Übrigens gibt es Wörter, die wandern weltweit und werden in anderen Sprachen adoptiert wie adaptiert. Wunderbares Beispiel: Kindergarten. Manche Begriffe breiten sich hingegen mittels blähender Bedeutung aus. Beispiel: toxisch. Dieses von Toxikum im Sinne von Gift abgeleitete Adjektiv hat sich in den letzten Jahren derart üppig vermehrt, als besäße es im linguistischen Boden, gleich (Fliegen-)Pilzen, ein Fäden spannendes Myzel. Laut eines Infobriefes des Vereins Deutsche Sprache hat sich die Häufigkeit dieses Zweisilbers seit 2016 in Printmedien verdoppelt. Dies kommt nicht von ungefähr. Schließlich denken wir inzwischen bei toxisch nicht mehr nur an bestimmte Pflanzen wie den Eisenhut, die Tollkirsche oder die Herbstzeitlose als tückische Bärlauch-Doppelgängerin. Oder an sich bedrohlich schlängelnde Giftquellen wie Kreuzotter, Schwarze Mamba und Co. Heutzutage kann so ziemlich alles toxisch sein. Ob Männlichkeit oder Weiblichkeit, (Liebes-)Beziehungen, gesellschaftliche Verhältnisse, Hierarchien oder Jobbedingungen. Es gibt sogar Ratgeber: „Wie erkenne ich toxische Menschen?“ Womit freilich nicht der klassische Giftzwerg beziehungsweise die sprichwörtliche Giftnudel gemeint sind. Denn die giften leicht durchschaubar und bedürfen keines psychologischen Hintergrundwissens. Wem jetzt die Mitgift durch den Kopf wabert, der könnte sprachlich leicht auf Abwege geraten. Denn deren Gift stammt vom mittelhochdeutschen „mitegift“ als das „Mitgegebene“ für eine Hochzeitsaussteuer und ist somit kein bisschen giftig. Wen die steile Verbal-Karriere toxischer Art verblüfft, der sei an jenes Nervengift erinnert, das es als Killer von Falten zu kosmetischem Kultstatus gebracht hat - Botox.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Glosse "Übrigens" Sprachliche Giftquellen
Beziehungen, Gesellschaftsstrukturen oder Jobbedingungen: Waltraud Kirsch-Mayer sinniert über das gehäufte Auftreten toxischer Verbindungen in der deutschen Sprache