Interview

Kurt Krömer: "In der Klinik haben sie gesagt: Ihre Vollmeise können Sie behalten“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Das Buch "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression“ soll kein Ratgeber sein. Dafür verweist Kurt Krömer lieber an die offiziellen Stellen. © Urban Zintel

Berlin/Mannheim. Kurt Krömer hat ein Buch über seine Depression mit mehrwöchigem Klinikaufenthalt geschrieben. Ein Ratgeber soll das brutal offene Werk aber nicht sein, betont der Berliner Komiker im Interview.

Herr Krömer, wie geht es Ihnen heute?

Kurt Krömer: Mir geht es sehr gut, ich bin am 20. November 2020 aus der Klinik rausgekommen. Ich bringe noch immer die Zeit etwas durcheinander. Anschließend war es von November bis Februar ein bisschen wacklig -  als ob  man unter Drogen steht oder Ecstasy in die Fanta gemischt bekommen hat. Ich war sehr euphorisch, ich dachte, das ist so ein Glückszustand, der jetzt bis zum meinem Lebensende so weitergeht und dass ich nie wieder negative Erfahrungen machen muss. Ich musste dann erst lernen, dass es da draußen Arschgeigen gibt, die dir nichts Gutes wollen. Damit habe ich Probleme gehabt und gemerkt: Okay, es ist nicht immer alles schön.

Möchten Sie das Interview eigentlich als Kurt Krömer oder in Zivil führen, unter ihrem bürgerlichen Namen Alexander Bojcan?

Krömer: Das haben viele gefragt. Ich muss dafür etwas ausholen: 2012 war ich in Afghanistan und habe dort gedreht. Als Kriegsdienstverweigerer, nachdem mich die Bundeswehr gefragt hat, ob ich da Truppenbetreuung mache. Aber wenn die das haben wollen, dann fahre ich da gerne hin. Die Bedingung war: „Ich möchte da drehen. Ich muss alles aufnehmen können, was ihr da macht.“ Und da haben die gesagt: „Okay, machen wir.“ Und als ich die Aufnahmen in meiner Krömer Late Night gezeigt habe, habe ich schon gemerkt: Da hat eine Metamorphose stattgefunden. Seit 2012 sind Kurt Krömer und Alexander Bojcan immer deckungsgleich gewesen. Deshalb würde ich jetzt sagen, die Kunstfigur ist mir etwas abhandengekommen. Ich bin jetzt Alexander Bojcan, der in der Öffentlichkeit als Kurt Krömer bekannt ist und auftritt. Deshalb steht Kurt Krömer auch auf dem Buchcover.

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Ihr Bekenntnis zu schwerer Depression und klinischer Therapie platzte für die Öffentlichkeit aus heiterem Himmel aus Ihnen heraus - in der „Chez Krömer“-Folge mit Ihrem Comedy-Kollegen und Leidensgenossen Torsten Sträter, der Schirmherr der Depressions-Liga ist. Das  hat TV-Geschichte geschrieben. Ihre Kunstfigur Kurt Krömer ist ja nicht der angenehmste Typ, ganz im Gegenteil. Funktioniert die sarkastische harte Tour auf Voll-Konfrontationskurs seitdem noch?

Krömer: Unbedingt! Das steckt ja in mir. Das ist ja meine Vorstellung von Humor. Ich bin heute immer noch begeistert von Klaus Kinski, von Louis de Funès, einem der größten Choleriker, den ich kennenlernen durfte.

Und wie passt das zur neu entdeckten weichen Seite?

Krömer: Das geht so weiter. Das einzige, das sich geändert hat, ist, dass ich viel über Privates geredet habe. Dass ich zum Beispiel in dem Buch geschrieben habe, wie viel ich weine. Und ich weine heute noch gerne, ich habe davor schon gern geweint. Ich hatte nur das Problem: Ich habe richtig glasige Augen, die brennen richtig. Ich wollte immer gerne weinen, aber es ging nicht. Irgendetwas hat das zurückgehalten. Es war jetzt nicht die Ansage, dass man nicht weinen darf, sondern es ging einfach nicht. Ich wusste auch nicht, dass das von Interesse ist, dass ich auf einer Bühne sage: „Hey Leute, ich weine gerne, oder ich habe eine zarte Seite, oder ich bin alleinerziehender Vater.“ Da war wohl auch nicht immer der Wille da, warum soll ich jetzt alles Private öffentlich machen? Das ist jetzt neu, glaube ich, dass nach 30 Jahren Bühnenerfahrung nun so ein privates Buch herauskommt.

Ihr Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression“ ist zumindest bis zur Hälfte ziemlich harter Stoff. Sie berichten da fast brutal offen über ihre Depression, überwundene Alkoholsucht, Impotenz, Überforderung als alleinerziehender Vater, Beziehungen – was meinen Sie, passiert nach der Veröffentlichung am 10. März?

Krömer: Ich habe eigentlich ständig das Gefühl, dass das Buch schon längst draußen ist. Aufgrund der vielen Anfragen von Journalisten, die Interviews haben wollen, merke ich: Von der Aufmerksamkeit würde es mir bis hierhin eigentlich schon reichen. Aber am 10. März kommt das Buch raus, und das Atomkraftwerk wird mir positiv um die Ohren fliegen, denke ich.

Zum Buch

  • Alexander Bojcan wurde am 20. November 1974 in Berlin geboren. Seit 1992 tritt er mit dem Pseudonym Kurt Krömer als Komiker auf. Ab 2003 folgten diverse TV-Shows. Mit „Chez Krömer“ feiert er seit 2019 auf YouTube sowie beim rbb Erfolge und gewann dafür seinen zweiten Grimmepreis.
  • Im März 2021 berichtete er in „Chez Krömer“ seinem Gast Torsten Sträter von seiner schweren Depression. Daraus entstand das Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression“ (Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro).
  • Adressen, einen Selbsttest und Hilfe bei Verdacht auf Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de. Ein bundesweites Info-Telefon zum Thema: 0800/33 44 533. Für Angehörige: bapk.de
  • Live ist Kurt Krömer am 10. Februar 2023 im Mannheimer Rosengarten zu sehen. Karten unter eventim.de.

Über psychische Erkrankungen zu sprechen, ist Gottseidank längst kein Tabu mehr. Zuletzt ist es beinahe schon Mode geworden, Popsongs über die eigene Depression zu singen. Besteht die Gefahr, dass daraus ein Mode-Ding wird, dass dann doch wieder nur Zwang zur Selbstoptimierung ausübt?

Krömer: Könnte passieren. Ich bekomme oft Anfragen, bei denen  ich merke: Okay, da will mich einer benutzen, um damit Kohle zu machen, weil er Seminare verkaufen möchte. Wo ich mir sage: „Das ist ein bisschen Scharlatanerie, das lassen wir mal weg.“ Mein Buch ist ja auch ganz bewusst kein Ratgeber geworden, nach dem Motto: „Ihr müsst Euch jetzt so und so verhalten, diese Atemübung wird Euch zum Erfolg bringen.“ Oder: „Du guckst jetzt so traurig, Du bist bestimmt depressiv." Ich gebe keine Ratschläge, ich missioniere auch nicht. Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben. Und merke das erste Mal in meinem Leben, dass ich helfen kann. Indem ich nicht mehr tue, als meine Geschichte aufzuschreiben, um zu sagen: So sieht es bei mir aus. Zwei Jahre habe ich nämlich selbst im Nebel rumgestochert und mich gefragt: Was habe ich denn? Ich bin fast wahnsinnig geworden und stand kurz davor, ins Krankenhaus in die Notaufnahme zu gehen und zu sagen: „Hey Leute, ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber pfeift mir irgendwas rein, ich kann nicht mehr, ich breche zusammen.“ Dass man diese Zeit verkürzen kann, indem man den Dominostein antippt und sagt: „Leute, lasst uns doch einfach mal offen sprechen.“

Nach zwei Jahren Pandemie empfinden ja sehr viele Menschen das Leben als zäh und grau. Jetzt kamen auch noch die verstörenden Bilder aus der Ukraine dazu. Wie merkt man, wo die „normale“ Verstimmung aufhört und wann die Depression anfängt, die behandlungsbedürftig ist?

Krömer: Lassen Sie mich das grundsätzlicher beantworten: Wenn ich mir das in unserem Land da draußen so angucke, finde ich viele Strukturen äußerst depressiv. Dieses Gefühl sonntagabends, Scheiße, morgen ist wieder Montag, da muss ich wieder in den Scheißbetrieb. Da ist wieder der Chef, der unterdrückt mich dann wieder, hört mir nicht zu oder brummt mir Überstunden auf. Da gibt es so einige Hamsterräder. Da ist nicht unbedingt der Mensch depressiv, sondern die Struktur.

Das Schreiben scheint für Sie eine Station von Selbsttherapie gewesen gewesen zu sein, oder?   

Krömer: Ja, ich weiß noch, beim ersten Buch über die Afghanistan-Reise. Das hatte ich fertig und konnte nur noch auf „senden“ drücken,  ohne Anschreiben. Ich war so erschöpft, so fix und fertig, dass ich dachte, ich will das jetzt nur noch weg haben. Aber bei diesem Buch fiel es mir komischerweise etwas leichter. Denn die Geschichten hatte ich ja alle im Kopf.  Ich musste nicht stundenlang überlegen, was schreibst du jetzt? Das war wie bei einem Gefäß, aus dem langsam Wasser rausläuft und das immer leerer wird. Es floss einfach aus mir raus. Nach fünf, sechs Monaten war das durch und ist dann zur Lektorin gegangen. Dann ging es noch einmal hin und her. Aber das war schon eine schnelle Nummer, weil mir auch klar war, dass ich keinen Roman oder keinen Krimi schreibe, wo es zum Schluss spannend werden muss. Mir war auch klar, dass das nur eine Momentaufnahme ist.

In Mannheim werden am Zentralinstitut für seelische Gesundheit seit zwei Jahren Ersthelfer für Depressive ausgebildet. Müsste das flächendeckend passieren?

Krömer: Ich würde sagen, in der Praxis ist das nicht so einfach. Denn jetzt Leute dazu zu bringen, ein Seminar zu besuchen, ist wohl schwierig.

Es soll ganz gut laufen.

Krömer: Wenn das funktioniert, finde ich das gut. Was schon viel helfen würde, wenn man die Leute auf die Deutsche Depressionshilfe verweist. Die haben auf ihrer Seite fünf, sechs Fragen, mit denen man abchecken kann: „Geht es bei mir in Richtung Depression?“ Es hilft auch schon die Ansage: „Du kannst zum Hausarzt gehen, du musst nicht in eine Klinik oder zum Psychiater.“  Oder: „Mach‘ Dir keinen Kopf darum, ob du jetzt eine schwere, mittlere oder leichte Depression hast. Du kannst dich auch sofort in einer Klinik anmelden und musst nicht erst darauf warten, dass dir der Kopf abfällt.“ Wenn Sie außerdem noch auf die Mannheimer Kurse hinweisen, fände ich das gut.

Robin Williams war vielleicht der berühmteste depressive Komödiant. Gibt es noch viel mehr „traurige Clowns“ auf der Bühne, als wir denken?

Krömer: Weiß ich nicht, aber wenn das nur so ein Clownsproblem wäre, hätten wir mindestens zehn Millionen Clowns in Deutschland – ein großer Kollegenkreis. Ich weiß nicht, ob man sagen kann: „Geh‘ beruflich nicht in die Richtung, da wirst du depressiv.“

Wird sich die Sendung „Chez Krömer“ verändern, in der Sie lange hauptsächlich Leute  zum Verhör geladen haben, die Sie nach eigenen Angaben verachten?

Krömer: Ich bin jetzt gerade in der Vorbereitung für die nächste Staffel. Es zeichnet sich ab, dass das eine Hassliebe ist. Ich hasse die Vorbereitungen für die neue Sendung, aber wenn wir dann die erste oder zweite Folge  im Kasten haben, werde ich sie wieder lieben. Ich hasse das Format, und ich liebe das Format gleichzeitig. Und ich weiß auch, ich habe nicht so großen Bock darauf, dass das nur harmonisch wird. Eine nur harmonische Talkrunde zwischen mir und einem Gast, wo alles läuft und wir beide alles toll finden, ich glaube, da würde ich mich zu Tode langweilen.

Sie fragen sich im Buch selbst, ob ein Kurt Krömer ohne Vollmeise, der völlig normal ist, noch zu gebrauchen sein würde. Tatsächlich ist es ja verbreitet, an eine Verbindung von künstlerischem Genie und Wahnsinn zu glauben…

Krömer: Die Depression ist nicht mein Humorzentrum. Sie hat mich nicht dazu gebracht, lustig zu sein. Das gleiche Problem hatte ich damals, als ich noch aktiver Alkoholiker war. Als ich auch dachte, oje, wenn du jetzt aufhörst zu trinken, kannst du dann überhaupt noch lustig sein? Ist es vielleicht schon so, dass du nur lustig bist, weil du jeden Tag besoffen bist? Da habe ich schnell gelernt, dass das nichts miteinander zu tun. Alkohol macht nicht lustiger und eine Depression setzt sich auf mich drauf oder stülpt mir eine schwarze Decke über den Kopf, die mich blockiert. Ich merke sogar, dass die Kreativität um ein Zehnfaches größer geworden ist als vorher. Ich habe wieder Bock, in die Zukunft zu gucken. Deshalb: Die Kreativität ist noch da. Und in der Klinik haben sie sofort gesagt: "Eins können wir Ihnen versprechen: Ihre Vollmeise können Sie behalten. Da gehen wir nicht ran.“ Und da ist auch keiner rangegangen. Du hast die Krankheit, und du hast den Menschen. Und der Mensch hat halt in meinem Fall Humor, der hat Mutterwitz, der hat „funny bones“ , das bleibt so. Aber er ist halt krank, und wir nehmen ihm einfach nur die Krankheit.

Schönes Schlusswort. Gute Gesundheit. Und bis bald.

Krömer: Ja, am 10. Februar 2023 im Rosengarten können Sie mal gucken kommen, ob Kurt Krömer noch funktioniert.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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