Mannheim. Der Weg nach oben ist zwar ausgebaut, aber steil, ja schweißtreibend. Und man staunt. Denn Berlin ist ja nicht gerade für seine Berge bekannt. Und dennoch gibt es einen. Und wie alles in der Hauptstadt ist auch er etwas ganz Besonderes: künstlich aufgeschüttet, aus Millionen Tonnen Kriegstrümmern, im Kalten Krieg wichtigste Spionagestation des Westens, heute eine der größten Street Art-Galerien der Welt.
Erst des Kaisers Jagdrevier, dann Ort für einen Nazibau
Das alles inmitten eines malerischen Gebietes, dem Grunewald, 3.000 Hektar groß. Zu Kaisers Zeiten dessen Jagdrevier, von Hitler ausersehen als Standort einer Wehrtechnischen Fakultät, eine Art NS-West Point, als westliches Tor zur neuen Welthauptstadt Germania. Für den Bau in Form einer mittelalterlichen Festung wird gerodet, 1937 gar von Hitler selbst der Grundstein gelegt. Doch schon 1940 enden die Arbeiten. Personal und Material werden im Krieg für Anderes gebraucht.
Als der verloren ist, ist Berlin ein einziger Trümmerhaufen. 85 Prozent des Stadtzentrums sind zerstört. Wohin mit dem Schutt? Flächen in der Innenstadt sind schnell erschöpft. So wird ein zentraler Schuttabladeplatz auserkoren: auf der Ruine des Hitler-Baus im Grunewald. Ideal in doppelter Hinsicht: Baulich, weil das massive Fundament eine gute Grundlage bietet, politisch, weil ein Nazi-Artefakt verschwindet.
Ein Berg auf 26 Millionen Kubikmetern Schutt
Ab 1950 rollen die Lkw, 22 Jahre lang, bis zu 800 täglich mit 7.000 Kubikmetern Schutt, insgesamt 26 Millionen. So entsteht ein 120 Meter hoher Berg, die höchste Erhebung West-Berlins. Benannt nach dem nahen Teufelssee: Teufelsberg.
Schon früh entstehen Nutzungskonzepte. Das von der DDR eingeschlossene West-Berlin ist arm an Grün und an Ausflugsmöglichkeiten. So werden die neuen Flächen begrünt, eine Million Bäume und Büsche gepflanzt, am Südhang sogar Weinreben gesetzt, deren Produkte als Wilmersdorfer Teufelströpfchen vertrieben werden.
Vor allem beginnt jedoch eine Nutzung für das, wofür alle Berge genutzt werden: Wintersport. Angelegt werden ein Skihang mit Tellerlift und Fluchtlichtanlagen, eine Rodelbahn für Schlittenfahrten und sogar eine Sprungschanze für Skispringer. Der Alpenverein betreibt einen Kletterfelsen. Ein Aussichtsrestaurant soll den Besuchern ermöglichen, den super Blick über Berlin zu genießen.
Ein idealer Ort für Abhörmaßnahmen
Doch mit der Zeit wird diese Nutzung immer weiter zurückgedrängt zu Gunsten einer anderen. Bereits in den 1950er Jahren entdeckt die US-Armee den Berg dank seiner Höhe als idealen Standort für ihre Abhöranlagen. Anfangs mobil, auf Lastwagen mit großen Antennen, ab 1968 in festen Gebäuden; die charakteristischen Kuppeln entstehen, die dem Schutz der Antennen dienen.
Die Field Station Berlin Teufelsberg wird die wichtigste Abhörstation des Westens in Europa. Teil des Netzwerkes „Five Eyes“ (Fünf Augen), einer Geheimdienstkooperation zwischen den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Betrieben von der NSA, die in den 2000er Jahren Schlagzeilen machen wird. Aber auch alle anderen US-Geheimdienste sind vertreten: CIA, DIA, FBI, NRO und NGA. Von den Briten MI6 und MI5, bekannt aus den James-Bond-Filmen.
Die fünf Antennenkuppeln mit einer Gesamthöhe von bis zu 62 Metern reichen weit in das Gebiet des Warschauer Paktes. Ein 120 Meter hoher Stahlrohrmast kann Funksignale mit Frequenzen von 20 MHz bis 1,18 GHz empfangen. Wo immer im Osten Panzer oder Flugzeuge verlegt werden, bekommen die Amerikaner das mit. Ein Frühwarnsystem, das einen Überraschungsangriff ausschließt. Auch vom Bau der Berliner Mauer 1961 erfahren die Amerikaner lange zuvor. Aber tun nichts.
In den 1980er Jahren wird die Anlage massiv ausgebaut. 2.000 Amerikaner und Briten arbeiten im Dreischichtbetrieb 24 Stunden lang, also rund um die Uhr, Sprachexperten sammeln und werten das Gehörte aus. Aber werden auch selbst zum Ziel von Spionage.
Mitarbeiter verkauft topgeheime Infos an den Osten
Der NSA-Offizier James Hall, 25 Jahre jung, leistet ab 1983 seinen Dienst auf dem Teufelsberg - und verkauft geheime Unterlagen an die DDR und die Sowjets. Als Kurier rekrutiert er Hüseyin Yildirim, einen Mechaniker, der als türkischer Gastarbeiter in die Bundesrepublik kommt, zunächst bei Mercedes arbeitet und danach für die Amerikaner in Berlin tätig ist. Jahrelang trägt Hall die Dokumente, insgesamt 14.000 Seiten, in einer Sporttasche mit doppeltem Boden nach draußen, wo sie kopiert werden. Die Originale bringt er zurück, Yildirim die Kopien nach Ost-Berlin zur Stasi.
Doch 1988 fliegen sie auf - durch den DDR-Überläufer Manfred Severin. Hall und Yildirim werden in den USA verhaftet und vor Gericht gestellt. Hall wird 1989 zu 40 Jahren Haft verurteilt, aber bereits 2011 entlassen. Yildirim erhält sogar lebenslange Haft, wird zunächst im Hochsicherheitsgefängnis Pollock in Louisiana inhaftiert, 2003 zur weiteren Verbüßung seiner Strafe in die Türkei überstellt, dort jedoch begnadigt und einen Tag später entlassen.
Nach Ende des Kalten Krieges verzichtbar
Nach der Wiedervereinigung 1990 entfernen die Alliierten die elektronischen Installationen; mit Ende des Kalten Krieges scheinen sie nicht mehr gebraucht zu werden. 1991 ziehen die Allierten ab. Die Geheimhaltung gilt bis heute. Ehemalige Bedienstete sind auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst dazu verpflichtet, alle Dokumente bei der NSA nach wie vor unter Verschluss. Auf unbestimmte Zeit.
1992 geben die USA das Grundstück an das Land Berlin zurück. Dieses beschließt, das 4,7 Hektar große Gelände zu verkaufen. Aber erst 1996 findet sich ein Investor: die Kölner Investorengemeinschaft Teufelsberg KG (IGTB). Preis nach heutiger Kaufkraft: 4 Millionen Euro. Die Architekten Gruhl & Partner planen unter Erhalt der militärischen Anlage ein Hotel mit Tagungszentrum sowie exklusive Wohnungen (Lofts). Bald sind einige Fundamente, ein Keller-Rohbau und sogar eine Musterwohnung errichtet.
Bauprojekt von Grusel-Regisseur David Lynch scheitert
Doch das Bauprojekt, von Anfang an von Naturschützern heftig bekämpft, scheitert an den explodierenden Kosten, der Investor meldet Insolvenz an. Da sich hier nun nichts mehr tut, erlischt 2004 auch die Baugenehmigung von 1998. Die Anlage verfällt und wird Ziel von Vandalismus. Erst recht, als der Senat aus finanziellen Gründen 2003 die Bewachung für drei Jahre aufgibt.
Infos und Tipps zum Teufelsberg in Berlin
Lage : im Westen Berlins, Forstgebiet „Grunewald“.
Nutzung : Malerischer Blick über Berlin. Spaziergänge, Wandern, Mountainbiken, Gleitschirmfliegen. Im Winter Skihang und Langlaufloipe - sollte denn Schnee liegen . . .
Field Station : Navi-Adresse Teufelsseechaussee 10, 14193 Berlin.
Anfahrt mit dem Auto : die Teufelsseechaussee entlang bis zu einer Einfahrt auf der rechten Seite. Dort kostenloser Schotterparkplatz. Von hier aus zu Fuß nur noch 10 Minuten, aber relativ steil aufwärts.
Nahverkehr : keine direkte Anbindung. Nächstgelegener Anlaufpunkt: S-Bahn Station Heerstraße. Von dort ca. 30 Gehminuten bis zum o. g. Parkplatz.
Alternative : Taxi unter Tel. 030 - 44 33 22, Kosten: um die 10 Euro.
Öffnungszeiten : täglich 11 Uhr bis Sonnenuntergang. Man kann das Gelände gegen Eintritt selbst erkunden oder an Führungen teilnehmen.
Eintritt : Erwachsene 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Kinder und Jugendliche (8 bis 17 Jahre) 5 Euro, Kinder unter 8 Jahren frei. Vor Ort bar und per Karte zahlbar, Buchung online möglich, aber nicht zwingend.
Führungen : zu verschiedenen Themen wie Geschichte, Street Art, Botanik oder Akustik.
Ausstellungen : „Declassified“ (zur Geschichte des Areals) täglich 12 bis 20 Uhr; Museum der Alliierten in Berlin: Donnerstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr. Beide hervorragend, absolut sehenswert!
Infos : teufelsberg-berlin.de. -tin
Immer wieder gibt es spektakuläre Ideen. Die Maharishi-Stiftung plant 2008 den Bau einer Vedischen Friedensuniversität mit einem 50 Meter hohen „Turm der Unbesiegbarkeit“. Grusel-Regisseur David Lynch will sich mit seiner Stiftung an der Finanzierung beteiligen und legt sogar einen symbolischen Grundstein. Doch auch dieses Projekt scheitert. 2009 fordern US-Veteranenvereine die Einrichtung eines Museums für die Westallierten.
Seit einigen Jahren gelungener Mix aus Geschichte und Kunst
Ab Februar 2011 bietet der Stadthistoriker Andreas Jüttemann täglich Führungen über das ansonsten nicht zugängliche Gelände an - die erste Möglichkeit seit dem Bau der Field Station, das Gipfelplateau des Berges legal zu betreten.
2013 gründet sich vor Ort der Verein „Initiative Kultur-DENK-MAL Berliner Teufelsberg e. V.“ Sein Ziel: den Teufelsberg in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz zu stellen und zu einem Zentrum für Kultur, Kunst, Geschichte, Technik, Natur und neue Wirtschaftsmodelle zu entwickeln. Das erste Ziel ist 2018 erreicht: Der Teufelsberg wird aus städtebaulichen und historischen Gründen unter Denkmalschutz gestellt. Künstler beginnen, die Gebäude großflächig zu gestalten.
2022 schließt das Land Berlin mit der Nutzergemeinschaft (diese in Form einer GmbH & Co. KG) einen Vertrag. Er sieht den Erhalt des Denkmals sowie dessen Nutzung für Kultur, Wissenschaft und Forschung vor. Und die ist auf gutem Wege.
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