Zeitzeichen

Krieg um Borschtsch

Offenbar geht auch Krieg durch den Magen. Borschtsch ist jetzt immaterielles Kulturerbe. Den Antrag dazu hatte die Ukraine gestellt, und als Grund dafür wurde auch der Krieg Russlands gegen das Land genannt.

Von 
Thomas Groß
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Mit der russischen Kultur ist es in diesen Tagen so eine Sache. Seit der selbstherrliche Herr im Kreml das Nachbarland Ukraine mit Krieg überzieht, ist im vor allem westlichen Teil der Welt sein eigenes Land schwer in Misskredit geraten – und mit ihm die russische Kultur insgesamt, vor allem ihre aktuellen Repräsentanten. Dass es immer besser ist, zu differenzieren, zeigt sich freilich auch hier. Was kann etwa die Rote-Bete-Suppe Borschtsch dafür, dass alle Welt sie für ein russisches Nationalgericht hält? Eben, sie kann nichts dafür. Und deshalb nimmt man mit Wohlwollen zur Kenntnis, dass die Kulturorganisation Unesco die Zubereitung von Borschtsch zum Immateriellen Kulturerbe erklärt hat. Stutzig macht indes eine nähere Betrachtung der Sache, denn nicht Russland hat die Aufnahme beantragt, sondern die Ukraine. Sie hatte sogar einen Dringlichkeitsantrag gestellt. Die schmackhafte Suppe wird eben auch dort sehr geschätzt. Laut dem Antrag wird sie seit Jahrhunderten im ganzen Land gekocht und verzehrt. In vielen Rezepten spiegelten sich regionale Besonderheiten und lokale Traditionen der Ukraine, zitiert die Nachrichtenagentur epd aus der Bewerbung um den Titel – und merkt zudem an, dass die Suppe außer in der Ukraine und eben Russland auch in Belarus, Polen oder Rumänien vielfach zubereitet werde und sehr beliebt sei.

Was ersieht man daraus? Der Krieg trennt, was zuvor mannigfach und eben auch durch kulinarische Gewohnheiten verbunden war. Dabei sollte Kultur doch insgesamt viel eher Gemeinsinn stiften. Die Ukraine nutzt die Bewerbung für den Hinweis, dass das Land auch in Bezug auf die Pflege seiner Kochtradition bedroht sei. Als Gründe werden millionenfache Flucht genannt sowie der Umstand, dass der Krieg Umweltschäden verursache, welche auch die landwirtschaftlichen Grundlagen der typischen Kochkunst gefährdeten. Mit einem gewissen Bauchgrimmen stellt man fest, dass nicht nur Liebe sprichwörtlich durch den Magen geht. Mit dem Krieg ist es offenbar kaum anders. 

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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