Zeitzeichen

Rede und Gegenrede

Während man sich früher schlicht und einfach über etwas unterhielt, ist heute immer häufiger die Rede vom "Kommunizieren". Richtig interessant wird das in der Politik

Von 
Harald Sawatzki
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Wir haben lange gezögert, aber nun soll es sein: Wir müssen an dieser Stelle an unseren einstigen Physiklehrer, an Herrn Trost erinnern. Derselbe, ein geübter Kettenraucher, der seine Glimmstängel zwischen zwei kurzen Unterrichtspausen nur ungern links liegen ließ, er gab sich über Jahre alle Mühe, uns Primanern Grundsätzliches aus dem Reich der Physik zu vermitteln. Mit ganz unterschiedlichem Erfolg. Unsereiner, mit mathematischen Fähigkeiten rudimentär, gewissermaßen nur tangential ausgestattet, verfolgte die Trost’schen Ausführungen oft eher genervt und gelangweilt. Doch in einer seiner 45-minütigen Vorlesungen gelang es dem Naturwissenschaftler tatsächlich, uns alle mit einer Versuchsanordnung zu fesseln. Das war, als uns Herr Trost – Achtung! – das Prinzip der „kommunizierenden Röhren“ höchst anschaulich vorführte. Wie er das im Einzelnen schaffte, haben wir vergessen. Aber der Begriff vom Kommunizieren machte uns neugierig, weckte unser Interesse.

So ist das bis heute, da im allgemeinen Sprachgebrauch immer häufiger die Rede vom „Kommunizieren“ ist, wo man sich früher schlicht und einfach über dies und das unterhielt, miteinander ins Gespräch kam oder sich auch einmal in die Haare, respektive in die Wolle geriet. Heute reichen oftmals Rede und Gegenrede nicht mehr aus, um die Dinge des Lebens zu klären: Es wird vor allem „kommuniziert“. Am Küchentisch und nicht minder vor laufenden Kameras oder eilfertig hingehaltenen Mikrofonen in den Tagesthemen. Klar, wir verfügen nicht alle gleichermaßen über das Werkzeug zur geschliffenen, geübten Rede wie einst der Tübinger Rhetoriker Walter Jens. Wir wären ja schon zufrieden, schafften wir es in die Liga eines Robert Habeck: Den Schleswig-Holsteiner „Grünen“-Politiker lobte die „Neue Zürcher Zeitung“ dieser Tage in den höchsten Flötentönen mit der großformatigen, knalligen Überschrift, er sei in dieser großen (Energie)Krise ein fürwahr „Großer Kommunikator“. Dabei hält sich der Vizekanzler vor allem an eine – von Politikern leider nicht immer konsequent befolgte – Regel: erst einmal denken und dann ruhig ein wenig so sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. 

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