Der neue Film

Film „Islands“ kommt in die Kinos: Das Leben der Anderen

Jan-Ole Gersters folgt in „Islands“ einem Ex-Tennisprofi (Sam Riley), der nun auf Fuerteventura arbeitet und von einer Urlauberfamilie aus seiner Lethargie gerissen wird.

Von 
Gebhard Hölzl
Lesedauer: 

Flirrend ist das Licht, klar sind die Farben. René Clements Patricia-Highsmith-Adaption „Nur die Sonne war Zeuge“ kommt einem gleich in den Sinn. Ebenso wie die enigmatischen Geniestreiche von Michelangelo Antonioni, darunter „Blow Up“ mit dem legendären pantomimischen Tennisspiel einer Gruppe junger Leute, die bei ihrem Tun weder Ball noch Schläger verwenden. Im Gegensatz zu Tom (Sam Riley), der als Tennistrainer in einem All-Inclusive-Hotel auf Fuerteventura arbeitet. Vor Jahren ist er auf der Kanaren-Insel gestrandet. Eine große Karriere soll ihm einst offen gestanden haben, selbst Rafael Nadal – so erzählt man sich – soll er mit seinen Aufschlägen einst zur Verzweiflung gebracht haben.

Eine Verbeugung vor oder eine Reminiszenz an die Filmgeschichte ist Jan-Ole Gersters dritte Regiearbeit „Islands“, uraufgeführt in der diesjährigen „Special Gala“-Reihe der Berlinale. Gleich für seinen Erstling „Oh Boy“ wurde er vielfach ausgezeichnet, nicht minder hoch gelobt wurde seine nächste Personenstudie „Lara“. Jetzt folgt sein erster in englischer Sprache gedrehter Film. Der auf den ersten Blick aussieht wie der Traum von einem endlosen Sommer. Der ist für den ehemaligen Profi längst geplatzt. Dem Ehrgeiz ist monotone Routine gewichen. Während die Touristen kommen und gehen, schlägt er Woche für Woche hunderte gelbe Bälle übers Netz und füllt die Leere mit flüchtigen Affären und reichlich Alkohol.

Tom freundet sich im Film „Islands“ mit Urlauberfamilie an

Doch dann taucht die geheimnisvolle Anne (Stacy Martin) im schon etwas heruntergekommenen Resort auf. Sie, ihr Mann Dave (Jack Farthing) und ihr siebenjähriger Sohn Anton (Dylan Torrell) entsprechen nicht dem Bild der üblichen sonnenverbrannten Neckermänner. Schnell kommt Tom, der außer einem Einheimischen, der Kamele für Ausritte vermietet, keine Freunde hat, der Familie näher. Lädt sie zu einem Ausflug ein, um ihnen die raue Schönheit der Insel und seinen versteckten Lieblingsstrand zu zeigen, gibt Anton Tennisstunden. Am nächsten Tag ist Dave nach einer durchzechten Nacht spurlos verschwunden. Was den örtlichen Polizeichef auf den Plan ruft, der lästige Fragen stellt. Nicht zuletzt zu Annes Verhalten, das Tom vor Rätsel stellt. Ein Verdacht keimt in ihm auf …

Sam Riley – Englishman in Berlin

  • Bekannt wurde der Brite Sam Riley 2007 durch seine Rolle des Ian Curtis , Leadsänger der Postpunk-Band Joy Division, im Biopic „Control“.
  • Für seine Debüt-Kinodarstellung – zuvor hatte er in TV-Filmen wie „Lenny Blue“ mitgewirkt – wurde er mit dem British Independent Film Award als vielversprechendster Newcomer ausgezeichnet.
  • 1980 in der ehemaligen Textilstadt Leeds geboren , besuchte das Internat Uppingham in der Nähe von Birmingham und war als Teenager Frontmann der Rockband „10,000 Things“.
  • Nach einem Sommerkurs am National Youth Theatre beschloss Riley Schauspieler zu werden, scheiterte aber an den Aufnahmeprüfungen diverser Schauspielschulen und hielt sich bis zu seinem Leinwanddurchbruch mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
  • Neben renommierten Größen wie Helen Mirren, Kristen Stewart, Kirsten Dunst und Angelina Jolie ist er inzwischen aufgetreten, war der Pinkie in der Graham-Greene-Verfilmung „Brighton Rock“, in Detlev Bucks „Rubbeldiekatz“, dem Roadmovie „On the Road – Unterwegs“, dem Disney-Effektespektakel „Maleficent – Mächte der Finsternis“, als Titelheld „Cranko“ oder in der Netflix-Serie „Rebecca“ zu sehen.
  • Seit 2009 ist Sam Riley mit Kollegin Alexandra Maria Lara verheiratet , ihr gemeinsamer Sohn Ben kam 2014 zur Welt. Die Familie lebt in Berlin . geh

Ein grob skizzierter Plot, nach einem Drehbuch von Gerster, Blaž Kutin („Lara“) und Lawrie Duran („Speaking in Tongues“). Eine Versuchsanordnung über „Figures in a Landscape“ – „Figuren in einer Landschaft“, deutscher Titel: „Im Visier des Falken“ –, einem Klassiker von Joseph Losey, der dem Filmemacher auch als Referenz gedient haben könnte. Immer wieder verschiebt sich der Fokus, rückt eine andere Figur ins Zentrum des Interesses. Liebesfilm, Neo-Noir-Thriller, Dreiecksgeschichte, erotisches Drama ... eine Frage der persönlichen Deutung. Ist Anne eine Femme fatale? Möglicherweise. Sicher ist, dass die Männer schwach sind. Entscheidungen meiden. Hoffen. Auf ein besseres, anderes Leben vielleicht.

Ein vielschichtiger, schwebender Film, ganz zu Recht in den Kategorien „Bester Film“, „Beste männliche Hauptrolle“, „Beste Filmmusik“ und „Beste Tongestaltung“ für den Deutschen Filmpreis 2025 nominiert. Für die wunderbare Breitwand-Bildgestaltung war Juan Sarmiento G. („Amparo“) verantwortlich, für das Szenenbild Cora Pratz („Ich bin dein Mensch“). Das stimmige (Urlaubs-)Kostümbild stammt von Christian Röhrs („Das Lehrerzimmer“), das treffliche Tondesign von Stefan Soltau („Babylon Berlin“) und der außergewöhnliche Orchesterscore von Dascha Dauenhauer („Berlin Alexanderplatz“), der dem Sound der 50er- und 60er-Jahre verpflichtet ist und dennoch höchst zeitgemäß klingt.

Ein außergewöhnlicher Film zwischen Traum und Wirklichkeit

Passend stimmig ist auch die Besetzung. Riley („Control“) als wettergegerbter, wuschelköpfiger Ballsport-Animateur, der aus einem monotonen Alltag vermeintlicher Freiheit und Sorglosigkeit herausgerissen wird. An seiner Seite glänzen die attraktive Stacy Martin („Nymphomaniac“) als mysteriöses Objekt der Begierde, das sich in Widersprüchen verstrickt und Jack Farthing – idealer Wiedergänger von Prince Charles in „Spencer“ – als deren nerviger, schwer zu fassender Ehemann, der Tom um seine Unabhängigkeit beneidet und durch seine plötzliche Abwesenheit die Geschehnisse in Gang setzt.

Ein streckenweise sperriges, auf alle Fälle hypnotisches Werk, das sich gängigen Leinwandkonventionen verweigert, für sich steht und spricht. Eine somnambule Mär, eine handwerklich in allen Bereichen makellos umgesetzte intellektuelle Meditation, angesiedelt zwischen Traum und Wirklichkeit, gleichermaßen packend wie verstörend. Jan-Ole Gerster ist definitiv eine Bereicherung in der heimischen Filmlandschaft, die über weite Strecken von Komödien, Kriminalfilmen und Ausflügen in die Historie dominiert wird.

Freier Autor Gebhard Hölzl, Print-/TV-Journalist, Autor und Filmemacher.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke