Mannheim. Eine Rampe ins Meer, Paragliding-Flug und Ballonfahrt: Als Kim Lumelius aus Mannheim ihren Blog für barrierefreies Reisen startet, hat sie einen einfachen Grund. „Infos zur Barrierefreiheit, die ich brauchte, fand ich nirgends“, sagt sie.
Doch die Mannheimerin macht aus der Not eine Tugend. Sie beginnt, immer wenn sie ein barrierefreies Reise-Juwel entdeckt, ihre Reisen-mit-Rolli-Infos mit anderen zu teilen. So entsteht im Netz ihr Blog „Wheelie Wanderlust“.
Eine Nische besetzt
Mit der Zeit entwickelt sich daraus ein Großprojekt. Tausende Menschen folgen ihr mittlerweile im Internet. Sie besetzt eine Nische, denn schöne Orte gibt es auf der Welt und im Netz zu hauf - doch die, die für alle erreichbar sind, nicht.
Der Blog erweitert auch Lumelius Horizont. Die 36-Jährige sitzt im Wohnzimmer ihrer Wohnung in der Oststadt und sagt: „Und plötzlich stehen da Dinge auf deiner Bucket List, von denen du nie gedacht hättest, dass sie überhaupt gehen.“
Aperol und Pfalzwoi
Dazu gehört etwa das eingangs genannte Paragliden in der Schweiz. „Da gibt es den Moment, da darfst du nichts falsch machen, an der Stelle am Berg gibt’s kein Zurück“, sagt Lumelius und ihre Augen funkeln vor Abenteuerlust.
Oder als Rollstuhlfahrerin mal in den Baumwipfeln zu schlafen, per Steg geht’s nach oben, „das hat einfach jemand erfunden, mega“, sagt sie. Diese neuen Möglichkeiten hätten sie fasziniert. Als sie weiter von ihrem Trip ins Baumhaus spricht, funkeln ihre Augen wieder vor Begeisterung.
Lumelius selbst ist ein Mensch der begeistert. Ihr Lachen steckt an. In echt noch einmal viel mehr als auf ihren Bildern im Netz. Dort zeigt sie sich mit Aperol und Co. vor Traumkulissen und an Touri-Hotspots. Und präsentiert, wie es sich für Reiseblogger so gehört, Dolce Vita in aller Herren Länder.
Für die Mama angerufen
Doch Genussmensch Lumelius liebt auch Regionalität: So hat sie kürzlich einen „Pfalz barrierefrei erleben“- Artikel oder über dortige Lamawanderungen geschrieben. Bekannte Zeilen in Zwischenüberschriften wie „Ja, so en gude Palzwoi, der laaft ähm in de Hals noi“ dürfen da nicht fehlen.
Und natürlich nutzt Lumelius auch die Erholung vor der Haustür. „Auf der Buga bin ich einmal die Woche!“, sagt sie, zückt ihr Handy und zeigt ein Bild von sich im Blumenmeer.
Erfolgreich sind im Netz auch ihre Sammel-Artikel. Wie etwa eine Übersicht zum barrierefreien Schwimmen, die vor kurzem online ging. Deutschlandweit zählt Lumelius Orte auf, bei denen etwa Hilfsgeräte in und am kühlen Nass für Rollstuhlfahrer bereitstehen. Das Feedback dafür sei extrem positiv gewesen „an den Zugriffen habe ich gemerkt, die Leute suchen diese Infos“, erzählt sie.
„Kann ich nicht mehr!“ - „Doch!“
Die Menschen, die Lumelius folgen, sind vielfältig. „Und sie kommen teils mit sehr persönlichen Fragen auf mich zu“, sagt die Bloggerin. Da war etwa ein junges Mädchen, das sie anschrieb. Die Mutter hatte einen Schlaganfall und sitzt deshalb im Rollstuhl. „Die Tochter hat dann eine barrierefreie Reisemöglichkeit gesucht“, erklärt Lumelius.
Sie habe sie beraten - und das Mädchen habe ihr einige Zeit später eine Karte vom Bodensee von der Urlaubslocation geschrieben, „weil sie so begeistert war“. Lumelius sagt: „Dankbarkeit gibt es viel“, wenn am Tag bis zu zehn Mal ihr Handy klingelt und (bisher) unbekannte Menschen anrufen.
Aber auch lustige Verwechslungen passieren: „Manche rufen auch an und sagen: Hallo können Sie mir eine Reise buchen? Da muss ich manchmal klarstellen und erklären, was ich eigentlich mache“, sagt sie lachend.
„Ich suche Juwelen“
Was sie oft erlebe, sei, dass sie „Leuten, die etwa nach Unfall oder Schlaganfall sagen: Das geht jetzt nicht mehr“ zeigen könne: „Aber doch, es geht!“ Ob Wattwanderung, Afrika-Safari, Malediven oder Sri Lanka: Was Leute früher gerne gemacht haben, sei oft weiterhin drin, sagt sie.
„Aber klar. Fürs Reisen mit Rollstuhl bedarf es einer ganz besonderen Planung und Vorbereitung“, so Lumelius. Doch auch wenn’s beim Travel mal nicht so gut ging, bloggt sie darüber: Ihre ehrlichen Schilderungen findet man dann etwa in Blogbeiträgen, die „Pleiten, Pech, Paris“ heißen.
Lumelius liebt indes vor allem pittoreske, einzigartige Orte, den Nischenurlaub fernab vom Mainstream. „Bevor ich Urlaub in einem Krankenhauszimmer mache, habe ich lieber einen Hubbel im Boden“, sagt sie und lacht wieder.
„Manchmal rufe ich auch an, nachdem ich Bilder im Netz gesehen habe. Und sage: Ich sehe da nur Treppen, haben Sie auch einen anderen Eingang?“ Da gäbe es oft freudige Überraschungen. „Eine freundliche Dame sagte da zuletzt etwa: Ja. Ein Zimmer mit Barrierefrei-WC und Rampe und allem. Am Ende war es ein super gelungener Urlaub! Und wir wurden super herzlich empfangen.“ Ihre Erfahrung: Dass „überall auf Reisen Leute sind, die sich kümmern. Ich habe bis jetzt überall auf der Welt Leute gefunden, die helfen“, sagt sie.
Rollstuhl heißt „Lutzi“
Ist ein Urlaub vorbei, gibt Lumelius Gästehaus- und Hotelbetreibern oft Feedback. „Tretmülleimer für Rollifahrer ist etwas doof“, sagt sie dann. „Oder Spiegel auf zwei Metern Höhe - ähm ja.“ Dann sei der „zwei Meter große Hotelchef“ gekommen und sagte: „Oh Mann ja, Sie haben recht.“ Lumelius betont: „Mit jedem Feedback kommt man voran, es freut die Leute sogar.“ Und weiter: „Ich bin auf Hilfe angewiesen, auf technische sowie auf die von Menschen. Das ist so. Und überall gibt es Hindernisse zu überwinden. Man ist nicht gefeit.“
Top barrierefreie Ausflugsziele (auch in der Region) – Lieblingsorte von „Wheelie Wanderlust“
- Baden für Rollstuhlfahrende ist in der Region möglich: Kim Lumelius fährt gerne ins pfälzische Neu-hofen. Sie liebt den Badesee Schlicht und den Badeweiher. Schwimmgäste finden neben Behindertenparkplätzen und rollstuhlgerechter Toilette, die mit Euro-Schlüssel zugänglich ist, eine Rampe mit Handlauf in den See und einen Baderollstuhl. Mehr Orte unter: wheeliewanderlust.de/schwimmen-fuer-rollstuhlfahrer
- Lumelius empfiehlt zudem eine Wanderung in der Pfalz. Die Südliche Weinstraße barrierefrei entdecken ab Startpunkt Landau. Mit dabei unter anderem: Besuch einer Vinothek im Erdgeschoss, Hotelübernachtung, Stadtführung, Weingutstop, Fachwerkbesichtigung in Annweiler am Trifels und als Highlight für Aktiv-Rollstuhlfahrer (Lumelius urteilt: „Ein kleines Workout!“) 496 Höhenmeter zum Kirschfelsen. Auch ein Besuch der Storchenstation Bornheim mit verfügbarem Plattformlift ist drin. Mehr Infos unter: wheeliewanderlust.de/suedliche-weinstrasse-barrierefrei
- Außergewöhnlich nächtigen direkt am Waldrand kann man derweil im Baumhaus in Mönchberg (zwischen Aschaffenburg und Miltenberg). Ein „Rückzugsort“ für Erwachsene oder Kids in der Natur, so Lumelius. Fünf Meter über dem Boden findet sich auch ein rollstuhlgerechtes Bad mit Dusche, WC und bestellbarem Duschsitz. Mehr unter wheeliewanderlust.de
Ihren Rollstuhl nennt sie übrigens „Lutzi“. „Auf Lutzi angewiesen bin ich seit ungefähr 20 Jahren. Früher kam sie nur bei längeren Wegstrecken zum Einsatz. Heute komme ich ohne sie leider nicht mehr so richtig vom Fleck“, sagt sie. Im Alter von zwei Jahren wurde bei Lumelius Spinale Muskelatrophie diagnostiziert.
„Eine Art Muskelschwund, verursacht durch den Untergang motorischer Nervenzellen im Rückenmark. Dadurch werden Impulse an meine Muskeln nicht weitergeleitet, ich kann sie nicht mehr steuern…auf gut Deutsch: sie lösen sich auf.“ Angefangen hatte es in den Beinen. „Ich merke es zunehmend aber im ganzen Körper und hoffe, dass es so schnell nicht meine Atemmuskeln erreicht. Aber daran möchte ich jetzt wirklich noch nicht einmal denken“, schreibt sie auf dem Blog.
Genau so will sie den Hindernissen in der Welt nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, den „Stolpersteinen, die uns im Alltag begegnen, die kennt ihr sicherlich zu Genüge“. Sie wolle viel lieber mehr von Flecken der Erde erzählen, die es lohnt, zu bereisen.
Lumelius hat mittlerweile ihr Hobby zum Nebenberuf gemacht, verdient über Kooperationen Geld, arbeitet aber Teilzeit in einem normalen Job. „Von der Zeit her habe ich zwei Vollzeitjobs“ sagt sie und lacht. Reiseorte wählt sie frei aus. „Das war mir immer ganz wichtig. Ich will nicht auf Vorschläge angewiesen sein.“
„Du gibst deine Beine ab“
Reisen im Rolli koste oft Überwindung. Am Flughafen mit Rollstuhl einzuchecken sei etwa so eine Sache. Er gilt als Gepäck und ist dann „erstmal weg“, sagt Lumelius. Das sei oft ein unangenehmes Gefühl. Wenn sie „ankomme und gleich weggetragen“ wird.
Die Angst vor dem Verlorengehen des Rollstuhls sei für Außenstehende oft schwer zu verstehen. Die sagten: „Ja wenn er verlorengeht, nimmst du halt einfach einen von dort“, so Lumelius. Doch: „Nein. Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl. Dein Rollstuhl ist wie deine Beine. Du gibst deine Beine ab. Du kannst ja auch nicht mit Beinen von jemand anderem, einem dreijährigen Mädchen weiterlaufen oder mit Pantoffeln vom Mann nebenan in Schuhgröße 46.“
Der Moment mache manchmal Angst. Aber sie stelle sich der Angst, trackt etwa ihre Lutzi digital im Gepäck. „Bisher ging’s immer gut!“, so die Mannheimerin. Lumelius macht weiter, will „Marmeladenglasmomente“ sammeln und anderen zeigen. Und sensibilisiert auf diese Weise irgendwie auch indirekt dafür, dass jeder bei sich mal nachdenkt, wie er sie und andere willkommen(er) heißen könnte: Indem man Barrieren überhaupt sieht, erkennt - und bestenfalls entfernt. Oder einfach erst gar nicht entstehen lässt.
Blog: www.wheeliewanderlust.de
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