Weinheim. Seit dem 14. April ist es offiziell: Bäckermeister Michael Kress ist Weinheims erster Brot-Sommelier. Als Bester seines Jahrgangs schloss der 44-Jährigedie Weiterbildung an der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk im Weinheimer Waldschloss ab – Note 1,2. Wie der Kurs seinen Blick aufs Brot verändert hat und welchen Belag er zu einem Laugenbrötchen empfehlen würde, erzählt er im Gespräch mit der Redaktion.
Herr Kress, seit Kurzem dürfen Sie den Titel Brot-Sommelier tragen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Michael Kress: Im Gegensatz zum Bäckermeister, der sich vor allem mit dem Backvorgang und den zugehörigen Handwerkstechniken auskennt, ist ein Brot-Sommelier einExperte auf allen Bereichen. Wir kennen die Geschichte des Brots, haben mit der Weinheimer Brotsprache eigene Begriffe gelernt, um über Brot zu reden, und sind sensorisch ausgebildet. Wir können also nicht nur anschaulich beschreiben, wie ein Brot schmeckt,sondern an Geschmack und Geruch auch Backfehler erkennen – ob zu viel oder zu wenig Salz oder Säure enthalten sind, zum Beispiel. Und wir sind im sogenannten „Food-Pairing“ ausgebildet, können also zu Käse, Wurst, Wein oder Bier das passende Brot empfehlen.
Eine eigene Sprache, um den Geschmack von Brot zu beschreiben – ist das nicht etwas abgehoben? Immerhin handelt es sich um ein Grundnahrungsmittel, das doch vor allemsatt machen soll.
Kress: Mit der Brotsprache wollen wir die Menschen für Brot begeistern. Leider hat es in unserer Gesellschaft etwas an Wert verloren. Vor 150 Jahren aßen die Menschenrund 300 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Heute sind es laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts GfK nur noch etwa 20. Brot-Sommeliers werden ausgebildet, um den Wert des Brotes zurechtzurücken. Wir wollen die Menschen dazu anregen, dieses Lebensmittelwieder bewusster wahrzunehmen und zurück auf den Geschmack zu kommen. Essen muss auch Genuss sein!
Wieso haben Sie sich für die Weiterbildung entschieden?
Kress: In den Medien habe ich die Aussagen der Brot-Sommeliers gehört – das hat mich fasziniert. Wenn man die Worte hat, um Brot so zu beschreiben, dass es die Menschenbegeistert, ist das toll. Ich stand dann ein Jahr lang auf der Warteliste, weil der aktuelle Kurs schon ausgebucht war.
Bei welchem Thema haben Sie am meisten dazugelernt?
Kress: Vermutlich bei der Geschichte. Wenn man sich vor Augen führt, dass das, was man jeden Tag in der Backstube macht, schon vor 22 000 Jahren entstanden ist – das ist wirklich beeindruckend. Mir war vorher auch nicht klar, wie Brot den Verlauf der Geschichte beeinflusst hat. Die Römer zum Beispiel hätten ihr Reich niemals so vergrößern können, wenn sie ihre Soldaten nicht mit Brot versorgt hätten.
Wie hat die Ausbildung Ihren Berufsalltag verändert?
Kress: Die Zeit hat mich unheimlich geprägt. Schon nach dem ersten Modul habe ich Lebensmittel – ob in der Bäckerei oder im Supermarkt – viel intensiver wahrgenommen.In der Backstube probiere ich seither neue Techniken, Teigführungen und Aromen aus. Außerdem beziehe ich die Schroten für meine Vollkornbrote jetzt ausschließlich in Bioqualität. In einem nächsten Schritt will ich unsere Mitarbeiter schulen, damit sie aufdie Frage, wie ein Brot schmeckt, mit mehr als „gut“ antworten und passende Beilagen empfehlen können.
Teil der Ausbildung ist auch eine Projektarbeit. Unter dem Titel „Kinderbrot“ haben Sie Rezepte für Kinder entwickelt und in einem Buch veröffentlicht, die die Kleinenselbst backen können. Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Kress: Die erste Auflage des Buches ist bereits ausverkauft, eine zweite, erweiterte wird demnächst kommen. Außerdem will ich in die Kindergärten und Schulen gehen,um mit den Kindern zu backen und sie so für gutes Brot zu sensibilisieren. Wegen Corona muss das leider noch ein bisschen warten.
Welche anderen Abschlussprojekte haben Sie beeindruckt?
Kress: Ein Kollege hat ein Buch zum Thema Brotverschwendung geschrieben mit dem Titel „Altes Brot ist nicht hart“. Dafür hat er seine Kunden um Rezepte für altesBrot gebeten. Eine andere Kollegin hat sich mit dem Brot in der Kunst beschäftigt und Künstler gebeten, Brot zu malen. Wegen Corona musste die Vernissage leider verschoben werden.
Zum Abschluss mussten Sie auch eine mehrtägige Prüfung ablegen. Wie lief die ab?
Kress: Sie bestand aus neun Prüfungsteilen und zog sich über fünf Tage, das war ziemlich herausfordernd. Zum Beispiel mussten wir vor einer Fachjury sechs verschiedeneBrote und Brötchen beschreiben, etwas zu ihrer Geschichte und dem Aroma sagen sowie eine Empfehlung geben, womit man zum Beispiel ein Laugenbrötchen gut kombinieren kann.
Was haben Sie vorgeschlagen?
Kress: Ganz klar: Viel Butter und Nutella, dazu ein großer Pott Kakao. Das Aroma der Lauge, das an Sojasoße erinnert, kombiniert mit dem groben Salz – das ergibtim Mund ein schönes Knistern. Dazu die weiche Krume, die milchig-rahmige Butter und der nussige Geschmack des Aufstrichs – mehr braucht es nicht.
Was war noch Teil der Prüfung?
Kress: Wir mussten unter drei Broten dasjenige erkennen, dem zu viel Salz oder Sauerteig beigefügt worden waren, Brot nach Textur und Farbe sortieren und verschiedeneAromen wir Anis, Kümmel und Vanille erkennen. Am letzten Tag stand dann noch ein Fachgespräch an. Da ging es zum Beispiel um den Austausch mit den Verbrauchern, Marketingstrategien und rechtliche Aspekte.
Das Zertifikat und die passende Jacke erhielten Sie im Rahmen eines Besuchs bei Johann Lafer. Wie war es bei ihm?
Kress: Es war gigantisch. Er ist ein unheimlich netter und bodenständiger Typ. Wir haben ein Menü mit ihm gekocht – natürlich unter Beachtung der Corona-Auflagen – und konnten sein Fernsehstudio anschauen. Auf jeden Fall ein gelungener Abschluss dieser intensiven Zeit.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/treffen_artikel,-menschen-in-der-region-was-macht-eigentlich-ein-brot-sommelier-_arid,1790266.html