Zeitreise

Ein Stück Freiheit am Rhein

Im August 1927 wird im Süden der Stadt Mannheim das Strandbad eröffnet. In den 90 Jahren seither erlebt diese Einrichtung Zeiten des Glanzes und des Niedergangs. Doch für ihre Fans bleibt ihr Ambiente auch heute noch einzigartig.

Von 
Konstantin Groß
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Das Strandbad in Mannheim-Neckarau Ende der 1920er Jahre. Tausende von Besuchern tummeln sich am Strand oder auf der Terrasse - Schwimmer in Badehose und auch Spaziergänger im sogenannten "Sonntagsstaat".

© Verein Geschichte Alt-Neckarau

Mannheim. Der Befund soll aufrütteln. "Die günstige Lage Mannheims am Zusammenfluss zweier großer Flüsse hat die unerfreuliche Begleiterscheinung, dass das sogenannte ,wilde Baden' außerordentlich um sich greift", heißt es in einer Vorlage der Stadtverwaltung für den Gemeinderat im Jahre 1925: "Dass dabei stets zahlreiche Opfer an Menschen zu beklagen sind, ist nicht zu vermeiden."

Wenn man nicht handelt. Doch die Verantwortlichen, allen voran Oberbürgermeister Theodor Kutzer, wollen etwas tun: Für die Bevölkerung ihrer Großstadt ein geregeltes Baden organisieren, ein richtiges Schwimmbad bauen. Aber wo?

Trotz der vielen Ufer auf Mannheimer Gemarkung ist das gar nicht so einfach. Der Neckar scheidet aus, besitzt er doch damals keine Strände, sprich: langsam ansteigende Ufer; die Tiefen seiner Sohle sind vielmehr ungleichmäßig und damit gefährlich. Nach langwierigen Untersuchungen befindet das Tiefbauamt einen Rheinabschnitt in der Nähe der Reißinsel für geeignet.

Am 29. Oktober 1925 beschließt der Stadtrat: "Zur Errichtung einer Strandbadanlage am Rhein zwischen Kilometer 249 und 250 werden 190 000 Mark bereitgestellt." Das Projekt kann starten. Es wird - nach Zustimmung im Verwaltungsausschuss des Arbeitsamtes - als Notstandsarbeit ausgeführt, eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme also.

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Der Stadt geht das Geld aus

Die Pläne erarbeitet der städtische Bauamtmann Enders, der somit als "Vater des Strandbades" gelten darf. Gemäß seinen Vorgaben wird das Ufer auf 800 Metern Länge mit Mutterboden bedeckt, eingesät und mit Weidebüschen bepflanzt, die flachere, wasserseitige Böschung mit Beton befestigt. Die bisherigen Kopfweiden werden kurzerhand gefällt.

Im Frühjahr 1927, rechtzeitig vor der geplanten Eröffnung, sind die Toilettenanlagen fertig; für Umkleideräume hat die Stadt jedoch kein Geld mehr. Sie sollen von einem privaten Investor erstellt werden - bereits damals Ausweg für finanzschwache Kommunen. Und in der Tat findet sich in Gestalt der legendären Frau Sutter eine Bauherrin.

Diese lässt - wegen der Hochwasser auf Stelzen - eine Kombination aus Umkleidebereichen und Lokal erstellen, in dessen oberstem Stockwerk sie selbst wohnt. Im Erdgeschoss erhält das Gebäude Garderobenräume für 1000 Menschen, 36 Einzelkabinen und je eine sogenannte - ja, so heißt das damals etwas zweideutig - "Stoßkabine" für Männer und Frauen; in ihnen können bei Regen jeweils 50 Personen Unterschlupf finden. Im ersten Stock befindet sich das Restaurant, damals "Rheinterrasse" genannt, mit 50 Plätzen im Freien.

Am 8. August 1927 wird die Einrichtung offiziell eröffnet. Bereits im ersten Jahr ihres Bestehens beträgt die Besucherzahl 139 000 Menschen, 1928 sind es alleine in der Zeit bis zum 1. August bereits 238 000. Der Tageshöchststand wird am 15. Juli 1928 erreicht: Damals tummeln sich 25 000 Menschen gleichzeitig an den Ufern, 7500 Fahrräder drängen sich an den bewachten Fahrradständern. Wenn in den 1990er Jahren von Überlastung des Areals die Rede ist, so mag der Blick zurück auch dies in die angemessene Relation rücken.

Die heutige Diskussion um Unfälle am Strandbad ist ebenfalls nicht neu. Der Blutzoll, den das Schwimmen am hiesigen Rheinufer fordert, ist damals trotz des Einsatzes mehrerer Bademeister weit höher als heute: 1927 ertrinken drei Menschen, 1928 sogar sieben, übrigens im Alter zwischen 18 und 24 Jahren.

Auch ein anderer Missstand ist keineswegs auf unsere heutige Zeit begrenzt: der Vandalismus. "Schont die Anlagen!", appelliert die "Neue Mannheimer Zeitung" damals in einem flammenden Beitrag: "Reißt die Frühlingsblumen nicht ab!"

© Verein Geschichte Alt-Neckarau

Auch im Winter eine Attraktion

Vor allem Mannheimer aus der Innenstadt vergnügen sich hier. Die Menschen aus Neckarau selbst, dem Stadtteil, in dem das Bad liegt, bevorzugen weiter eher das Ufer am Grosskraftwerk. Von hier aus hängt man sich an einen der Rheindampfer und lässt sich an die Brühler Kollerinsel ziehen; die Strömung bringt einen dann automatisch zurück.

Sogar außerhalb des Sommers sorgt der Rhein für Unterhaltung: Dank eines harten Winters, des strengsten seit 1895, ist der Fluss 1929 eine Woche lang zugefroren. Bei minus 16 Grad erstreckt sich ab 13. Februar eine geschlossene Eisdecke zwischen Neckarau und Altrip. Am 16. Februar "besteigen" Tausende von Mannheimern den gefrorenen Strom und sorgen für ein wahres - ja, heute würde man sagen - Happening. Bilder dieses Naturschauspiels, dem das Tauwetter am 21. Februar ein Ende setzt, finden sich in den Fotoalben vieler Mannheimer.

Der Zugang wird einfacher, als Mitte der 1930er Jahre der Franzosenweg vom Neckarauer Ortskern an das Strandbad ausgebaut wird. In dieser Zeit ist das Strandbad aber auch Aktionsfeld des Widerstandes gegen die herrschenden Nationalsozialisten, der in Neckarau besonders stark ist. Die legendäre Gruppe um Anton Kurz und Ludwig Moldrzyk schießt am Vorabend des 1. Mai 1935 mit selbstgebauten Raketen Flugblätter ins Strandbad, um Spaziergänger und Ausflügler über den wahren Charakter des NS-Regimes aufzuklären. Mit wenig Erfolg.

Als der braune Spuk und der von ihm verursachte Krieg vorbei sind, wird das Strandbad für die Mannheimer erneut zum Hort der Sehnsucht nach Ablenkung von Not und nach einem kleinen bisschen Vergnügen. Viele der männlichen Badegäste tragen an ihren Körpern noch Spuren ihrer Kriegsverwundungen. Ausgedehnte Narben sind keine Seltenheit und werden von den Jungens staunend und schaudernd zugleich betrachtet. Auf der anderen Seite lernen sich damals viele junge Paare hier kennen.

Tipps für Besucher des Mannheimer Strandbades

  • Lage: Das Strandbad liegt im äußersten Westen des Stadtteils Neckarau am Ufer des Rheins.
  • Navi-Adresse: Strandbadweg 1.
  • Erreichbarkeit: über Rheingoldstraße/ Franzosenweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad, per Bus (Linie 49) oder mit dem Auto. Umfangreicher Parkplatz vorhanden (am Wochenende Parkhöchstdauer drei Stunden mit Parkscheibe).
  • Infrastruktur: Kiesstrand (ohne Eintritt frei zugänglich), Duschen im Freien, Toilettenanlage, Spielplatz, Restaurant (barrierefrei zugänglich) mit Terrasse (außen und im Inneren jeweils etwa 150 Sitzplätze).
  • Öffnungszeiten/Angebot Restaurant: aktuelle Daten unter www.purino.de

Neue Herausforderungen

Doch mit der Zeit erhält das Strandbad Konkurrenz: Zu den ohnehin bestehenden Ponton-Bädern, den sogenannten Flussbädern, in Höhe des Lindenhofs und dem Stollenwörthweiher im Niederfeld kommen elegant gekachelte Becken, die nun überall in der Stadt entstehen: 1956 das Herzogenriedbad in der Neckarstadt, 1965 in Rheinau das heutige Parkschwimmbad.

Weitere Herausforderungen treten hinzu. In den 1970er Jahren wird der Rhein auch in diesem Abschnitt als Wasserstraße für die Großschifffahrt ausgebaut, erhöht damit seine Fließgeschwindigkeit, damit aber auch die Gefahr für ungeübte Schwimmer. Die Wasserqualität wiederum nimmt ab. Aus diesen zweifachen gesundheitlichen Gründen verhängt die Stadt damals ein Badeverbot. Wer sich dennoch in die Fluten stürzt, tut dies auf eigene Gefahr. Und dies gilt bis heute so.

© Verein Geschichte Alt-Neckarau

Am Ende doch konkurrenzlos

Doch wahre Strandbad-Fans kann dies nicht weglocken. Für sie bleibt es eine Attraktion, die nicht zu toppen ist, ohne Eintritt und andere Reglementierungen am Steinufer oder auf der Wiese einfach Handtuch oder Liegestuhl aufzuschlagen und sich in einem Wasser zu vergnügen, dessen Qualität wieder besser wird. Sogar bis in die Nacht lassen sich Partys feiern, ohne dass es direkte Nachbarn gibt, die gestört werden könnten - allerdings nimmt der verbleibende Müll und manchmal auch Randale an den Gebäuden im Lauf der Zeit unerträgliche Ausmaße an.

Gewachsenes Umweltbewusstsein wiederum führt dazu, dass der Autoverkehr zum Bad reglementiert wird. Dies und die ständigen Hochwasser machen in den 1990er Jahren der Gaststätte zu schaffen.

Die Kommunalpolitik entschließt sich dazu, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nach jahrelanger Debatte wird im Sommer 2009 der Abriss des alten Bauwerks und sein Neubau durch die kommunale Baugesellschaft GBG für 1,6 Millionen Euro geplant; am Ende jedoch kostet er fast das Doppelte.

Im Dezember 2009 beginnen die Arbeiten, am 26. Juli 2010 ist Eröffnung. Die Heizung erfolgt dank Pellet- und Solaranlage nachhaltig, der Zugang barrierefrei, obgleich baulich etwas gewöhnungsbedürftig. Doch auf der Terrasse lässt sich noch immer die für das Strandbad charakteristische Atmosphäre genießen.

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