Kolumne #mahlzeit Trumps Ballsaal und Hitlers Germania: Größenwahn am Mittagstisch

Der Vergleich von Donalds Ballsaal mit Hitlers Germania entfacht in der Truppe um Kolumnist Stefan M. Dettlinger hitzige Diskussionen über Macht und Größenwahn.

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Stefan M. Dettlinger
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Ich muss ja bei Donalds neuer Ballsaalbaustelle irgendwie an Germania denken, „ihr wisst schon“, sage ich scherzhaft zu Alya, Bela und Caro: „Hitler. Der Mannheimer Albert Speer. Germania. Die große Halle.“

„Hitler“, keift Caro, „klar, aber Hitler war ’ne andere Nummer, der wollte nicht nur einen Palast, der wollte eine ganze Stadt, die Welthauptstadt Germania, eine Wahngeburt, einen Granit-Albtraum, ausgebrütet vom Speer, Albert Speer, diesem dienstbaren Geist aus Mannheim …“

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de

Mir entfährt ein „Äh …“

„… endlose Achsen, Hallen für Hunderttausende, und mittendrin diese abartige, alles verschlingende Halle, 250 Meter Durchmesser und 290 Meter hoch oder umgekehrt, ein Allmachtsmonstrum, in der das Volk zum Ornament geraten wäre, während oben, zu groß für alles Menschliche, das Glück und die Macht und der Husten der Masse zu Wetter werden sollte, zu Nebel, zu Wolken, zu Niederschlag und zu Niedergang …“

„Äh …“

„… niemand wäre hier wirklich gewesen, alle 180.000 Möchtegern-Arier hätten sich verloren gefühlt in diesem Wahnsinn – und alles, weil einer geglaubt hat, es wäre sein Recht, diesen Palast zu bauen, der niemals ein Palast war, sondern von Anfang an nur eine Ruine des Humanismus …“

„Äh …“

Intervention ist sinnlos. Wenn man bei Caro den richtigen Ort berührt, löst sich bei ihr ein Verbalmechanismus, der zu kaskadischen Wortwasserfällen führt, die niemand und nichts aufhalten kann. Eigentlich wollte ich ja an unserem bis dahin schweigsamen Tisch nur locker ein Gespräch anschubsen. Das war gar nicht so ernst gemeint.

„… immer haben sie das getan, die mächtigen Maskulisten, immer, die Maya und Ägypter mit ihren Tempeln, Qianlong, Mehmet, Louis XIV., Friedrich, Peter, der bayrische Ludwig, die nordkoreanischen Kims, Mohammed bin Zayed Al Nahyan, Putin, seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden haben sie sich Paläste gebaut, haben sich, kaum dass sie Macht rochen, schon den ersten Stein bestellt, den dicksten, den teuersten, die größte Halle, das monumentalste Treppenhaus, sofort der Prunk, das Zeichen, dass man nicht ist wie die anderen, sondern mehr, viel mehr, über den anderen, über der Gesellschaft, über der Menschlichkeit, weit hinaus, groß, riesig, lächerlich groß – und dann stehen diese Paläste, diese Protzbauten, diese Gräber ihrer Selbstüberschätzung, und sie riechen nach Marmor und Dummheit …“

„Äh, kannst du vielleicht mal damit aufhören“, sagt Alya jetzt, die ihre Gabel direkt vor Caros Gesicht hält. „Wieso“, fragt Caro, „ich habe doch gerade erst angefangen.“ Alya: „Wir wollen hier aber kein hasserfülltes und linksradikales Monologisieren, Caro, wir wollen uns nett unterhalten.“

„Ts“, sagt Caro schnippisch und steht auf. „Mit Nettigkeit kann man die Welt nicht ändern. Es braucht eine Wiederauflage von 1789.“ Beim Weggehen rutscht ihr der Smoothie vom Tablett und landet auf … Genau. „Ups“, so Caro. She did it again.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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