Mannheim/Heidelberg. Trotz seiner großen tiefen Stimme ist Paul Gerlinger eher ein Mann der leisen Töne. Wenn er das etwa 50-köpfige Publikum von der Sommerbühne des Heidelberger Karlstorbahnhofs (KTB) aus fragt „Geht’s Euch noch gut, oder habe ich meinen Job gemacht?, dann ist das auch ein Beispiel für den selbstreflektierten Humor des auf Melancholie spezialisierten Mannheimer Songschreibers. Dabei hätte der 26-Jährige allen Grund zur Euphorie. Schließlich endet mit diesem entspannten, trotz Verkehr recht idyllischen Open Air am Rande der Altstadt zwischen grünem Hügel, Bahn und anfahrenden Autos die wohl bewegteste Woche seiner Musikkarriere: Erst ist er am Mittwochabend kurzfristig für das Vorprogramm des irischen Pop-Senkrechtstarters Dermot Kennedy beim Zeltfestival eingesprungen, dann eröffnete er am Donnerstag für die Schweizer Indie-Pop-Ikone Sophie Hunger in der Alten Feuerwache.
Viel mehr Kontrastprogramm geht kaum. Dermot Kennedy ist mit einer stadiontauglichen Großproduktion unterwegs, die noch über die feste Bühne im Palastzelt auf dem Maimarktgelände gebaut wurde. „Die haben richtig aufgefahren. Davor war vielleicht ein Meter Platz. Keine Ahnung, wie das mit den fünf Leuten von Black Sea Dahu hätte funktionieren sollen.“ Die Schweizer Familienband hatte wegen eines Trauerfalls abgesagt. So nutzte Gerlinger seine Chance, die rund 2300 Kennedy-Fans zu beeindrucken. Was wohl gelang: „Die Reaktion war live voll gut. Auch auf den sozialen Kanälen hat man es sofort gemerkt - dadurch, dass es jüngeres Publikum war und Dermot Kennedy auch so ein rauchiger Singer/Songwriter ist. Ich hatte sofort 200 neue Follower auf Instagram - direkt, als ich von der Bühne gekommen bin.“ Der Auftritt sei ohnehin eine interessante Erfahrung gewesen: „Es war komplett ungewohnt: Ich habe allein gespielt, und das nur mit meiner neuen E-Gitarre und nur neue Songs. Außerdem bin ich noch nie vor so vielen Leuten aufgetreten.“ Kontakt zum Star des Abends gab es nicht: „Die Band habe ich im Backstage-Bereich getroffen. Er selbst war nur im Nightliner, ging auf die Bühne und zurück.“
Sophie Hunger ist dagegen musikalisch auf Weltstar-Niveau, aber wesentlich nahbarer und zeigte sich interessiert am jungen Kollegen. Den sie sogar in ihrer Show noch mal würdigte, als sie selbst eine Solonummer zur Akustikgitarre spielte. „Man konnte sich gut mit ihr unterhalten, sie ist offen und herzlich. Ihre beiden großartigen Musiker auch. Sie meinte, es hätte ihr sehr gut gefallen.“ In der Feuerwache sei deutlich älteres Publikum gewesen als bei Kennedy, „aber die Leute waren sehr aufmerksam und haben mir hinterher viel positives Feedback gegeben. Das schätze ich sehr.“ So ist auch die Atmosphäre bei seiner eigenen Show am KTB, bei der er wie gewohnt mit Cellistin und Sängerin Juliane Herzer an seiner Seite auftritt und das Publikum sechsstellig gestreamte Songs wie „Gut allein“, „Bandstillstand oder das neue „Keine Kompromisse“ genau so goutiert wie unveröffentlichtes Material. Oder die Coverversion von Georg Danzers perfekt in die Zeit passendes Lied „Die Freiheit“.
Seine Bilanz der Woche fällt für Gerlinger-Verhältnisse ziemlich enthusiastisch aus: „Ich finde es supergeil, dass ich an drei Tagen hiner einander drei so völlig verschiedene Auftritte hatte.“ Am meisten Spaß gemacht hab es bei Sophie Hunger und ihren - an diesem Abend nur - 350 Fans. „Ich bin nicht so der riesige Fan von diesen gigantischen Menschenmassen, auch unabhängig von Corona.“ Vielleicht muss sich Paul Gerlinger aber daran gewöhnen, denn auch sein neues Material für ein demnächst geplantes Mini-Album klingt sehr vielversprechend.
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