Weg mit den verspielten Ornamenten von Historismus und Jugendstil. „Die Form folgt der Funktion“ gilt nun als Gestaltungsleitsatz. Häuser, Möbel oder Gebrauchsgegenstände sollen hohe ästhetische Ansprüche erfüllen, aber bezahlbar sein. Damit darauf schon beim Entwurf geachtet wird, durchlaufen alle Studenten neben der künstlerisch-architektonischen eine handwerklich-technische Ausbildung. Das ist der Grundgedanke beim „Staatlichen Bauhaus“, der 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Ausbildungsstätte.
„Es ist ein Aufbruch zur Moderne, zur Offenheit, zur völlig neuen Arbeits- und Lebensweise, in seiner Rigorosität nur zu erklären nach dem kollektiven Schockerlebnis des Ersten Weltkriegs“, so Monika Ryll, Stadtkonservatorin und Denkmalpflegerin der Stadt Mannheim.
Anstoß aus der Kunsthalle
Doch die Blüte des Staatlichen Bauhauses in der Gründungsstadt Weimar dauert nicht lange. Man reagiert dort, so Ryll, „höchst irritiert“ auf ein 1923 entworfenes Musterhaus „Am Horn“. „Die streng kubische Form, das Flachdach ohne Gesimse, die schmucklose Fassade sind als optische Zumutung empfunden worden“, weiß Ryll, was zu „Anfeindungen der Bevölkerung“ führt. Die Landesregierung Thüringen kürzt nach einem Rechtsruck bei der Landtagswahl 1924 den Etat um 50 Prozent. Ende 1924 löst sich daher das Bauhaus in Weimar selbst auf.
„Zahlreiche andere Städte standen parat“, so Monika Ryll. Sie zählt Köln auf – unter dem damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer – sowie Frankfurt, Hagen, Dessau, Krefeld, Darmstadt und eben Mannheim. Schließlich herrscht hier ein sehr offenes, liberales Klima. Und 1925 widmet Kunsthallendirektor Gustav Hartlaub gerade der deutschen Malerei nach dem Expressionismus eine eigene, viel beachtete Ausstellung mit dem Titel „Neue Sachlichkeit“, die dann der ganzen Kunstrichtung ihren Namen gibt.
Zu hohe Kosten
Hartlaub führt mit Gropius Gespräche, schürt Hoffnungen. Gropius legt dem Mannheimer Oberbürgermeister Theodor Kutzer im Januar 1925 eine Kostenaufstellung vor, wonach die Einrichtung einer entsprechenden Institution in der Quadratestadt eine Million Mark für Bau und Ausstattung erfordert. „Trotz Interesses finanziell wenig Aussichten“, bedauert Hartlaub im Februar 1925 in einem Telegramm an Gropius. „Das lag über den Möglichkeiten, die in Mannheim politisch durchsetzbar und realisierbar waren“, meint Ryll rückblickend. Dessau in Sachsen-Anhalt dagegen greift zu und wird damit Sitz der renommierten Einrichtung, bis die Nationalsozialisten sie schließen.
Mannheim bleibt im Jahr 1930 eine umfassende Wanderausstellung vom Bauhaus Dessau mit vielen Beispielen von Design und Kunsthandwerk in der Kunsthalle. „Und es gibt hier sehr, sehr viele charakteristische Bauhaus-Bauten“, hebt Monika Ryll hervor, was insbesondere auf den Architekten Ernst Plattner sowie den Leiter des städtischen Hochbaumamtes, Josef Zizler, zurückführt – aber nicht allein auf sie. „Die Stadt, obwohl lange von Barock und Jugendstil geprägt, war sehr aufgeschlossen für Neues“, so Ryll.
Zunächst hält 1926 auf dem Lindenhof der neue Stil Einzug – beim Bau des Fröbel-Seminars. Damals Ausbildungsort für Erzieherinnen, ist es auch heute noch sozialpädagogische Ausbildungsstätte als Teil der Helene-Lange-Schule. Das zweiflügelige, weiße, kubische Gebäude mit erhöhtem Mitteltrakt und Flachdach weist schon sehr viele Bauhaus-Merkmale auf. „Aber ganz hat das städtische Hochbauamt nicht gewagt, auf traditionelle Gestaltungselemente zu verzichten“, verweist Ryll darauf, dass es eben doch ein auf zwei Stützen stehendes neoklassizistisches Vordach gibt, dazu Gewände an den Fenstern. „Völlig ungewöhnlich“, stellt Ryll fest.
Halbrunde Enden
Das zweite markante Bauhaus-Gebäude ist die 1927 begonnene, 1928 vollendete „Straßenbahnwartehalle“ am Tattersall. Die „unterirdische Bedürfnisanstalt“, dazu errichtet, ist längst geschlossen. Geflieste Wände, Fenster aus Stahlprofilen, eine vernietete Dachkonstruktion – Ryll zählt viele Besonderheiten auf. „Die beiden halbrunden Enden waren beliebte Gestaltungselemente“, so die Denkmalpflegerin. Den Zigarrenladen gibt es heute noch als Kiosk, das einstige Milchgeschäft auf der östlichen Seite nicht mehr. Das nutzen heute die Verkehrsbetriebe.
Gleich drei auffällige Gebäude im Bauhaus-Stil gibt es in Feudenheim. Am Schelmenbuckel 39 findet sich laut Ryll „das früheste bekannte Beispiel eines Wohnhauses“. Architekt Emil Gern hat hier für sich einen zweigeschossigen Kubusbau mit Eckaufsatz, Flachdach, Garten und Terrassen errichtet. „Es lässt viel Licht, Luft und Sonne herein“, sagt sie. Noch immer wird es privat genutzt – wenn es auch nach dem Zweiten Weltkrieg erst Säuglingsheim, dann Casino der US-Armee war. Ebenso von Gern stammt, wenige Meter weiter, das Haus Am Schelmenbuckel 51. „AS“ am Fenstergitter verweist auf die Bauherrin Anna Seitz, die das Gebäude zunächst mit ihrer Schwester bewohnt. Beide sind städtische Beamtinnen, finanzieren nach von Monika Ryll ausgewerteten Unterlagen den Bau mit einem Arbeitgeberdarlehen, mit dem die Stadt die Wohnverhältnisse ihrer Mitarbeiter verbessern will.
Das dritte auffallende Bauhaus-Beispiel in Feudenheim steht an der Ecke Arndtstraße/Am Bogen. Nach Außen sehr symmetrisch, handelt es sich bei der vom Architekten Albert Hartmann geplanten Villa mit auskragendem Flachdach ursprünglich aber zu einem Drittel um ein Einfamilienhaus, an der westlichen Seite um ein Dreifamilienhaus. Erst die Amerikaner, die es nach dem Krieg beschlagnahmen und bis Mitte der 1950er Jahre nutzen, brechen die Mauern im Innern weg.
Auch im Mannheimer Norden findet sich ein, so Ryll, „äußerst gelungenes Bauhaus-Beispiel“ – in der Walkürenstraße. 1929 vom Hochbauamt als Kindergarten mit Mütterberatungsstelle errichtet, ist es heute noch als Kinderhaus in Betrieb. Die Denkmalpflegerin wertet das eingeschossige Gebäude mit dem auffälligen halbrunden Abschluss als Beleg für „soziale Fürsorge und bildungspolitisches Engagement in der Weimarer Republik“, wozu ebenso die benachbarte Waldschule im gleichen Stil passe.
Das mit Abstand größte Gebäude im Bauhaus-Stil steht an der Friedrich-Ebert-Brücke: der 1930 begonnene, zwei Jahre später fertiggestellte Sitz der AOK. Die Stahlbetonkonstruktion mit dunklen Fensterbändern, aber hellen Kunststeinfliesen verblendet, geht auf den Frankfurter Architekten Ernst Balser zurück. „Für die damalige Zeit ein interessanter städtebaulicher Akzent“, betont Ryll. Das gilt gleichfalls für das 1931 eröffnete Mütter- und Säuglingsheim in der Grenadierstraße, später Kinderkrankenhaus und heute Sitz eines klinischen Forschungsinstituts. Markant sind hier die Klinkerfassaden des länglichen Baus.
Leider viel zerstört
Auch ganze Siedlungen sind im neuen Stil errichtet worden – etwa die sechs Häuserzeilen am Bäckerweg in Käfertal oder die Blocks am Pfalzplatz. Viele andere, gleichfalls interessante Gebäude im neuen Stil gibt es indes seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Dazu zählen etwa das Wohnhaus und die Privatklinik am Philosophenplatz, die ehemalige Dienstvilla des Oberbürgermeisters am Oberen Luisenpark 31, die „Rhein-Neckar-Hallen“ an der Autobahneinfahrt oder das – erst 2010 abgebrochene – Jüdische Altenheim in der Bassermannstraße.
Dafür entsteht nach dem Zweiten Weltkrieg die einzige originale Skulptur eines Bauhaus-Künstlers in Mannheim – der „Friedensengel“, das Mahnmal für die NS-Opfer von Gerhard Marcks. 1952 zunächst in B 4 vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeweiht, wird es 1984 abgebaut und nach E 6 hinter das Rathaus versetzt.
Besondere Sessel
Fast hätte 1952 auch ein Bauhaus-Architekt den Zuschlag für das neue Nationaltheater erhalten: Mies van der Rohe. Sein Entwurf eines monumentalen Glas- und Stahlkörpers, der den gesamten Goetheplatz einnimmt, ist den Stadträten aber zu riesig – und Mies van der Rohe lehnt es ab, ihn zu verkleinern. Daraufhin wird 1954 Gerhard Weber, ein Bauhaus-Schüler in Dessau, beauftragt. Sein 1957 fertiggestellter Baukörper ist viel schmaler, gewinnt auf der Internationalen Architekturausstellung in Sao Paulo den ersten Preis. Von Mies van der Rohe hat Mannheim dennoch etwas – seine berühmten „Barcelona-Sessel“ stehen im Foyer des Nationaltheaters.
Tipps
- Vortrag: „100 Jahre Kunstschule Bauhaus“, besonders über Bildhauer Gerhard Marks, der 1952 den „Friedensengel“ in Mannheim schuf. Diana Liesegang spricht am Montag, 13. Mai, 15 Uhr, in der Abendakademie, U 1, 68161 Mannheim.
- Buch: Monika Ryll, „Bauhaus-Architektur – Einzug der Moderne in Mannheim“, 76 Seiten, herausgegeben vom Verein Rhein-Neckar-Industriekultur, gegen Kostenerstattung (5 Euro plus Versandkosten) per E-Mail an kontakt@rhein-neckar-industriekultur.de und in einigen Buchläden, zum Beispiel bei Bücher Bender (O 4,2), Quadrate-Buchhandlung (R 1,7), Buchhandlung Schwarz auf Weiß (Friedrichstr. 11a), Galerie und Buch (Seckenheimerstr. 82) oder Buchbinderei Annette Schrimpf (Waldhofstraße 8).
- Kunsthalle: In der Kunsthalle blickt derzeit die Ausstellung „Erinnern. Aus der Geschichte einer Institution“ noch bis Ende 2019 unter anderem auch auf die Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ von 1925 zurück.
- Museen: In Weimar hat ein Neubau mit der ältesten Sammlung von Bauhaus-Werkstattarbeiten eröffnet (www.bauhausmuseumweimar.de). In Dessau wird im September ein neues Museum eröffnet (www.bauhaus-dessau.de). pwr
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