Seckenheim

Auf Krücken ein erfolgreicher Fußballer

Von 
Konstantin Groß
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Voll zur Sache: Hannes Morgenthaler bei seinem Training auf der Bezirkssportanlage Seckenheim – dank seiner Krücken voll beweglich. © Marcus Schwetasch

Seckenheim. Montag, 18 Uhr, Bezirkssportanlage Seckenheim. Es dämmert, und die Temperaturen ziehen bereits an. Eine Gruppe junger Leute ist auf dem Rasen mit einem Fußball zu Gange. Es geht zur Sache. Erst nach längerem Hinsehen fällt dem Betrachter auf: Einer dieser Jungs, mittendrin, läuft auf zwei Krücken.

Hannes Morgenthaler, 20 Jahre jung, hat ein verkürztes Bein. Doch das hindert ihn nicht, auf dem Platz aktiv zu sein, um den Ball zu kämpfen. Und nicht nur hier: Hannes ist als Nr. 27 Nationalspieler der deutschen Amputiertenfußball-Nationalmannschaft. Als wir ihn in Seckenheim treffen, ist er gerade von der EM in Krakau zurückgekehrt.

Es ist eine eindrucksvolle Biografie, die uns der junge Mann auf der Bank am Rande des Spielfeldes erzählt. Eine von Behinderung, aber auch oder gerade deswegen von bewundernswerter sportlicher Leistung. Eine, die nicht Mitleid erzeugt, sondern Anerkennung.

„Fragen Sie, ich hab‘ keine Probleme, darüber zu reden“, erleichtert der junge Mann dem Redakteur den Einstieg in das Gespräch. Seine Geschichte beginnt noch vor der Geburt. Im Mutterleib wird festgestellt, dass seine Nabelschnur und die seines Zwillingsbruders zusammengewachsen sind (fetofetales Transfusionsssyndrom). Das Leben beider ist bedroht, und so wird die Nabelschnur getrennt. Alles geht gut, und in der 28. Schwangerschaftswoche kommen am 20. September 2001 zwei gesunde Jungen zur Welt. Bei Hannes ist jedoch das Bein verkürzt.

Doch auch damit meistert er sein Leben erfolgreich. „Ich habe von Anfang an damit gelebt“, begründet er: „Es ist etwas anderes, wenn man im Laufe des Lebens sein Bein verliert.“

Hannes Morgenthaler im Trikot des Amputiertenfußballverbandes. © Marcus Schwetasch

Und auch auf Sport will, ja muss Hannes nicht verzichten. Und fußballbegeistert, wie jeder Junge nun einmal ist, entscheidet er sich für diese Sportart, für einen Menschen mit verkürztem Bein allerdings in der Tat eine Herausforderung. Eine Spende der Herberger-Stiftung ermöglicht ihm die Anschaffung einer teuren, flexiblen Prothese, die das steife Modell ersetzt. Hannes spielt von der F- bis zur C-Jugend, wirkt als Jugendtrainer seines Vereins, der TSG Seckenheim, wird DFB-Juniorcoach, macht die C-Trainerlizenz.

Nur drei Bundesliga-Gegner

Eine neue Stufe seines Engagements in diesem Bereich bringt die Begegnung in einem Orthopädiehaus. Ein Spieler fragt ihn, ob er nicht in den Ligafußball wechseln möchte. Denn den gibt es in der Tat, im Amputierten-Fußballverband (DAF), offiziell anerkannt vom DFB, mit nur leicht angepassten Regeln wie kleinerem Spielfeld und kürzerer Spielzeit.

Und auch eine eigene Bundesliga besteht, wenn auch nur mit drei Mannschaften bundesweit, davon eine in unserer Region: „Anpfiff Hoffenheim“, Teil der Initiative „Anpfiff ins Leben“ und gefördert von der Dietmar-Hopp-Stiftung. Hannes schließt sich ihr an. Jeden zweiten Freitag trainiert er dort - zusätzlich zu seinem Training in Seckenheim montags und mittwochs abends: „Ich will fit bleiben“, sagt er.

Zur Person: Hannes Morgenthaler

Ausbildung: 1. bis 5. Klasse Odilienschule Mannheim- Neckarau; danach Freie Waldorfschule Mannheim- Neckarau, 2020 Fachhochschulreife (1,6), 2021 Abitur.

Ehrenamtliches Engagement: 2016-19 1. Schulsprecher der Freien Waldorfschule Mannheim; 2014-19 Jugendrat Jugendzentrum Edingen Juz 13; Mitglied Mannheimer Jugendbeirat sowie Ausschuss „Demokratie und Leben“; Pfadfindergruppe Pfadfinderbund Nordbaden in Heidelberg.

Musik: seit 2011 Gitarrenunterricht; 2016-20 im Chor der Freien Waldorfschule; 2014-20 Big Band der Freien Waldorfschule; bis 2019 Gitarre und Gesang in der Band „ColorJET“.

Fußball: ab 2016 Fußballtrainer bei der TSG Seckenheim für E-, D- und C-Junioren; 2019 Leitung F-Jugend, 2020 D- und C-Junioren. Seit 2018 Amputierten-Fußballer bei „Anpfiff Hoffenheim“. 2019 Aufnahme in den Nationalkader.

Lehrgänge: 2016 Fortbildung Torwart-Training; 2017 Gruppenleiterlehrgang (Juleica) mit Abschluss Jugendleiter Card; 2017 DFB Junior Coach; 2018 Aufbaulehrgang (Profil Kinder und Jugend) C-Lizenz; 2019 Fußballtrainer C-Lizenz. -tin

„Die begrenzte Zahl der Clubs ist natürlich ein Problem“, bekennt der junge Mann. Denn das führt zu langen Anreisen zu den Bundesliga-Begegnungen, bei denen alle drei Mannschaften spielen, also jeder gegen jeden. „Das letzte Mal in Vordorf bei Braunschweig war ich ab Freitag unterwegs und erst Sonntagnacht wieder zu Hause.“

Erlebnis Europameisterschaft

Und es gibt auch Europameisterschaften. Gerade ist er aus Krakau zurück. Allerdings wurden die Deutschen nur Neunter von 14 Mannschaften. „Im Spiel gegen Irland haben wir das Viertelfinale verpasst“, berichtet er, und man spürt, dass ihn das wurmt. Dennoch ist es ein tolles Erlebnis: Wie bei jedem Länderspiel, werden auch hier zu Beginn die Nationalhymnen gespielt, man lernt fremde Länder und Städte kennen, wenn auch in Krakau nur an einem freien Tag. „Wir waren im Schloss und im Oskar-Schindler-Museum“, berichtet er: „Da würde ich sonst doch niemals hinkommen.“

Sein Verband setzt alles daran, dass Amputierten-Fußball als paralympisch anerkannt wird. „Aber das bedeutet, dass für die verschiedenen Formen der Behinderung ein klares Punktesystem entwickelt wird.“ Und das ist nicht einfach. Die Schwierigkeiten fangen ja schon mit dem Namen an: Amputiertenfußball trifft es im Falle von Hannes ja nicht richtig.

Hannes wünscht sich, dass mehr Leute es ihm gleichtun. Gerne würde er in seinem Verein, der TSG Seckenheim, eine entsprechende Gruppe gründen. Und die potenziellen Mitstreiter sind keineswegs so wenige, wie es scheint. Gerade junge Leute, die durch einen Motorradunfall ihr Bein verlieren, aber weiterhin sportlich aktiv sein wollen. Doch zu viele von ihnen verschließen sich noch zu Hause. Das ist für sie psychisch nicht gut, aber auch körperlich.

Und natürlich wünscht sich Hannes wie jeder Sportler, dass die Spiele auch noch mehr Zuschauer finden. „Aber nicht in der Mitleidsnummer“, wie er betont. Nicht Mitleid ist das Ziel, sondern Anerkennung für Leistung: „Unsere Spiele sind geil“, lacht er auf. Denn auch hier geht es kräftig zur Sache: „Und auch bei uns wird gefoult“, schmunzelt er.

Hannes spielt übrigens nicht mit der Prothese, sondern mit Krücken. Damit sei er - für Außenstehende möglicherweise schwer nachzuvollziehen - beweglicher. Und wer ihn bei seinem Spiel auf dem Platz agieren sieht, der kann das nur staunend bestätigen. Allerdings hat das auch Schattenseiten: „Das geht mächtig in die Handgelenke“, zeigt er.

Gesellschaftspolitisch engagiert

Natürlich macht er den Sport vor allem für sich. „Ich will fit bleiben und Spaß haben“, sagt er. Aber er sieht sich durchaus auch als Botschafter für seine Sportart, für Menschen mit Behinderung insgesamt.

Dabei findet er es wichtig, „dass auf Sprache geachtet wird“, etwa die Formulierung „Menschen mit Behinderung“ verwendet wird an Stelle des Begriffs „Behinderter“. „Mir selbst macht das jetzt nicht aus, wenn ich so genannt würde“, bekennt er: „Ich verstehe aber, wenn Betroffene sagen: Wir sind als Menschen mehr als unsere Behinderung.“ Doch er sagt auch: „Nirgendwo werden so deftige Witze über Behinderungen gemacht wie unter uns Betroffenen selbst.“

Hannes jedenfalls definiert sich nicht über sein Handicap. Gerade hat er sein Abi an der Waldorfschule Neckarau gemacht, orientiert sich nun beruflich. „Vielleicht was mit Musik“, sagt er. Immerhin spielt er in einer Band namens „Coulor JET“, die vor Corona einige Auftritte in der Region verbucht. Er ist Gruppenleiter einer Gruppe des Pfadfinderbundes Nordbaden in Heidelberg. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich, ist Mitglied im Mannheimer Jugendbeirat und im Ausschuss „Demokratie und Leben.“

„Ich hadere nicht mit meinem Schicksal“, sagt er. Und man spürt, dass diese Lebensfreude nicht aufgesetzt ist: „Denn durch Hadern käme das Bein auch nicht wieder.“

Nach Ende des einstündigen Gesprächs zieht Hannes, auf einem Bein fest stehend, die Jacke seines blauen Trainingsanzuges mit DAF-Emblem zurecht, schnappt sich seine beiden Krücken und begibt sich auf den Rasen, wo er sich unter die mischt, die dort bereits spielen. Und es ist so, als wäre nichts selbstverständlicher auf dieser Welt als das.

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