Keine Angst, ich schreibe heute nichts Feminismuskritisches oder Maskulistisches, ich lästere nicht gegen SUV-Fahrer oder breche eine Lanze für alle Radler und Weltverbesserer, und auch der Fußball ist für mich vorerst ausgelutscht. Heute geht es mir um all die Leute, die meinen, im Recht zu sein. Extremistinnen und Extremisten der Meinung (war leider zu lang für die Überschrift). Im Ernst: Es gibt verdammt viele Exemplare, was ich auch weiß, weil ich mit denen zu tun habe. Klar, jede freut sich, wenn andere ihr Recht geben. In den Blasen der (a)sozialen Medien fühlen sich die Leute heute wie DDRler und DDRlerinnen bei Wahlen: Es gibt nur eine Einheitsliste der nationalen Meinungsfront. Eine wahre Wohlfühloase ohne Widerworte. Wollen wir das in unserer Demokratie?
Neulich habe ich mir mal den Podcast eines regionalen Groß-Kleinkünstlers angehört. Nichts gegen den Soziologen und Professor Doktor Hans-Peter Schwöbel. Er ist ein wacher und kluger Zeitgenosse. Und ich reibe mich auch gern an anderen Meinungen. Aber er wettert darin so bestimmt, absolutistisch und mit Wahrheitsanspruch gegen das Gendern, dass sich etwas in mir sträubt. Ich habe Caro davon erzählt. Sie war entsetzt und hatte nur Spott und Hohn für den alten weißen Mann, der sagt: „Der schrille Genderismus und Sexismus ist eine Ausgeburt der Woke-and-Cancel-Culture.“ Mit Sexismus meint Schwöbel wohl den Sexismus gegenüber Männern, die durch das Gendern anscheinend ausgeschlossen werden. Er spricht auch über Eugen Gomringers Gedicht „Alleen“, das tatsächlich durch einen Schildbürgerinnenstreich in Berlin an einer Schulwand übertüncht wurde – wegen angeblicher Frauenfeindlichkeit, die – wer sonst! – Frauen gespürt haben. Ich finde das blöd, dass die Frauen so fühlen. Aber die können nicht anders!
„Können wir uns Gedichte, Romane, Theaterstücke und Essays vorstellen, in denen die inkonsequenten Regeln der Genderideologie konsequent eingehalten werden?“, fragt der Doktor. 1. Es gibt solche Regeln nicht. 2. Ja, meine Fantasie würde dafür ausreichen. Ich habe recherchiert. Es gibt – etwa von Goethe oder Hölderlin – kaum Lyrik, in der man gendern müsste. Goethe: „Natur und Kunst“, „Heidenröslein“, „Ganymed“. Hölderlin: „Hälfte des Lebens“, „Ehmals und jetzt“, „An die Hoffnung“. Nichts. Und im „Erlkönig“ ist das Einzige, was man gendern könnte, die Erlkönigin selbst. Das aber würde wohl auch die beinharteste Feministin nicht einklagen, weil es sie als Idiotin demaskieren würde.
Psychologisch ist es so: Maskulisten müssen kapieren, dass vor allem junge emanzipierte Frauen mit der patriarchalischen Sprache Probleme haben. Feministinnen müssen kapieren, dass vor allem ältere Maskulisten ein Problem damit haben, dass vor allem junge emanzipierte Frauen mit der patriarchalischen Sprache Probleme haben. Schluss also mit dem Extremismus der Meinung! Es gibt nur eine Wahrheit: dass es keine Wahrheit gibt. Ein großer Denker hat es so ausgedrückt: Ich weiß (immer) als Nicht-Wissender. Der Typ war echt okay. Er hieß Sokrates oder so, glaube ich.
Sind Sie auch extremistisch? mahlzeit@mamo.de
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