Der Prozess der Zivilisierung vollzieht sich durch Triebregulierung und Affektkontrolle, so hat ein großer Gelehrter einmal geschrieben. Und Kultivierung bedeutet entsprechend die weitere Verfeinerung von Sitten und Gebräuchen. Fluchen und der Gebrauch deftiger Schimpfwörter haben hierbei eher nichts zu suchen, kommen zuweilen aber sogar auf Theaterbühnen und in Filmen vor, wo es manche angloamerikanische Beispiele gibt, in denen das berüchtigte F-Wort den Großteil der Kommunikation ausmacht. Das liegt daran, dass es zwar unfein sein mag, so zu reden, es aber gleichwohl eine Erleichterung und emotionale Entlastung darstellen kann, die Dinge bei dem Namen zu nennen, den sie (zunächst subjektiv betrachtet) verdienen. Mit einem Wort: Auch Fluchen ist schlicht menschlich, wenn auch nicht unbedingt human.
Alltäglicher Quatsch und ungereimtes Zeug
Das längst auch hierzulande gebräuchliche Wort Bullshit klingt in deutschen Mündern und Sätzen etwas feiner als im angloamerikanischen Kontext, wo es herstammt. Und was es bezeichnet, ist leider so alltäglich wie nur irgendetwas: der ganze Quatsch, das ungereimte Zeug, das so dahergeredet wird, die leeren Begriffe und Worthülsen. Es gibt Firmen, in denen in Konferenzen diejenigen, die zum Zuhören verurteilt sind, miteinander „Bullshit-Bingo“ spielen, um leere Management-Floskeln zu entlarven. Wer mehr erkennt und also mehr Durchblick beweist, der gewinnt.
Neuerdings ist auch häufiger von „Bullshit-Jobs“ die Rede, die es vielleicht dank KI und weiterer Automatisierung bald nicht mehr geben muss. Welche Tätigkeiten näher darunterfallen, hängt allerdings von der Perspektive ab. Mit der Humanisierung der Arbeitswelt sympathisierende Zeitgenossen verstehen darunter eher schmutzige Knochenjobs; andere, gleichfalls kritische Menschen denken dabei auch an das weite Feld des wirtschaftlichen Lobbyismus. Ob allerdings viel gewonnen wäre, wenn so manche Tätigkeit lediglich automatisiert würde? Was stichhaltig begründet als Unsinn gelten kann, sollte besser wohl ganz verschwinden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Zeitzeichen Kultiviert oder eher doch nicht?
Über feine Sitten und Gebräuche schreibt unser Kolumnist heute - und über unfeine noch dazu. Ob KI auch daran etwas ändern wird?