"Guten Morgen, Fräulein!"

Lesedauer: 

Das historische Klassenzimmer ist im Badischen Schulmuseum in Karlsruhe-Palmbach mit Schulmöbeln aus dem 19. und 20. Jahrhundert ausgestattet. Hier finden auch Unterrichtsstunden statt.

© Badisches Schulmuseum

Schleimsuppe. Die Haferschleimsuppe war das Schlimmste!" Noch heute, über 60 Jahre danach, ist Helmut Hofmann der Ekel über die Schulspeisung anzusehen. "Bat man vorsichtig darum, nur wenig zu bekommen, hat der Lehrer den Blechtopf extra vollgemacht."

Was nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) gegen den vorherrschenden Hunger helfen sollte, entwickelte sich unter vielen Schülern zu einer täglichen Herausforderung. "Wir haben immer geschaut, wo wir die Suppe entsorgen konnten - oft ist sie im Blumentopf gelandet", erzählt der 76-Jährige aus seiner Schulzeit in Konstanz. Und seine Frau Hannelore - in Castrop-Rauxel im Ruhrgebiet aufgewachsen - ergänzt: "Unsere Klasse hatte alle Tricks auf Lager. Oft haben wir die Suppe ins Klo geschüttet - manchmal haben die Taschen nur so geklebt vor Haferschleim."

Ständige Demütigungen

Das Essen war nicht die einzige Herausforderung damaliger Schüler. Oberste Devise war: Nur nicht dem Lehrer unangenehm auffallen. Demütigungen und schmerzhafte Strafen waren meist die Folge. "Einmal habe ich beim Glaubensbekenntnis in Religion gestottert, da hat der Pfarrer mir rechts und links eine Ohrfeige gegeben", erinnert sich Hannelore Hofmann. Handtatzen (Schläge mit dem Rohrstock auf die Fingerspitzen) oder Hosenspanner (Stockschläge auf den Bubenpo bei gespannter Hose) - einige schmerzhafte Erfahrungen haben die 76-Jährige und ihr Mann in der Volksschule der Nachkriegszeit gemacht.

Solche Erzählungen hört Trudel Zimmermann oft. Als erste Vorsitzende des Badischen Schulmuseums in Karlsruhe-Palmbach führt sie Besucher aus aller Welt durch die Ausstellung. Zudem gibt sie historische Unterrichtsstunden. "In den Klassen herrschte preußische Ordnung. Der Lehrer wurde gesiezt, man musste vor ihm einen Bückling machen. Was er sagte, war maßgebend", erzählt Zimmermann. Strafen gehörten zur Tagesordnung. "Mädchen durften zum Beispiel nicht pfeifen und Jungs nur außerhalb der Schule. Wenn sie es doch taten, setzte es Backpfeifen."

Unter Schülern gefürchtet waren auch Eselsmütze und Schulkarzer: "Wer frech war, musste die Eselsmütze aufsetzen. Die Mitschüler mussten ihn auslachen und auf dem Heimweg kontrollieren, dass er sie bis daheim nicht absetzte." Bei schwereren Vergehen - Hausaufgaben vergessen, öfter zu spät gekommen oder Äpfel geklaut - wurde der Schüler in den Karzer, das Schulgefängnis, gesperrt. "Bis zu vier Stunden mussten sie dort verbringen", erklärt Zimmermann. Als vorbildlich galt ein Lehrer, der Schüler durch strenge Erziehung an die Tugenden Arbeit, Fleiß, Tugend und Reinlichkeit sowie an Gehorsam und Selbstüberwindung heranführte.

Acht Jahre dauerte die Volksschule ab dem Jahr 1918, Schulbeginn war für die Sechsjährigen an Ostern. "Der Osterhase brachte früher den Schultornister, Griffel und Schiefertafel", erklärt Zimmermann. Nach der Volksschule folgte meist eine Lehre. Weiterführende Schulen konnten sich bis in die 1960er Jahre nur wenige leisten. "Die Schulen waren oft weit weg, es musste Fahrgeld gezahlt werden. Zudem kostete das Gymnasium 1904 200 Reichsmark im Jahr an Schulgeld", sagt Zimmermann. Die Klassen waren nach Geburtsjahrgängen eingeteilt, je nach Region wurden Jungen und Mädchen, Evangelische und Katholische getrennt voneinander unterrichtet.

Der Unterricht selbst war von Disziplin geprägt. "Die Kinder mussten zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn vor dem Klassenzimmer stehen", schildert die Schulfachfrau. "Zuerst betraten die Mädchen den Raum, dann die Buben - damit sie den Mädchen nicht unter die Röcke schauen konnten." Teilweise - wie am Feudenheimer Gymnasium in Mannheim noch zu sehen - gab es auch gesonderte Schuleingänge für Mädchen und Jungen.

"Betrat der Lehrer oder die Lehrerin das Zimmer, mussten die Kinder aufstehen und auf die Begrüßung mit ,Guten Morgen, Herr Lehrer' oder ,Guten Morgen, Fräulein Lehrerin' antworten." Verheiratete Frauen gab es nicht als Lehrerinnen. Bis 1880 durften sie überhaupt nicht heiraten ("Lehrerinnenzölibat"), danach musste das Oberschulamt um Erlaubnis gebeten werden. Wer heiraten durfte, schied aus dem Schuldienst aus. "Die Frauen hatten sich um ihre Familien und ihre Männer zu kümmern", so Zimmermann.

Vor und nach dem 60-minütigen Unterricht wurde gebetet. "Die Schüler haben sich danach in ihre Bank gesetzt, die Hände auf den Tisch gelegt. Der Lehrer hat die Fingernägel überprüft - waren sie dreckig, mussten sie gereinigt werden. Oft gab es dafür auch ,Tatzen'."

Auf dem Stundenplan standen Religion, Lesen, Schönschreiben, Rechnen, Heimatkunde, die Mädchen lernten Handarbeit, die Jungs Werken mit Hobel und Säge. Benotet wurden auch die Attribute Fleiß, Aufmerksamkeit und Sitte. "Bücher waren früher teuer. Es gab die Lesefibel und die Rechenfibel. Gelernt wurde viel mit Anschauungsmaterial wie ausgestopften Tieren, Naturbildern und Landkarten. Auch Ausflüge in den Wald wurden als Anschauungsunterricht genutzt."

Bei all den schulischen Aktivitäten war der Lehrer unangefochtene Respektsperson. Um besser dazustehen oder um Noten zu verbessern, wurden ihm, gerade an Dorfschulen, auch mal Nahrung oder Wein mitgebracht - "Speck und Eier geben Einser und Zweier" hieß damals ein Spruch. "Zudem bekam der Lehrer, der oft in einer ,Lehrerwohnung' im Schulhaus lebte, von jedem Kind ein Stück Holz, damit er die Bude heizen konnte", erzählt Zimmermann. Auch Hannelore Hofmann erinnert sich an solche "Frondienste": "Wir mussten der Lehrerin die Tasche nach Hause tragen. Auch, wenn man dafür kilometerweite Umwege laufen musste."

Mageres Gehalt

Ein Traumberuf war der Lehrerjob dennoch nicht. Der Verdienst war so gering, dass es in der Regel nicht zum Leben langte. Der Unterricht fand meist durch "Schulmeister" statt, die keine spezielle Ausbildung hatten. Oft übten sie im Hauptberuf ein Handwerk aus oder bestellten nebenher den Acker. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden zur Ausbildung der Lehrer spezielle Seminare eingerichtet. Zudem wurden sie erstmals vom Staat eingestellt, bekamen in den Schulhäusern freies Wohnrecht, auch ihr Gehalt stieg.

Zumindest ein wenig. "Noch 1958 betrug mein Einstiegsgehalt als Lehrer 430 Mark", erzählt Wolfgang Benzinger. "Davon gingen allein 100 Mark für die Miete ab." Das änderte sich erst in den 1960er Jahren, als akuter Lehrermangel herrschte. Der Mannheimer hat das Schulsystem der vergangenen 70 Jahre aus allen Perspektiven kennengelernt. Als Schüler in der Feudenheimer Volksschule, in einer Dorfschule und am Gymnasium in Feudenheim. Später als Lehrer, als Rektor und Lehrer in einer Dorfschule mit acht Jahrgängen in einer Klasse, als Konrektor und als Schulrat in Mannheim.

Mit lachenden Augen erinnert sich Benzinger an die Zeit, als er von 1962 bis 1969 Rektor der Dorfschule in Krensheim bei Tauberbischofsheim war. "55 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren saßen in einer Klasse - vom geistig Behinderten bis zum Hochbegabten. Das Dorf war nur auf Feld- und Waldwegen erreichbar. Da konnte niemand weg." Besonders über die Ferienregelung muss er noch heute schmunzeln: "Es gab 75 Ferientage, davon waren 24 festgelegt für den Sommer. Es passierte oft, dass abends um 20 Uhr der Bürgermeister vor der Tür stand und sagte: ,Nächste Woche soll das Wetter passen, ab Montag gibt es Rübenferien!'" Also freie Tage, damit die Kinder bei der Rübenernte helfen konnten. Genau wie Kartoffelferien oder Heuferien. "Es ist wirklich unvorstellbar, wie sich die Welt in den 60 Jahren verändert hat."

Auch, wenn viele über den mangelnden Respekt heutiger Schüler klagen, sieht er die Veränderungen im Schulsystem positiv: "Die Offenheit, die Schüler ihren Lehrern entgegenbringen, ist ungeheuer positiv, Es ist eine Wohltat, wie ungeniert sie Fragen stellen", sagt der 78-Jährige. Früher sei das Verhältnis zum Lehrer durch Angst geprägt gewesen.

An die Haferschleimsuppe erinnert sich Benzinger übrigens auch noch. "Den Geruch habe ich noch in der Nase. Sie war wirklich eklig."

Zeitreise in die Schulzeit

"Schule wie zu alten Zeiten" heißt es im Badischen Schulmuseum in Karlsruhe-Palmbach.

Das Museum zeigt neben einem 50er-Jahre-Klassenzimmer im Dachgeschoss eine alte Lehrerwohnung "anno 1890", sowie einen Ausstellungsraum. Hier sind neben den Themen Schule und Religion auch Ausstellungsstücke zur Palmbacher Ortsgeschichte und über die Waldenser zu finden.

Die Ursprünge der Ausstellungsstücke reichen bis in das Jahr 1803 zurück und stammen aus aller Welt. Alte Bücher, Schulhefte, Handarbeiten, Wandbilder, alte technische Geräte und vieles mehr sind teils zum Betrachten, teils sogar zum Anfassen verfügbar.

Adresse: Badisches Schulmuseum Karlsruhe, Waldenserschule, Henri-Arnaud-Straße 7, 76228 Karlsruhe-Palmbach. Kontakt: Trudel Zimmermann, Handy 0177/ 77 25 500.

Öffnungszeiten: Das Schulmuseum hat jeden ersten Sonntag im Monat von 13 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Es wird auch eine historische Unterrichtsstunde angeboten.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen