Kolumne #mahlzeit

Warum ist ambulante Pflege so teuer?

Alyas Opa muss gepflegt werden. Dafür, dass zweimal am Tag jemand für ein Viertelstündchen vorbeischaut, zahlt ihr Vater monatlich 3300 Euro - das kann nicht wahr sein, befindet die Tischrunde von Kolumnist Stefan M. Dettlinger

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Ihr Vater zahle jetzt 3300 Euro für die Pflege seines Vaters, sagt die Hamburgrückkehrerin Alya neulich und wiederholt: „Drei. Tausend. Drei. Hundert. Und wisst ihr wofür?“ Bela und ich sehen uns fragend an. „Für zwei mal zehn Minuten am Tag. Na ja. Fünfzehn. Morgens kurz Katzenwäsche und Frühstück hinstellen. Abends Stulle hinstellen und, nein, umziehen tut sich mein Opa gerade noch selber. Die sind aber nicht immer fünfzehn Minuten da, das geht oft auch fixer – und Händchen halten tun die ja auch nicht.“

Ich wende ein, dass die Pfleger ja auch Wege hätten und das ja in die Arbeitszeit und überhaupt alles mit einzurechnen sei. Alya sagt aber, der Pflegedienst würde ihren Opa „auf einer Tour erledigen“, außerdem hätte sie alles schon mal großzügig ausgerechnet, mit jeweils einer viertel Stunde An- und Abfahrt, dann käme sie auf hochgerechnete zwei mal 45 Minuten täglich und also 2700 Minuten ergo 45 Stunden im ganzen Monat, das mache dann gut 73 Euro die Stunde.

Bela sagt nur staunend: „Aha!“

„Und wisst ihr, was die Pflegekraft davon sieht?“, rast Alya verbal weiter, als befinde sich ihr Sprach- und Rechenzentrum gerade in einem der wenigen noch funktionierenden ICE, „ich habe mich schlaugemacht: Die verdienen meistens so um die 35 000 Euro im Jahr, das läuft dann so auf 16, 17 Euro die Stunde raus. Von den 73 Euro bleiben dann also noch 57 übrig. Sieben. Und. Fünf. Zig.“

Bela: „Puh!“

Ich: „Überall Wahn.“

Bela: „Dann wäre es eigentlich doch gescheiter, dein Opa würde sich privat eine Pflegekraft direkt ins Haus holen, die bei ihm oder in der Nachbarschaft wohnt, die könnte sich dann mehr, sagen wir vier Stunden am Tag, um ihn kümmern, würde nicht mit ihrem ständigen ambulanten Rumgefahre die Umwelt verpesten (ausgerechnet Bela sagt so etwas!) und gleichzeitig mehr verdienen als bislang: das, was dein Vater gerade für seinen Vater monatlich bezahlt: 3300 Euro im Monat. Für einen Halbtagsjob. Die sind doch eh alle unterbezahlt. Die Pflegekraft käme dann auf fast 40 000 Euro im Jahr und könnte nebenbei noch was Anderes machen im Leben. Es wäre eine Win-win-Situation.“

Alya: „Hm. Es gibt ja auch noch Lohnnebenkosten.“

Ich kenne mich da nicht aus. Alyas Geschichte und Belas respektloses Weiterdenken klingen aber so verrückt, unsinnig und danach, dass das meiste Geld für ambulante Pflege in der Bürokratie, in Infrastrukturen und auf dem Konto des Chefs versickert, dass da sicherlich etwas übersehen wurde. Obwohl alles, nun ja, eine kluge betriebswirtschaftliche Idee zu sein scheint. Der Teil ambulant gepflegter Menschen hat sich seit 1995 mehr als verdreifacht, während er sich stationär nicht mal verdoppelt hat. Und in diesem Wachstumsmarkt sind pro Jahr über 50 Milliarden Euro öffentliches plus privates Geld unterwegs.

„Wir übersehen da ganz sicher etwas“, sage ich, das könne doch alles nicht wahr sein. Da müsse doch irgendwo ein Denkfehler drinsein. „Der Fehler ist“, sagt Bela da, „dass wir nicht daran gedacht haben, unsere Tomatensuppe zu essen. Die ist jetzt nämlich kalt.“

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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