Zeitzeichen

Auch wenn sie klingen wie Drake und The Weeknd - Fake-Songs sind das kleinste Problem

Dass jemand mit einem per KI erstellten Lied ein paar tausend Dollar verdient hat, stört Kulturredakteur Jörg-Peter Klotz wenig. Es zeige aber, dass Musikindustrie, Politik und wir alle Hausaufgaben zu erledigen haben

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Mannheim. Große Aufregung um den Song „Heart On My Sleeve“. Der wurde offensichtlich mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) so gestrickt, dass er klingt, als wäre er von Rap-Superstar Drake und Popsänger The Weeknd produziert. Und das auch noch mit den Stimmen der beiden Musiker. Schnell wurde er von den Streaming-Diensten Apple Music, Spotify, Deezer und Tidal aus dem Verkehr gezogen. Bei TikTok und YouTube brauchte es länger und wohl etwas Überzeugungsarbeit.

Universal, die Plattenfirma hinter den beiden Künstlern, ermahnte die Plattformen mit sehr großen Worten, ihrer ethischen Verantwortung gerecht zu werden. Viel Spaß dabei, wenn das musikalische „Klonen“ von Stars zum Massenphänomen wird und jedes Kind mit irgendeiner App Beyoncé und Elvis zum Duett bitten kann.

Es ist mal wieder überfällig, dass Industrie und Politik erkennen, dass da Hausaufgaben zu erledigen sind. Bis jetzt ist nicht mal klar, wie es urheberrechtlich zu bewerten ist, wenn jemand eine KI mit der Musik der Beatles füttert und daraus ein Album mit neuen Songs entsteht. Gehen die Tantiemen an Lennon/McCartney und Co., an diejenigen, denen die Idee kam, oder die Programmierenden? Da fehlt ein rechtlicher Rahmen, der gar nicht leicht zu definieren sein dürfte. Und an allen Fronten technisches Rüstzeug, etwa eine Art Scanner, der Deep-Fakes und Texte mit KI-Floskeln erkennt – egal ob in Texten, Musik, Bildern, Filmen, Kunst – oder Nachrichten.

Genau, es drohen ganz andere Gefahren durch das enorme Täuschungspotenzial von KI als Fake-Songs. Man stelle sich vor, ein Video ginge viral, in dem ukrainische Soldaten ein Massaker in einem russischen Kindergarten im Donbass anrichten. Oder Bilder von startenden Atomraketen in Ramstein … man will sich das gar nicht weiter ausmalen.

Dagegen sind nachgebaute Popsongs nicht mal Peanuts. Zumal: Auch, wenn KI-Ergebnisse mit Tempo besser und leichter verfügbar werden – zurzeit reicht es ja oft, den gesunden Menschenverstand einzuschalten. Kann es wirklich sein, dass ein nicht ganz junger und gesunder Papst auf einem fast ikonisch gewordenen Bild durch eine Menge rennt wie ein flinker Taschendieb? Bringen zwei der populärsten Musiker der Welt einen gemeinsamen Song heraus, ohne auf ihren eigenen Kanälen dazu einen Piep zu sagen? Solche Fragen automatisch zu stellen, werden wir alle schnell lernen müssen. 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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