Das Gespräch - Sänger Monchi von Feine Sahne Fischfilet hat in der Pandemie ein schonungsloses Buch über seine Essstörung geschrieben

Warum Sänger Monchi von Feine Sahne Fischfilet stolz wäre, wenn er auf der Bühne in Mannheim um die 120 Kilo hat

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Jan Gorkow sucht seinen Weg zum für ihn idealen Gewicht. © Bastian Bochinski/dpa

Kaum eine Band kam darum herum, ein Corona-Album aufzunehmen. Nicht so die Politpunkrocker Feine Sahne Fischfilet (FSF). Das Sextett aus Mecklenburg-Vorpommern hatte das Glück, sich 2020 nach einer atemlosen Ewigkeit voller Konzerte bis auf Arena-Niveau und Anti-Nazi-Aktionen ein Sabbatjahr verordnet zu haben. Sänger Jan Gorkow, besser bekannt als Monchi, tat in dieser Zeit etwas Untypisches für Rockstars: Er zog Konsequenzen aus einer eher zufälligen Konfrontation mit einer Waage beim Tourabschluss 2019, die ihm stolze 183 Kilo attestierte. Obwohl der damals 31-Jährige auf der Bühne stets sehr selbstbewusst und offenherzig mit seinen Pfunden wucherte, wurde ihm bewusst, dass dieses Gewicht auch mit 1,92 Meter ein Problem ist. Und so nutzte er die Auszeit zu einer Art Selbsttherapie. Mit zwei Ergebnissen: rund 60 Kilo weniger und das Buch „Niemals satt: Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“.

Hoffen auf 120 Kilo in Mannheim

Als wir uns per Zoom-Video darüber unterhalten, ist er schon noch wiederzuerkennen: Aber das Gesicht hat markante Konturen und Monchi trägt einen üppigen Vollbart. Schon bei der ersten Frage wird klar, dass er sich nicht selbstbesoffen für diesen sehr beachtlichen Erfolg feiern lassen will - oder kann. „Im Kopf bin ich den 180 Kilo näher als den 100. Zurzeit wiege ich zwischen 120 und 125 Kilo“, antwortet er auf die Frage, ob ihn die Fans im Vorprogramm der Toten Hosen am 24. Juli auf dem Mannheimer Maimarktgelände überhaupt noch wiederkennen können. Täglich beschäftige ihn die Angst vor dem Jojo-Effekt: „Deshalb wäre ich sehr, sehr stolz, wenn ich im Sommer in Mannheim auf der Bühne stehe und um die 120 Kilo wiege.“

Bei „Rock im Park“ 2019 wog der Punkrocker noch 60 Kilo mehr. © picture alliance/dpa

Die Angst hat sich als berechtigt erwiesen, zwischendurch zeigte die Waage auch mal 136 an, „das ging krass schnell. Das Niedrigste waren 117 Kilo. Ich hoffe nicht, dass ich dann nicht 150, 160 habe, wenn erst wieder der Stress losgeht mit Lesungen und Konzerten.“ Ihm sei völlig klar, dass sein Buch nicht der Abschluss dieses Prozesses ist: „Das ist der Anfang von so etwas wie einer Selbsttherapie. Das wird Langstrecke.“ Dass er zum Zeitpunkt unseres Interviews in Quarantäne sitzt, macht ihn schon nervös. Sein Ärger ist spürbar: „Man kann nicht richtig Sport machen. Und die Süßigkeiten oder die Bockwurst locken immer noch. Es ist ja nicht so, dass ich Essen nicht mehr geil fände“,

Intervallfasten und Sport

Spannend, vor allem für Betroffene, ist ja immer, die Frage nach dem Wie beim Abnehmen. Die ist schnell beantwortet: Intervallfasten (nur acht Stunden pro Tag ist Essen erlaubt) und Sport. Kein Marathon-Wunder à la Joschka Fischer, aber regelmäßige Bewegung auf dem Rad, im Studio und inzwischen auch beim Joggen. Das Verdienstvolle an dem Buch: Es schildert norddeutsch trocken, handfest und oft unterhaltsam sarkastisch die Problemlage in dieser Gewichtsklasse. Und das bis in die schmerzhaftesten Details - körperlich und psychisch. Zwischen den Zeilen wird klar, dass wie bei fast jeder Therapie Leidensdruck das Schlüsselwort ist. Den schildert Monchi eindrucksvoll - von scheinbaren Kleinigkeiten wie der mangelhaften Auswahl an Klamotten, tragfähigen Stühlen oder Klobrillen. Bis zu tragischen Momenten, wo er mit den Kindern seiner Freundin nicht aufs Trampolin gehen darf und ihnen stattdessen aus Frust in der Freizeithalle die Snacks wegfuttert.

Am 24. Juli im Vorprogramm der Toten Hosen auf dem Mannheimer Maimarktgelände

  • Jan Gorkow, Jahrgang 1987, wuchs in Jarmen in der Nähe von Greifswald als Sohn einer Zahnärztin und eines Bauunternehmers auf. Wegen Statur und Frisur bekam er in Anlehnung an die Monchichi-Puppen den Spitznamen „Monchi“. Als Teenager war er in der Ultra-Szene des Fußballclubs Hansa Rostocks aktiv.
  • 2007 wurde er ohne große musikalische Vorkenntnisse Sänger der Punkband Feine Sahne Fischfilet (FSF), die er mit Schulfreunden gründete. Ihr fünftes Album „Sturm & Dreck“ landete 2018 auf Platz drei der Charts.
  • Bei der Jubiläumstournee „Alles aus Liebe – 40 Jahre Die Toten Hosen spielen FSF in Mannheim mit Thees Uhlmann und Band das Vorprogramm. Das Open Air findet am Sonntag, 24. Juli, 18.30 Uhr, auf dem Maimarktgelände statt. Karten können auf der Internetseite www.dietotenhosen.de bestellt werden und kosten 67 Euro.
  • Monchi: „Niemals satt: Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“. KiWi-Paperback. Das Buch hat 320 Seiten und kostet 18 Euro. Die CD dazu ist im Argon Verlag erschienen für 18,99 Euro.

Das alles offenzulegen ist keine Kleinigkeit für einen politisch engagierten Linksrocker, der in seinem Alltag ständig Neonazis begegnet. Zumal er auf diversen rechten Todeslisten zu finden ist und seine Statur schon auch abschreckend wirkte. Geschrieben habe er das Buch in erster Linie für sich selbst. Ziemlich systematisch arbeitet er darin die Antworten auf Fragen heraus, die ihn beschäftigen: „Warum habe ich irgendwann mehr als 180 Kilo gewogen? Ich hatte jedenfalls keinen Bock, plötzlich einen auf Fitness-Guru zu machen.“ Er hoffe aber, dass Leute aus seinem Umfeld das Buch lesen und zum Beispiel keine Süßigkeiten mehr mitbringen: „Ich will die Leute ja nicht volllabern, aber du nimmst zu einem Alkoholiker ja auch keine Flasche Schnaps mit. Für mich ist nach einem Schokoriegel oder Gummibärchen halt nicht einfach Schluss.“

„Ich habe aber auch richtig Schiss“

So zeigt die Lektüre einen jungen Mann auf der Suche nach Gründen, die überwiegend in seiner Persönlichkeit liegen: Lust auf Exzess, Selbstzerstörung und -betrug, Zuckersucht, zu viel Alkohol, die unselige Verbindung von emotionaler Belohnung mit Kalorienzufuhr. Vieles passiert bei seinem Arbeitspensum beiläufig, fast unbewusst. Probleme, die seine Geschwister, die in derselben gutbürgerlichen Familie aufgewachsen sind, nicht haben. Dazu schickt er seinen Eltern einen fast schon wissenschaftlichen Fragenkatalog. Der ist zusammen mit den Antworten mit das Lesenswerteste an diesem Buch, das am Rande auch Elemente einer „normalen“ Auto- oder Bandbiografie enthält. So ordnet der früher mal militante Hansa-Rostock-Fan erneut sein gestörtes Verhältnis zu Polizei und Landesverfassungsschutz plausibel ein.

Ähnlich offen wie Komiker Kurt Krömer über seine Depressionen geschrieben hat, schildert Monchi das oft frustrierende Ausprobieren von Auswegen. Der Ernährungsberaterin, die einem Rockmusiker mit unberechenbarem Tagesablauf, zum allabendlichen Hirsebrotbacken rät, statt zum praktikablen Intervallfasten, möchte man zum Berufswechsel raten. Teilweise war es wie verhext: Kaum hatte Monchi trotz hoher Nazi-Quote in den örtlichen Fitnessstudios Spaß am Workout gewonnen, mussten sie pandemiebedingt schließen. Und ein Fahrrad, das mehr als 150 Kilo trägt, findet sich auch nicht beim Discounter.

Nachdenken über sich selbst

Klar ist auch: Die langersehnte Rückkehr auf die Bühne, der Abschied von der Ruhe und Selbstbesinnungsphase, muss gemischte Gefühle auslösen: „Auf ’ne Art ist es schön. So eine gebremste Vorfreude, damit ich hinterher nicht enttäuscht bin, wenn alles ausfällt. Ich habe aber auch richtig Schiss - weil ich ja nicht weiß, wie ich dann in Mannheim aussehe. Kann ja sein, dass ich dann wieder 150 Tacken draufhätte. Das würde mich hart runterziehen.“ Gegen völliges Entgleisen spricht das Maß an Selbstreflexion, dass der Sänger sich mit dem Buch verschafft hat. „Genau das ist der Unterschied. Früher habe ich nie drüber nachgedacht. Jetzt weiß ich, dass ich gerade nix Gutes für mich gemacht habe, wenn ich beim Futtern voll abliefere.“ Das kann er aber verstärkt beim Singen tun: „Ich habe natürlich mehr Luft.“

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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