse wissen, schreibt wiederum Axel Brüggemann in der Zeitschrift „Crescendo“, dass der Vorstandsvorsitzende der VTB-Bank (Andrei L. Kostin), Putins Ex-Botschafter in London, „per Erlass des russischen Präsidenten – also per Dekret – ernannt wurde“. Brüggemann schließt daraus: „Man könnte auch sagen: Was Gazprom für Schalke 04 ist, ist die VTB-Bank für Teodor Currentzis und sein Orchester.“

Ist am Ende nicht auch der SWR in Zugzwang? Wenigstens ein Statement, bitte. Eine Erklärung. Eine Positionierung. All die Toten und Verletzten haben das verdient. So maulfaul sind doch normalerweise nicht mal Schwaben. Stefan M. Dettlinger

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen