Das Interview - Lukas Leon Krüger inszeniert am Nationaltheater Sibylle Bergs Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“

Wie sich der Nationaltheater-Jungregisseur Lukas Leon Krüger um Sibylle Berg kümmert

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Regisseur Lukas Leon Krüger im Foyer des Mannheimer Nationaltheaters – kurz vor dem goldenen Weg nach oben. © Manfred Rinderspacher

Zwei Jahre war der junge „Mecklenburg-Vorpommeraner“, wie Lukas Leon Krüger selbst von sich sagt, Regieassistent am Schauspiel des Mannheimer Nationaltheaters. Zum Abschied legt er sein Gesellenstück als Regisseur ab - mit einer Theaterfassung von Sibylle Bergs Episoden-Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“. Sybille Berg meint das todernst, wir auch. Vor uns liegt die mitgebrachte Originalausgabe des Taschenbuchs …

Herr Krüger, ganz schön vergilbt, oder? Warum bringen Sie ein 25 Jahre altes Buch auf die Bühne?

Lukas Leon Krüger: Mir ist das Buch während meines Studiums in Hildesheim in einer Buchhandlung in die Hände gefallen, es hat mich mit dem Titel „gekriegt“ - ich bin ein Fan von Satztiteln. Bei der Suche nach einem passenden Stoff für meine Abschlussarbeit hier am Nationaltheater ist es mir wieder in den Sinn und in die Hände gekommen - und hat mich erneut in seinen Bann gezogen. Weil im Text immer noch sehr heutige Figuren stecken. Es hat einen sehr aktuellen Charakter.

Sibylle Berg hat gut 30 ureigene Theaterstücke geschrieben, warum ausgerechnet ein Roman?

Krüger: Ich habe auch einige von den Theatertexten gelesen, aber hatte eben diese persönliche Bindung zu dem Roman, den ich als Student gekauft und gelesen hatte. Auch interessierten mich diese in kurzen Kapiteln episodisch nebeneinander herlaufenden Lebenswege von „ein paar Leute …“. Generell halte ich Sibylle Bergs Sprache, auch die ihrer Romane, für theatertauglich, sehr passend und buchstäblich ansprechend für die Bühne.

Der Regisseur und die Premiere am Nationaltheater Mannheim

  • Lukas Leon Krüger, 1996 in Demmin bei Greifswald geboren, studierte Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis mit den Schwerpunkten Medien, Theater, Populäre Kultur an der Stiftung Universität Hildesheim.
  • Bühnenerfahrungen machte er im Rahmen seiner Klavier-, Posaunen- und Gesangsausbildung sowie an der YES Young English Stage Neustrelitz und dem Jungen Theater am Schauspielhaus Neubrandenburg.
  • Erste Berufserfahrungen konnte er als Regieassistent am Theater der Altmark Stendal sammeln, wo er auch Mitorganisator der Altmärkischen Schultheatertage war.
  • Praktika führten ihn u. a. an das Schauspiel Hannover sowie die Internationalen Filmfestspiele Berlin. Des Weiteren war er Teil des Organisationsteams des Bundes.Festival.Film sowie Mitglied im Vermittlungsteam des Internationalen Nachwuchsfilmfestivals „up & coming“. Seit der Spielzeit 2020/21 ist er Regieassistent im Schauspiel des NTM, das er nun verlässt.
  • Premiere der Bühnenfassung nach Sibylle Bergs Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ ist am Freitage, 28. Januar, 20 Uhr, im Studio Werkhaus. Weitere Aufführungen am 4. und 20. Februar, Karten gibt es unter 0621/1680 150. 

Was hat sie am Buch interessiert?

Krüger: Der Kernkonflikt darin ist die Suche nach Zufriedenheit oder nach irgendetwas, das über einen hinausweist. Die Sehnsucht nach dem Gefühl, etwas Besseres zu sein als einfach nur ein Stück Fleisch, das sich durch die Welt bewegt. Das steckt in all diesen Figuren drin - und vieren davon geben wir nun eine Bühne. Interessant ist, wie diese Menschen ihr Glück suchen und ob sie überhaupt etwas finden.

Bergs Prinzip erinnert an Arthur Schnitzlers „Reigen“, der Paare reihum zu sexuellen Begegnungen zusammenführt …

Krüger: Die Beschreibungen sind natürlich deutlich zeitgemäßer als bei Schnitzler - und die Figurenverschränkung ist bei Berg viel komplexer. Wie diese zusammenfinden, erschließt sich beim Lesen erst nach einiger Zeit. Aber das dramaturgische Verfahren ist interessant. Erkenntnisse, die eine Figur am Anfang hat, gewinnt die andere ganz am Ende. Die Erzählweise wechselt zwischen auktorialem und Ich-Erzähler, eine Figur emanzipiert sich beispielsweise durch den Wandel zur Erzählerin über sich selbst. Das sind Stilpositionen, die nur der Roman leisten kann. Und sie öffnen auch den Blick für etwas Wesentliches: Fremd- und Selbstbild.

Geht es darum nicht immer? Inwiefern ist dies gerade bei Sibylle Berg von Bedeutung?

Krüger: Der Text verschränkt Selbst- und Fremdkommentare gekonnt miteinander, gerade diese Perspektivwechsel machen ihn und seine Figuren für mich so spannend. Das hat etwas Filmisches, und die Handlung ist eine Spur ins Unrealistische überzeichnet, zeigt pointiert den einen Tag, an dem plötzlich alles anders ist. Es geht um Menschen, die ihren Alltag verlassen, alles hinschmeißen, um aufzubrechen, um etwas Anderes zu suchen.

Dann aber brutal den Tod finden. Ist das nicht abgrundtief böse?

Krüger: Total. Deshalb ist das Berg. Unsere Inszenierung ist letztendlich eine schwarze Komödie. Räumlich verorten wir sie im Bühnenbild zwischen Clubbesuch und Beerdigung - zwei Orte extremer, temporär beschränkter Gefühle.

Wie sieht Glücksuche aus?

Krüger: Es geht viel um Zuschreibungen. Man sieht beispielsweise einen fremden Menschen und denkt: „Der sieht glücklich aus.“ Ob aufgrund seines Äußeren, seines Auftretens oder Verhaltens, dabei weiß man nichts von seinem Leben oder seinem Schicksal. Man sucht Glück auch in materiellen Neuanschaffungen: ein neuer Fernseher oder eine neue Hose. Wir suchen Glück meist bei anderen und in äußeren Impulsen. Dieses Glücksgefühl ist aber nicht von Dauer.

Und wie findet man es nun, das große oder kleine Glück?

Krüger: „Leben ist ein egoistischer Akt“, heißt es in einem Film von Gaspar Noé (ein argentisch-französischer Filmregisseur, d. Red.). Ich glaube, das kann man auch auf Glück und Zufriedenheit beziehen. Polemisch gesagt kann man vollkommene Zufriedenheit wahrscheinlich nur über Egozentrik erreichen. Es ist einfacher, eine Form von Glück zu finden, wenn man sich selbst wichtig nimmt. Nicht in einem überheblichen Sinn, aber zumindest, um mit sich ins Reine zu kommen.

Auch in Beziehungen?

Krüger: Manchmal ja. Aber es gibt im Stück und gesellschaftlich oft die Haltung: „Ich weiß, dass ich mit jemandem nicht glücklich bin, aber es ist besser, als unglücklich und alleine zu sein.“ Allein sagen zu können „Ich habe einen Menschen, der sagt, dass er mich liebt“, ist ja schon etwas …

Ernüchternd!

Krüger: Hat aber weitere Vorteile: Die Verantwortlichkeit für mein Glück auf jemand anderen abwälzen zu können, ist ein Gewinn. Man möchte sagen können: „Da ist ein Mensch, der mich gut findet. Und das ist für mich Bestätigung.“

Die einzige Figur, die Berg überleben lässt, blickt beim Kaffeetrinken in Venedig gelassen auf vorbeigondelnde Särge …

Krüger: Natürlich ist das zynisch. Diese Figur sagt sinngemäß: „Ich bin schon so oft an die Wand gefahren, ich greife nicht mehr nach den Sternen.“ Sie findet ihr Glück in bescheidener Mittelmäßigkeit und in den einzelnen Momenten, in denen man sich etwas Besonderes gönnt. Dazwischen versucht sie einfach, die Zeit rumzubringen. Und vielleicht ist da auch was Wahres dran.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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