Man glaubt es kaum, dass es im Zeitalter der Raumfahrt so etwas noch gibt: Fähren. Floßartige Schiffe also, auf denen Fußgänger, Fahr- und Motorräder sowie Autos über einen Fluss gesetzt werden. Die bedeutendste in der Rhein-Neckar-Region ist die Altriper Fähre am Rhein, die Mannheim und die Pfalz verbindet – in Zeiten der Dauerbaustellen an Ludwigshafens Hochstraßen auch nach 760 Jahren unverzichtbar.
Aber natürlich werden Menschen und Güter hier schon lange zuvor über den Rhein gesetzt. Immerhin datiert die erste Siedlung auf 369 nach Christus. Laut Urkunde vom 13. August 762 gehört Altrip zur Benediktinerabtei Prüm in der Eifel, die auch über Neckarau gebietet. Um beide Herrschaftsgebiete zu verbinden, „muss es also schon eine Fähre gegeben haben“, weiß Ortshistoriker Wolfgang Schneider.
Erstmals urkundlich bezeugt ist diese am 4. November 1262. Damals überträgt Pfalzgraf Ludwig II. den Rheinübergang an das Zisterzienserkloster Himmerod. Warum? Sechs Jahre zuvor lässt Ludwig aus Eifersucht seine junge Frau Maria von Brabant hinrichten. Als sich der Vorwurf des Ehebruchs als falsch erweist, wendet er sich an den Papst mit der Bitte um eine Buß-Auflage. Der schlägt ihm vor, Klöster zu gründen und zu fördern. Ludwig gewährt Himmerod als lukrative Einnahmequelle den Betrieb der Fähre.
Zwei Brote für Jahreskarte
Ein Jahrhundert später fällt sie an den kurpfälzischen Staat zurück. Am 23. September 1366 unterzeichnet Pfalzgraf Ruprecht I. eine Urkunde, mit der die Fähre jeweils für die Dauer von zwölf Jahren verpachtet wird. Interessant ist, dass das Amt des Fährmeisters mit dem des Schultheißen (so nennt man damals die Bürgermeister) verbunden ist.
Aus dem Neckarauer Dorfbuch von 1462 kennen wir sogar die Höhe der Tarife. Für die „Jahreskarte“ werden zwei Brote fällig. Wer jedoch mit Wagen und vier Pferden übersetzt, hat acht Heller zu berappen. Arme und Ortsfremde sind kostenfrei.
Schon damals hat diese Stelle große Bedeutung für den überregionalen Verkehr zwischen Heidelberg und Neustadt. Und das nicht nur für den Handel, sondern auch im Krieg. Im Vorfeld der berühmten Schlacht von Seckenheim 1462 rückt die Verstärkung für Friedrich den Siegreichen, 300 Reiter und 2000 Mann Fußtruppen, über die Fähre an. 1770 überträgt Kurfürst Carl Theodor das Fährrecht endgültig den Altripern.
Mit Zerschlagung der Kurpfalz ist die linksrheinische Pfalz zunächst französisch, nach dem Wiener Kongress bayrisch, während das rechtsrheinische Gebiet um Mannheim zum Großherzogtum Baden gehört. Der Rhein wird zur Staatsgrenze, es gibt strenge Grenzkontrollen, Zoll wird erhoben, Schmuggel entsteht.
Am Seil gezogen
Durch die hier 1874 abgeschlossene Rheinkorrektion verändert sich auch die Topografie. Auf Grund der stärkeren Strömungen wird ein Seil notwendig. 1889 wird etwa in Höhe der heutigen Anlegestelle die sogenannte Gierfähre eingeweiht; ganz Altrip, damals 1200 Seelen, ist auf den Beinen. Zugleich wird eine neue Fährordnung erlassen. Demnach hat sich der Fährmann „stets bereit zu halten und auf Zuruf oder Zuwinken zur Überfahrt anzusetzen“.
Informationen über die Rheinfähre Altrip
Lage: Die Fähre befindet sich am Rheinkilometer 415,5. Rechtsrheinisch liegt die Anlegestelle in Höhe des Grosskraftwerkes Mannheim, linksrheinisch auf der Gemarkung Altrip. Die Fahrstrecke über den Fluss beträgt etwa 200 Meter.
Nutzer: aktuell rund 850 000 Fahrgäste pro Jahr, 2000 Autos täglich.
Betriebszeiten: Täglich 5.30 Uhr bis 22.30 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 8 Uhr bis 22.30 Uhr.
Tarife: Einzelfahrscheine werden auf der Fähre bar kassiert. Jahreskarten für Fahrrad ab 92 Euro, für Auto ab 491,50, für Rentner jeweils die Hälfte (jedoch zu eingeschränkten Zeiten). Verkaufsagentur: Angelshop Mansky in Altrip, Karl-Marx-Platz 5, Bezahlung dort per EC-Karte möglich.
Barrierefreiheit: Inhaber eines Schwerbehindertenausweises (und bei nachgewiesenem Bedarf auch eine Begleitperson) sind frei, ebenso das von ihnen benutzte Fahrzeug.
Service: Benachrichtigungen über Fährausfälle per Rundfunk, Presse und – nach Registrierung auf der Website – auch über SMS.
Betreiber: Rheinfähre Altrip GmbH, Anteilseigner: Stadt Mannheim bzw. MKB Mannheimer Kommunalbeteiligungen GmbH (50 %), Rhein-Pfalz-Kreis (30 %), Gemeinde Altrip (20 %). Geschäftsführer Jürgen Jacob, bis 2019 Ortsbürgermeister in Altrip.
Weitere Infos: www.rheinfaehre-altrip.com, dort auch Bildergalerie.
Geschichte: Ortshistoriker Wolfgang Schneider beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Dazu hat er Vorträge gehalten und zahlreiche Artikel und eine Broschüre verfasst. Kontakt: Historie-Schneider@web.de. -tin
1909 kommt es zu einer weiteren Verbesserung. Mit Geldern aus der Rheinauer Industrie kann eine neue Fähre angeschafft werden – nunmehr für 400 Personen sowie Vieh- und Karren-Transporte. Das 40-Tonnen-Schiff der Speyerer Braun-Werft hängt an einem 400 Meter langen Seil und wird mit zehn eisernen, im Fluss fixierten Buchtnachen gegen die Strömung gekurbelt. Doch es gibt ein Problem: Die Fähre befindet sich inmitten einer engen Stromkurve in direkter Nähe zu den Rheinauer Hafenanlagen mit viel Schiffsverkehr. Liegt sie auf badischer Seite, versperrt sie mit ihrem Seil die dortige Schifffahrtsrinne. Dann muss sie ablegen und nach Altrip weichen.
Die Tarife jedoch bleiben günstig. 1911 muss ein Fußgänger drei Pfennig zahlen, zehn Pfennige kosten ein Kinderwagen, eine Ziege oder ein Schwein. Ein Hund aber ist so günstig wie Herrchen oder Frauchen.
Stets ist die Fähre Spiegel der politischen Ereignisse. 1923 wird sie von französischen Truppen genutzt, um im Zuge der Rheinlandbesetzung die Häfen in Rheinau in Beschlag zu nehmen. Mit der Inflation wird die Überfahrt aus Schubkarren bezahlt: An Weihnachten 1923 kostet sie 35 Milliarden Reichsmark.
In der zweiten Hälfte der „Goldenen Zwanziger“ boomt der Betrieb. An warmen Wochenenden setzen bis zu 10 000 Ausflügler täglich über. Die meisten wollen zum Rheinbad 900 Meter rheinabwärts. Nichts geht mehr dagegen, als am 14. Februar 1929 der Rhein zufriert und erst am 14. März wieder befahrbar wird.
Im Zweiten Weltkrieg hemmen Bombenangriffe und Treibminen den Betrieb. In der Nacht auf den 22. März 1945 versenken Pioniere der Wehrmacht die Fähre samt Nachen. Am 24. März 1946 nimmt das Motorboot „Marianne“ einen provisorischen Betrieb auf, ab dem 5. Januar 1948 eine neue Fähre.
Herausforderungen der 1950er Jahre: Der Verkehr auf dem Rhein nimmt zu, Schiffe werden schneller, die Fahrt mit der Fähre jedoch langwieriger. Denn bis sie ablegen kann, müssen die Passagiere oft eine Stunde warten. „Den Fährleuten wurden deshalb sogar Schläge angedroht“, berichtet Schneider. Zuweilen kommt es zu Havarien, wenn – wie etwa am 14. Februar 1952 – das Seil reißt und die Fähre steuerlos stromabwärts treibt. In jenen Tagen wird sie denn auch „Choralfähre“ genannt: Bei Betreten würden die Gäste den Choral „Näher mein Gott zu Dir“ anstimmen, beim Anlegen den Choral „Nun danket alle Gott“.
Ein neues Schiff ist notwendig, doch für den privaten Pächter stehen Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis mehr. 1954 übernimmt daher die Gemeinde den Betrieb, ab 1955 gemeinsam mit dem Landkreis und Mannheim im Rahmen der Rheinfähre Altrip GmbH. 1958 stellt diese die damals modernste Motorfähre auf dem Rhein in Dienst.
Autos versinken im Rhein
Die Einweihung ist übrigens voller Pannen. Auf ihrer Jungfernfahrt von der Werft nach Altrip soll sie an der Rheinbrücke Ludwigshafen den Landrat und die Presse aufnehmen; trotz Winkens fährt sie vorbei. Zur Feier findet man keine Flagge des noch neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz und muss sich mit der Fahne der alten Kurpfalz behelfen. Vergessen wird die Mikrofonanlage, so dass die 4200 Altriper am Ufer von den Festreden nichts mitbekommen. Zumindest freuen sich die Schulkinder über die Freifahrten.
Es bleibt nicht aus, dass auf der Fähre doch einige, nur im Nachhinein komisch anmutende Vorfälle geschehen. Einem Radfahrer etwa springt, als er gerade auf die Fähre radelt, die Kette vom Zahnrad, so dass der Rücktritt nicht mehr funktioniert – er landet im Wasser. Ähnliches passiert Anfang der 1980er Jahre einem Priester mit seinem Auto: Auch er endet im Fluss und rettet sich noch durchs Schiebedach.
Gleiches im November 1990. An jenem Morgen herrscht dichter Nebel. Ein Autofahrer glaubt, die Fähre schon vor sich zu sehen, doch sie ist noch auf dem Fluss. Er fährt ins Wasser, das Auto versinkt so tief, dass es nicht mehr zu sehen ist, nur die Scheinwerfer schimmern noch. Der Fahrer kann sich retten und die Feuerwehr das Fahrzeug bergen.
1992 wird für drei Millionen Mark eine neue Fähre angeschafft: 30 Meter lang, zehn Meter breit, mit drei statt zwei Fahrspuren, für 18 Pkw. Die Taufe nimmt Mannheims Bloomaul Elsbeth Janda vor. 2012 wird das Schiff um zwölf Meter verlängert, so dass es nun 21 Pkw aufnehmen kann. 2025 soll eine neue Fähre in Dienst gestellt werden.
Nutzer der Fähre sind vor allem Berufstätige und Schulkinder. An Wochenenden ersetzen Ausflügler und Familien die Pendler. Auch manches Liebespaar verdrückt sich verschmust in die Ecke – die Fähre als ein Hauch von Traumschiff.
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