Zeitzeichen

Wie Leere den Künstler Banksy vertreten soll

Leere kann sehr vielsagend wirken. Sie lädt auch dazu ein, mal ein Päuschen zu machen und dann etwa die Gedanken kreisen zu lassen. Ein leerer Stuhl lässt ebenfalls an vieles denken, sogar an den Streetart-Künstler Banksy.

Von 
Thomas Groß
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Leere ist nicht nichts. Und Leerstellen können sehr bedeutsam wirken. Zunächst sei in diesem Zusammenhang ganz konkret an eine zumindest früher häufigere Weise, mit einer Leere umzugehen, erinnert. Auf Formblättern stand oft dort, wo der Haupttext schon zu Ende war, aber noch nicht das Blatt Papier, worauf er gedruckt war: „Raum für Notizen“. Das war eine schöne Einladung, die Leere zu füllen, beispielsweise mit schriftlich fixierten Gedanken, sei es zu der betreffenden Sache selbst oder auch zu etwas ganz Anderem.

Oder man nehme die Leere als Pause, um zwischendurch mal Atem zu schöpfen und die Gedanken, wenn nicht zu formulieren, so doch ein wenig kreisen zu lassen, wie man sagt. Letzteres ist freilich nur ratsam, sofern man nicht zu starken Fixierungen und sogenannten fixen Ideen neigt. Wenn die Leere mit Stille einhergeht, lässt sich erst recht diese genießen. Immerhin sind wir alle mehr als genug von Geräuschen, oft gleich gar von Lärm umgeben, so dass auch hier eine Abwechslung willkommen sein mag. Und möglicherweise erfährt man dann die Stille gar als „Läuten“, wie der Philosoph Martin Heidegger auf seine unnachahmliche Art sagte. Dann kündet sie von etwas, was noch kommt – womöglich von einer großen Sache.

Bedeutsam wirken kann die Leere ohnehin in der Literatur, wo es gilt, zwischen den Zeilen zu lesen. Es kommt dann darauf an, was eben nicht buchstäblich ausgesagt ist. Und auch wenn ein Stuhl leer bleibt, weil etwa jemand verhindert ist und abgesagt hat, kann das viel bedeuten, denn man mag sich ja fragen, warum die Person abgesagt hat, ob sie wirklich verhindert ist oder nur einen Vorwand suchte, um nicht erscheinen zu müssen.

Etwas anders liegen die Dinge bei einem Festakt, der für den morgigen Mittwoch in der Londoner Royal Festival Hall geplant ist. Dort bleibt ein Stuhl voraussichtlich leer, der für den anonymen Streetart-Künstler Banksy reserviert ist. Die britische University of the Creative Arts ehrt Banksy mit einer Ehrenprofessur . Da der Künstler aber nach wie vor im Verborgenen wirkt, konnte man ihm nicht einmal eine förmliche Einladung dafür zusenden. Die Eigenart des Künstlers wird von der Leere unterstrichen. Es ließe sich aber auch sagen, dass die Auszeichnung geradewegs ins Leere läuft. 

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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