Trinkfester Hofnarr

Dieser kleine Mann soll das große Fass im Heidelberger Schloss ganz alleine ausgetrunken haben: Um Perkeo, zu Beginn des 18. Jahrhunderts Hofnarr unter Kurfürst Carl Philipp von der Pfalz im Schloss Heidelberg, ranken sich viele amüsante Geschichten.

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Peter W. Ragge
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Hofnarr und weinseliges Original: Gegenüber dem weltberühmten "Großen Fass" auf dem Heidelberger Schloss ist eine Statue von "Perkeo" zu sehen. Foto: Philipp Rothe, 04.02.2018 © Rothe

Es gibt ihn bis heute – aus Holz. Die geschnitzte, bunt bemalte Figur wacht im Fasskeller des Heidelberger Schlosses genau so wie einst jener Mann, der dieses Amt ausgeübt hat. Ein kleiner Mann zwar, aber gekleidet wie die ganz großen Amtsträger am Hof des Kurfürsten Carl Philipp.

Dieser letzte Vertreter der Wittelsbacher Linie Pfalz-Neuburg wird am 4. November 1661 in Neuburg an der Donau geboren, als siebtes von 17 Kindern von Kurfürst Philipp Wilhelm von der Pfalz (1615-1690).

Zunächst für die geistliche Laufbahn bestimmt, tritt er in die kaiserliche Armee ein. Er kämpft 1691 bis 1694 in den Türkenkriegen, wird Generalfeldmarschall und 1705 Statthalter des Kaisers in den ober- und vorderösterreichischen Landen in Innsbruck. Die Innsbrucker Hofkapelle hat damals hohen Rang, sie gilt später als Grundstock der „Mannheimer Schule“. Carl Philipps erste Frau, Luise Charlotte von Radziwill, stirbt 1695, sieben Jahre nach der Hochzeit. Die zweite Frau kommt 1712, wie die gerade erst geborene Tochter, im Kindbett um.

Noch ganz in Trauer, soll Carl Philipp in Innsbruck Perkeo erstmals kennengelernt haben. Ein Hofbeamter berichtet ihm von einem besonders trinkfesten, zu Späßen aufgelegten Zwerg. Bei einem Wetttrinken mit dem Herrscher kann der ihn aufmuntern und sehr gut mithalten, was Carl Philipp enorm beeindruckt. Schon beim ursprünglichen Namen des kleinwüchsigen Mannes scheiden sich aber die Geister. Meist wird er Clemens Pankert genannt, andere Quellen sprechen von Giovanni Clementi. Übereinstimmend ist dann wieder das Geburtsjahr: 1702 in Salurn, Südtirol. Auch als Beruf wird er stets als Knopfmacher bezeichnet.

Etikette durchbrochen

Insgesamt gebe es „leider viele Legenden und wenig Belastbares“, sagt Uta Coburger, für das Heidelberger Schloss zuständige Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg: „Da treffen realitätsnahe Darstellung auf die damalige Faszination für das Kuriose, vor allem für Missbildungen, Kleinwüchsigkeit, die man in den vielen Darstellungen erkennt“, so Coburger. Hofnarren, schon seit der Antike bei den Römischen Kaisern und vornehmlich ab dem Mittelalter üblich, „mussten aber nicht kleinwüchsig oder missgestaltet oder geistig beeinträchtigt sein“, unterstreicht sie.

Wichtig sei einfach die Unterhaltung gewesen, „die die strenge zeremonielle Etikette durchbrach“. Manche Hofnarren hätten dem Herrscher den Spiegel vorhalten und ihn foppen, aber gleichzeitig nicht ernsthaft verärgern dürfen. „Sie konnten auch mal unschöne oder sarkastische Wahrheiten sagen, was dem normalen Höfling nicht zustand“, so Coburger. Dabei habe der Hofnarr eine ähnliche Funktion als „gesellschaftliches Ventil“ wie die Karnevalsmaskeraden, die auch erlaubten, der Obrigkeit eine lange Nase zu drehen. Von Perkeo sind kritische Äußerungen nicht überliefert, nur witzige Schlagfertigkeit und Trinkfestigkeit. Aber sicher sei: „Er hat gelebt, er ist keine Erfindung!“, betont sie – wenn auch manche Jahreszahl, manches Detail nicht genau durch Quellen verbürgt ist.

Das gilt indes nicht allein für Perkeo, sondern auch für seinen „Chef“, Carl Philipp. Nach dem Tod seines älteren, kinderlos gebliebenen Bruders Johann Wilhelm im Juni 1716 kommt auf ihn die Nachfolge als Kurfürst der Pfalz und Herzog von Pfalz-Neuburg sowie von Jülich und Berg zu. Doch nach Düsseldorf, von wo aus der auch sein pfälzisches Territorium regierte, will er nicht. Ihn zieht es in die Kurpfalz. Bis 1717 bleibt er wohl noch in Innsbruck, unterbricht dann wegen der Schwangerschaft seiner Tochter aus erster Ehe die beschwerliche Fahrt im Stammsitz Neuburg für fast ein Jahr. Erst ab August 1718, so sagen es die Coburger vorliegenden Quellen, steuert er endgültig Heidelberg an.

Bei den offiziellen Einzugsfestivitäten wird im Schloss eine Serenade mit dem Thema „Das fünfte Element“ aufgeführt. Elisabeth Auguste Sophie, die Tochter von Carl Philipp, soll sogar selbst mitgesungen haben. „Ihre musikalische Begabung ist durch viele Berichte verbürgt, also durchaus vorstellbar, dass es so war“, so Coburger. Als das „Fünfte Element“ wird der Wein gerühmt, im Singspiel das berühmte große Fass hervorgehoben.

Uniform mit Schlüssel

Perkeo ist dabei – wie übrigens auch Hofbaumeister Alessandro Galli da Bibiena, in Mannheim später verantwortlich für Schloss und Jesuitenkirche. Schon in Innsbruck hat Carl Philipp den kleinwüchsigen Mann mit großer Lebensfreude gleich verpflichtet, zum Hofnarren und Kellermeister im Range eines Kammerherrn ernannt. Er wird mit einer farbigen Uniform und einer Perücke ausstaffiert, erhält statt eines Degens einen riesigen Kellerschlüssel, nach anderen zeitgenössichen Schilderungen und einem Gemälde im Heidelberger „Kurpfälzischen Museum“ auch einen überdimensionalen Fantasieorden.

Auf die Frage, ob er noch einen Becher Wein leeren wolle, soll Perkeo stets in Italienisch geantwortet haben: „Perché no?“, sprich „Warum nicht?“. So habe der nur 1,10 Meter große Hofnarr seinen berühmten Künstlernamen erhalten, zitiert Coburger aus alten Unterlagen. Perkeos Scherze hätten den Regenten und die höfische Gesellschaft entzückt, andererseits hätte er „die Hofgesellschaft ziemlich auf Trab gehalten und verspottet“, so Coburger.

Mit dem Lied „Das war der Zwerg Perkeo, im Heidelberger Schloss. An Wuchse klein und winzig, an Durste riesengroß“ hat der Karlsruher Schriftsteller und Liedautor Joseph Victor von Scheffel (1826-1886), auch bekannt für „Alt Heidelberg Du feine“, ihm ein musikalisches Denkmal gesetzt. „War´s drunten auch stichdunkel, ihm strahlte inneres Licht, und wankten auch die Beine, er trank und murrte nicht“, so Victor von Scheffel über Perkeo.

Wegen Wasser gestorben?

Zuvor hat schon der französische Schriftsteller Victor Hugo 1840 nach einem Besuch des Heidelberger Schlosses geschrieben: „Wenn man in dem Schatten des großen Fasses dahingeht, bemerkt man plötzlich hinter den stützenden Bohlen eine eigenartige Gestalt aus Holz, auf die eine Öffnung in der Mauer einen fahlen Lichtschimmer fallen läßt. Man könnte sagen, es ist ein kleiner, lustiger Alter, grotesk aufgeputzt“, schildert er das Denkmal für den Hofnarren: „Perkeo war sein Name. Er maß drei Fuß sechs Zoll, wie sein Standbild, unter dem sein Name steht. Täglich trank er fünfzehn doppelte Flaschen Rheinwein. Darin lag seine Stärke“, so Victor Hugo.

„Perkeo hat immer viele Leute beschäftigt – über die Jahrhunderte hinweg, und manches ist sicher einfach Erzählung, aber mit wahrem Kern“, erklärt Uta Coburger. Nicht belegt ist freilich, ob das kleine Denkmal am Fass, das man ihm noch zu Lebzeiten – ein Beweis seiner Popularität – gesetzt hat, wirklich von ihm selbst entworfen und angefertigt worden ist. Und dass Perkeo wirklich das Große Fass in einem Zug austrinken konnte, scheint auch sehr unwahrscheinlich.

Als sich der katholische Kurfürst Carl Philipp 1720 mit dem calvinistischen Oberkirchenrat von Heidelberg über die Nutzung der Heilig-Geist-Kirche verkracht, verlegt er die Residenz kurzerhand nach Mannheim und beginnt hier mit dem Bau des Schlosses. Doch da er quasi über Nacht Heidelberg den Rücken kehrt, bezieht er als Interimsresidenz das Palais Oppenheimer in R 1 am Marktplatz. Platz für einen großen Hofstaat ist da nicht. Also bleibt Perkeo in Heidelberg, als erfahrener Betreuer der kurfürstlichen Weinfässer, und das noch 15 Jahre lang. 1735 soll er im Alter von 33 Jahren gestorben sein, der Legende nach weil er wegen einer Unpässlichkeit ein Glas Wasser anstatt Wein trinkt und sich so mit der Ruhr ansteckt. Coburger hält das für gut möglich. „Man hat ja deshalb damals so viel Wein und Bier getrunken, weil es im Wasser viele Keime gab“, so die Konservatorin. Wasser konnte man nur abgekocht, etwa als Suppe, genießen.

Das vierte Fass

Nicht nur in Liedern und Legenden ist Perkeo unsterblich. „Perkeo“ gibt es seit 1894 als beim Kaiserlichen Patentamt eingetragene und immer wieder verlängerte Marke für Lampen und Lampenteile, als Name eines Gasthauses in der Heidelberger Altstadt, als Bezeichnung eines Neutronen-Zerfall-Experiments der Universität Heidelberg wie auch einer Sorte der Efeusammlung des Stifts Neuburg in Heidelberg-Ziegelhausen.

Wenn Heidelberg hohen Besuch bekommt, etwa im Sommer 2017 der britische Prinz William und Herzogin Kate, wird er auch von einem Perkeo begrüßt: von Thomas Barth. Der Schreinermeister und CDU-Stadtrat, Präsident des Heidelberger Karneval Komitees (HKK), Autor von Büttenreden und unzähligen Theaterstücken, Schauspieler und Regisseur, schlüpft nicht nur zur Fasnachtszeit in das Kostüm des Hofnarren. Er führt die vor genau 111 Jahren gegründete, größte, älteste und renommierteste Heidelberger Karnevalsgesellschaft, die auch den Namen „Perkeo“ trägt, und ist seit 1999 witzig-schlagfertiger Darsteller der Symbolfigur. Seit 1929 gibt es die Tradition, den barocken Hofnarren an Fasnacht – und nicht nur da – wieder auferstehen zu lassen. Barth ist nach Karl Klebes, Fritz Jauché und Richard Klebes aber erst der vierte Darsteller des Hofnarren und Wächters des großen Fasses.

Was es indes nicht mehr gibt, ist das Fass, das der Zwerg – angeblich – ausgetrunken hat. Das „Große Fass“, das die Holzfigur des Hofnarren heute bewacht, trägt die Initialen „CT“ und den Kurhut – Zeichen dafür, das es in der Ära von Kurfürst Carl Theodor, der ab 1742 bis 1777 im Mannheimer Schloss regiert, gebaut worden ist. 1751 wird es, aus ungefähr 90 Eichen aus den Pfälzer Wäldern gefertigt, hergestellt. Es ist das vierte „Große Fass“.

Ein Aprilscherz

Pfalzgraf Johann Casimir, Administrator der Kurpfalz von 1588 bis 1593, hat das erste, nach heutigem Maß 127 000 Liter Wein fassende Exemplar 1591 in Auftrag gegeben. Nach dem 30-jährigen Krieg lässt Kurfürst Karl Ludwig, der 1648 bis 1680 regiert, 1664 ein neues, wesentlich größeres Weinfass aus Eichen vom Königstuhl sowie Wäldern der Region zimmern – 197 000 Liter fassend. Etwas mehr, nämlich 202 000 Liter, passen dann in dessen erweiterte, reparierte und rundum erneuerte Version in der Ära von Carl Philipp und Perkeo.

„Aber das Holz verändert sich, solche Fässer halten nicht auf Dauer dicht“, erläutert Coburger, warum Carl Theodor 1751 dann doch wieder einen Neubau mit 228 000 Litern in Auftrag gibt, obwohl sein Hof ja in Mannheim sitzt. „Aber richtig dicht ist es nie, es wird nur drei Mal gefüllt, 1769 die Nutzung aufgegeben“, weiß Coburger. Nach den Eintrocknungen im Verlauf der Jahrhunderte soll das Volumen heute noch 219 000 Liter betragen. Genau weiß das nicht einmal die Dilsberger Feuerwehr. Die hat sich zwar zum 1. April 1997 ablichten lassen, wie sie das Behältnis mit dicken Schläuchen wieder füllt – angeblich mit Wein, der kostenlos abgegeben wird. Aber das war nur ein Aprilscherz.

Anschrift: Schloss Heidelberg, Schlosshof 1, 69117 Heidelberg

Öffnungszeiten: Täglich 8 bis 18 Uhr, letzter Einlass 17.30 Uhr

Führungen: Das Fass ist zu den Öffnungszeiten immer zugänglich. Eine Besichtigung der Innenräume des Schlosses ist nur mit einer Führung möglich. 1. April bis 31. Oktober: Mo bis Fr stündlich 11 bis 16 Uhr, Sa, So, Feiertage stündlich 10 bis 16 Uhr, 1. November bis 31. März: Mo bis Fr 11 Uhr, 12 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr, Sa, So, Feiertage stündlich 11 bis 16 Uhr

Eintritt: Erwachsene 7 Euro, Ermäßigte 4 Euro. Das Schlossticket beinhaltet die Hin- und Rückfahrt mit der Bergbahn zum Schloss, den Schlosshofeintritt, die Besichtigung des Großen Fasses sowie den Eintritt in das Deutsche Apothekenmuseum. Audioguide zusätzlich zum Schloss-ticket 5 Euro, Schlossführungen zusätzlich zum Schlossticket Erwachsene 5 Euro, Ermäßigte 2,50 Euro, Familien 12,50 Euro.

Anfahrt: Mit dem Auto auf die A 656 in Richtung Heidelberg und in den Stadtkern hinein. Die A 656 geht in die B 37 über, dieser folgen am Neckar entlang bis zur „Alten Brücke“, anschließend bei zweiter Gelegenheit in die Mönchgasse abbiegen zum Karlsplatz/Tiefgarage oder bis Parkhaus Rathaus/Bergbahn. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ab Hauptbahnhof Heidelberg mit Buslinie 33 bis Haltestelle Bergbahn, in beiden Fällen dann zu Fuß über eine steile Treppe oder mit der Bergbahn bis Station Schloss. Direkt am Schloss keine ausreichenden Parkmöglichkeiten.

Perkeo-Fasnacht: Die Heidelberger Karnevalsgesellschaft „Perkeo“ lädt heute ab 19.30 Uhr, am 11. Februar ab 15 Uhr und am 12. Februar um 19.30 Uhr ins Theater Heidelberg zur Komödie „Die 11 Weststadt-Narren“ aus der Feder von Perkeo Thomas Barth. Restkarten an der Theaterkasse. Der große Heidelberger Fasnachtszug startet am Dienstag, 13. Februar, 14 Uhr. pwr

 

Redaktion Chefreporter

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