Zeitreise - Schloss Schwetzingen

Kühlschrank des Kurfürsten

Wie hat man in der Barockzeit in heißen Sommern Getränke gekühlt, erfrischende Sorbets serviert und Vorräte konserviert? Kältemaschinen oder Aggregate wie heute gab es nicht. Aber tiefe Gewölbekeller, von denen sich einer in Schwetzingen sehr gut erhalten hat.

Von 
Peter W. Ragge
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Brrrr. Es ist kühl hier, ja sogar kalt. Draußen brennt die Sonne, zeigt das Thermometer mehr als 30 Grad an. Hier aber, ganz in der Nähe des Schwetzinger Schlosses, legt sich leichte Gänsehaut auf die Arme. Das liegt indes nicht daran, dass „Service Center Finanzamt Schwetzingen“ am Eingang steht. Doch hinter den Schreibtischen führen eine schräge, graue und knarrende Holztür, zehn steile Treppenstufen nach unten sowie eine weitere Holztür in einen tiefen, faszinierenden Gewölbekeller.

Da hat man einst all die Lebensmittel aufbewahrt, die für den 1742 bis 1778 von Mannheim aus die Kurpfalz regierenden Kurfürsten Carl Theodor und seinen Hofstaat nötig sind. Über 600 Leute stehen zu jener Zeit auf der Gehaltsliste des Regenten, dazu kommen zahlreiche Angehörige. Stets im Frühjahr zieht eine endlose Kutschenkolonne vom Mannheimer Schloss in die Schwetzinger Sommerresidenz und im Herbst zurück.

Für sie braucht man Obst, Gemüse, dazu Hühner, Enten, Gänse sowie viel Wild. „Fleisch war Grundnahrungsmittel am Hof“, weiß Ralf Wagner, bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg Konservator für Schwetzingen: „Man rechnete mit einem Pfund Tagesbedarf pro Kopf“.

Eisenhaken fürs Fleisch

Doch „Einfrieren kannte man noch nicht“, so Wagner: „Aber dass Kälte Lebensmittel länger haltbar macht, das wusste man schon“. Beste Voraussetzungen dafür bietet das Obere Wasserwerk, 1771 direkt am Leinbach in der Zeyherstraße vom Oberbaudirektor der Kurpfalz, Nicolas de Pigage, errichtet. Der äußerlich eher unauffällige, innen aber imposante Bau dient eigentlich dazu, die Fontänen und Wasserspiele des Schlossgartens zu betreiben – doch sein Fundament hat eine zweite wichtige, wenn auch nicht auf den ersten Blick sichtbare Funktion. Da vom Wasserreservoir im Dachgeschoss ein enormer Druck ausgeht, hat Pigage die unteren Wände des Turmes sehr massiv gebaut. „Dafür benützte er sogar Spitzbögen, wie sie sonst in gotischen Kathedralen Verwendung fanden, um den Druck von oben abzuleiten“, erläutert Wagner. Und tatsächlich – zumindest an eine kleine Kathedrale erinnert der 16 Meter hohe Raum des Wasserwerks mit seinen dicken Mauern, der auch in heißen Sommern sehr kühl bleibt. „Er diente deswegen als natürlicher Kühlschrank für die kurfürstliche Schlossküche“, so Wagner.

Auch wenn hier heute Schreibtische von Finanzbeamten stehen – an den weiß gestrichenen Wänden des hohen Raumes ragen Eisenhaken aus den Mauern. „Da hat man Fleisch abgehängt“, so Wagner, aber vermutlich nur das Wild, das schon geräuchert war. Wagner spricht daher vom „Wildbretgewölbe“.

Geht man die Treppe in die Tiefe, erreicht man den eigentlichen Keller. Heute steht hier eine alte Werkbank mit verrostetem Schraubstock, früher vermutlich von Mitarbeitern der Staatlichen Baubehörde genutzt, und man kann ein paar Kartons mit Akten sowie zahlreiche alte hölzerne Fensterläden entdecken. Doch im Barock stellt es das Herzstück der Vorratswirtschaft der gesamten kurfürstlichen Küche dar.

Eisblöcke ausgesägt

Während man in das riesige Gewölbe unzählige Kisten mit Wein sowie Obst und Gemüse aus den weitläufigen kurfürstlichen Nutzgärten eingelagert hat, ist ein schmaler Raum offenbar speziell dem Fleisch vorbehalten gewesen, nimmt Wagner an. Zumindest deuten Eisenstangen und -haken darauf hin, dass man hier ganz viel Fleisch aufgehängt hat.

Nicht allein die dicken Mauern sorgen für angenehme Kühle, ja lassen den Besucher frösteln. In der Ära des Kurfürsten ist es noch viel kälter – durch richtiges Eis. „Schon im antiken Rom ließen sich reiche Patrizier im Sommer durch Stafettenläufer aus den Bergen Eis oder Schnee zur Sorbet-Herstellung bringen“, blickt Wagner zurück. Und daran knüpft man auch im Barock an.

Einen Gefrierschrank kennt man im 18. Jahrhundert zwar nicht, doch die Angestellten des Kurfürsten gewinnen Eis auf ganz natürlichem Weg. „Man hat es im Winter, und damals waren die Winter ja noch viel kälter, aus dem zugefrorenen großen Weiher und den Wasserbassins im Schlossgarten gesägt, dann als Blöcke oder in Form von Stangen in den Keller gebracht,“ erläutert der Konservator. Das habe die Schwetzinger Schlossverwaltung sogar noch bis in die 1950er Jahre so praktiziert und mit den Eis-Stangen örtliche Brauereien beliefert.

Schon im Barock habe man gewusst, dass kalte Luft nach unten fällt. „Also füllte man die Eisblöcke oben ein, so dass die Eismassen auf den gewölbten Decken auflagen“, schildert Wagner. Ein gewaltiger Pfeiler in der Mitte des darüberliegenden Raums weist eine viereckige Öffnung auf, um hier die Eisblöcke zu platzieren. Auch mehrere Nischen im Gewölbe deutet der Konservator so, dass Diener hier Eisblöcke deponiert haben.

„Also funktioniert hat das jedenfalls alles“, weiß der Konservator. Denn nicht nur in Schwetzingen gibt es solch einen Eiskeller. Auch in den Gartenanlagen des „Blühenden Barock“ in Ludwigsburg, in einem Steilhang verborgen und im Sommer einst eigens gegen warme Sonnenstrahlen mit einer Strohhaube abgeschirmt, findet sich noch heute solch ein Gewölbe, während es sich im Mannheimer Schloss nicht erhalten hat. Er soll sich, wie das Schlachthaus, außerhalb der eigentlichen Schlossanlage befunden haben. Aber auch unter der Hofküche, im westlichen Ehrenhofflügel im Bereich des heutigen Studien- und Konferenzzentrums der Mannheim Business School gelegen, lagern zur Zeit des Kurfürsten Vorräte.

Beliebte Sorbets

Schließlich schätzt die Hofgesellschaft stets gekühlte Getränke und Speiseeis. Wichtige Zutaten stellen die selbst angebauten Früchte aus den ausgedehnten Obstgärten und Orangerien dar. Wassermelonen, Pfirsiche, Aprikosen und Kirschen, auch Artischocken und Granatäpfel werden gezüchtet, Apfelsinen und Orangen. Desserts sind stets wichtige Bestandteile der opulent gedeckten Tafeln. Diese kreiert die Hofzuckerbäckerei aus zerstampftem Obst, das mit Zucker und Alkohol in Eis kalt gerührt wird. „Man verrührt die Obstmasse mit Alkohol und Zucker, damit der Gefrierpunkt sinkt, und füllt das Ganze in ein Glasgefäß“, schildert Wagner, selbst gelernter Koch, die damalige Vorgehensweise. Diese Masse stellen die Hofkonditoren in eine Schüssel mit Eis und rühren sie so lange, bis sich an der Glaswand Eiskristalle bilden. „Eine sehr langwierige Prozedur“, räumt Wagner ein.

Gläser gekühlt

Serviert wird das mühsam hergestellte Speiseeis in speziellen Eisgefäßen, „Seaux à glace“ genannt – runde Töpfe mit seitlichen Henkeln und einem flachen Deckel. „In den Topf füllte man das Speiseeis. Auf den Deckel mit dem hohen Rand kam normales Eis aus dem Eiskeller, um das Speiseeis im Topf am Schmelzen zu hindern“, so Wagner.

Richtig kalte Getränke gibt es nicht in Zeiten ohne Kühlaggregate und Eisschränke. Also werden Flaschen und Gläser extra gekühlt – auch mit Eis aus dem Schwetzinger Eiskeller. Drei Beispiele aus Frankenthaler Porzellan sieht man im „Grünen Speisezimmer“ des Schwetzinger Schlosses auf einem Beistelltisch, oft „Schenkentisch“ genannt. „Auch heute gibt es ja noch in sehr guten Restaurants die Wein- oder Sektflaschen in Flaschenkühlern auf Beistelltischen“, zieht Ralf Wagner Parallelen.

Von Pagen bedient

Am kurfürstlichen Hof sind es Pagen, am Hof lebende adlige Jungs zwischen acht und 14 Jahren, die das gewünschte Getränk servieren. Gereicht wird es auf einer Crédence (Tablett mit Fuß), damit es der junge Diener auch sicher tragen kann. „Der Gast ergriff das Glas, prostete dem Kurfürsten mit einem Trinkspruch zu, das Hoforchester im Hintergrund spielte einen Tusch – dann trank man die Gläser bis auf den letzten Tropfen leer“, schildert Wagner die Zeremonie.

Kaum hat der Gast das leere Glas zurückgestellt, eilt der Page herbei, nimmt es mit zurück an den Schenkentisch, spült es in einer Schüssel aus und reicht dem Gast ein neues, gekühltes Glas. Zum Kühlen dienen spezielle Gefäße, als Seaux à verre (Gläserkühler) bezeichnet. Diese ovalen Porzellangefäße verfügen über eine Art Wellenrand, in den man die Gläser einhängen kann – wo sie von Eis umgeben und so gekühlt werden. „So konnte die elitäre Hofgesellschaft auch im 18. Jahrhundert einen heißen Sommer eisgekühlt überstehen“, sagt Ralf Wagner dazu schmunzelnd.



Adresse: Schloss und Schlossgarten Schwetzingen, Schloss Mittelbau, 68723 Schwetzingen

Öffnungszeiten: Bis 26. Oktober: Mo. bis So. 9 bis 20 Uhr, letzter Einlass 19.30 Uhr, ab 27. Oktober bis 28. März 2020: Mo. bis So. 9 bis 17 Uhr, letzter Einlass 16.30 Uhr.

Eintrittspreise Schlossgarten: Erwachsene 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, im Winter Erwachsene 4, sonst 2 Euro.

Führungen Schlossgarten: Samstag 15 Uhr (extra Gebühr, nur im Sommerhalbjahr)

Führungen Innenräume: bis 26. Oktober werktags 11 –16 Uhr stündlich, Sa./So. 10.30 – 17 stündlich, Erwachsene 10 Euro, ermäßigt 5 Euro, Familien 25 Euro.

Sonderführungen: Spezielle Führung „Oberes Wasserwerk“ mit Eiskellerbesichtigung am Samstag, 12. Oktober um 15 Uhr. Führung „Oberes Wasserwerk“ ohne Eiskeller am 15. und 22. September, jeweils 15 Uhr. Besichtigung des Unteren Wasserwerks am 1. September und am 3. Oktober um 11, 12, 13, 14, 15 und 16 Uhr. Erwachsene 12 Euro, ermäßigt 6 Euro. Für alle Sonderführungen Anmeldung erforderlich per Tel. 06221/65888-0.

Besonderer Termin: Samstag, 31. August und Sonntag, 1. September „Classic Gala – Internationaler Concours d‘Elegance von 10 bis 18 Uhr im Schlossgarten mit mehr als 180 Oldtimern Baujahr 1890 bis 1990, umrahmt von Musik, Kunst und kulinarischen Köstlichkeiten. Es gelten die regulären Eintrittspreise.

Einblicke Oberes Wasserwerk: Während der Öffnungszeiten Service Center Finanzamt Schwetzingen, Mo bis Do 9 bis 12 Uhr und 13 bis 15.30 Uhr, Freitag 9 bis 12 Uhr.

Anreise: Zug bis Bahnhof Schwetzingen, von dort zehn Minuten zu Fuß, oder Bahnbus 711 ab Mannheim bis Schlossplatz. Mit dem Auto über die B 36 zum Parkplatz am Alten Messplatz in 300 Metern Entfernung. pwr

 

Redaktion Chefreporter

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