Interview

„Klimakrise ist erst der Anfang“ - Bildungswissenschaftler über die Generation Greta

Von 
Agnes Polewka
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Unter dem Plakat mit der Aufschrift "Klimaschutz statt Klimaschmutz" demonstrieren Jugendliche am Rhein bei der Friday for future Demonstration für einen besseren Klimaschutz. +++ dpa-Bildfunk +++ © Roberto Pfeil / dpa

Berlin/Mannheim. Immer weniger neugeborene Mädchen erhalten den Namen Greta. Er sinkt auf der Beliebtheitsskala der Babyvornamen seit Greta Thunberg zum Gesicht der Klimabewegung geworden ist. Wie erklären Sie sich das?

Klaus Hurrelmann: Das wusste ich gar nicht (lacht). Ich vermute, das könnte daran liegen, dass der Name so prominent geworden ist und gleichzeitig auch so programmatisch besetzt ist. Manche Eltern glauben vielleicht, dass sie ihr Kind ihrerseits zu stark auf das festlegen, wofür diese junge Frau steht, wofür sie sich einsetzt und auf welche Art und Weise.

Greta Thunberg ist das Gesicht einer Jugendbewegung, die sich für eine bessere Welt einsetzt - warum ist das für viele Ältere ein Problem?

Hurrelmann: Die Jüngeren werfen den Älteren ja ausdrücklich vor, dass sie fahrlässig - teils gegen besseres Wissen und internationale Vereinbarungen -  gehandelt haben. Dass sie über ihre Verhältnisse gelebt und den nachfolgenden Generationen dadurch womöglich enorme Nachteile und Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität beschert haben. Das hören ältere Generationen natürlich nicht sehr gerne. Umso mehr muss man der Bewegung Fridays for Future und Greta Thunberg als Gründerin und Ikone der Bewegung zugutehalten, dass sie sich immer dafür eingesetzt haben, dass man eine Generationenbrücke schlägt. Dass die Bewältigung der Klimakrise eben nicht nur alleine durch die jüngere Generation möglich ist - sondern dass hier alle Generationen zusammenhalten müssen.

Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann

  • Prof. Dr. Klaus Hurrelmann gehört zu den bekanntesten Kindheits- und Jugendforschern in Deutschland.
  • Er ist seit 2009 Senior Professor an der Hertie School of Governance in Berlin. Zuvor war er Professor an der Fakultät für Pädagogik in Bielefeld. Er leitete von 1986 bis 1998 das Kooperationszentrum »Health Behavior in School Children« der WHO.
  • Zu seinen Forschungsgebieten zählen Sozialisation, Bildung und Gesundheit von Kindern in Familien und Schulen.

Das ist historisch betrachtet etwas ganz Neues, wenn man sich frühere Jugendbewegungen ansieht.

Hurrelmann: Absolut. Wenn man die 68er-Studentenbewegung betrachtet, war der Konflikt mit der älteren Generation wahnsinnig zugespitzt. Hier wurde der älteren Generation vorgeworfen, sie sei autoritär gewesen, habe den Nationalsozialismus geduldet oder ihn sogar aktiv herbeigeführt und lebe weiter in diesen autoritären Strukturen. Die Bewegung hat die Verbindung zu den älteren Generationen ganz klar gekappt und deutlich gemacht: Wir wollen diese Gesellschaft komplett neu aufbauen und vertrauen überhaupt nicht auf das, was ihr in der Vergangenheit gemacht habt. Das war ein richtiger Generationenbruch und -konflikt. Den hat die heutige klimaorientierte Bewegung nie forciert und herbeigeführt. Das ist historisch betrachtet bemerkenswert.

Und dabei gibt es doch einige Punkte, die dieser Generation neben der Klimakrise übel aufstoßen müssten. Rentenansprüche oder Besitz schreien ja geradezu nach dem Stichwort Generationenungerechtigkeit.

Hurrelmann: Das kann man wohl sagen. Meiner Meinung nach liegt das auch in der Luft, dass die heute auf das Klima ausgerichtete Bewegung den Generationenaspekt ausweitet und auf die finanzielle Zukunft und die wirtschaftliche Sicherheit der jungen Generation ausdehnt. Ich bin gespannt, wann das wirklich zum Thema wird. Die Klimakrise ist erst der Anfang.

Buch "Generation Greta"

  • Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, Generation Greta, Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist.
  • Erschienen im Beltz Verlag 2020.
  • Preis: 19,95 Euro.

Hat die „Generation Greta“ dabei auch die soziale Dimension im Blick oder rekrutiert sich die FFF-Bewegung doch eher aus gut betuchten Gymnasiasten, die es sich leisten können freitags auf die Straße zu gehen?

Hurrelmann: Ja, das tut sie. Die Bewegung wird fast ausschließlich von jungen Leuten getragen, die sehr gebildet sind und aus wirtschaftlich gut aufgestellten Elternhäusern stammen. Von Menschen, die gut in der Schule sind und sich den Schulstreik, der zwei Jahre lang zu den Mitteln der Wahl dieser Bewegung gehörte, leisten können. Auch weil sie sich auf ihr Elternhaus verlassen können. Diese Beobachtung ist richtig und man sie durchaus auch als Kritik sehen. Man kann davor ausgehen, dass 60 Prozent der Generation nicht Anhänger oder Sympathisant der Klimaschutzbewegung im engeren Sinn sind. Sie sind damit nicht mit ihren Anliegen und Problemen in der Öffentlichkeit vertreten.

Welche sind das?

Hurrelmann: Für diese jungen Menschen ist die Klimakrise nicht das Problem Nummer Eins. Je schwächer sich die soziale Ausgangslage gestaltet, umso wichtiger wird die eigene berufliche Zukunft als Thema. Gleichzeitig ist die Fähigkeit, diese Probleme zu artikulieren, nicht so gut ausgeprägt.

Wie kommt es, dass gerade jetzt eine Jugendbewegung so laut wird? Wäre das nicht eher von den  Vorgänger-Generationen zu erwarten gewesen, die zwischen 9/11 und der Weltwirtschaftskrise aufgewachsen sind?

Hurrelmann: Das kann man wohl sagen. Man könnte sogar noch einen Schritt zurückgehen und die Generation davor auch noch ansprechen, die in wirtschaftlicher Unsicherheit lebte. Aber insbesondere die heute 20- bis 35-Jährigen, die hatten eigentlich allen Grund von Beginn an ihrer Jugendzeit zu klagen und gegen die Politik zu protestieren, die ihnen eine solch unsichere berufliche Perspektive bot. Für diese jungen Leute waren die Weltwirtschaftskrise, die internationale Verunsicherung durch Terroranschläge, die Umweltkatastrophe Fukushima außerdem gewaltige Erschütterungen fast traumatischer Art. Interessanterweise haben sie sich politisch nicht artikuliert, sondern mit Überlebensstrategien reagiert: Sie haben in gute Bildungsabschlüsse investiert und sich sehr auf das eigene Fortkommen konzentriert. Das ist ganz und gar nachvollziehbar.

Warum?

Hurrelmann: Wenn wir uns n frühere Bewegungen ansehen, dann erkennen wir, dass das schon immer so war. Ein Jugendprotest wurde nie von denen angestoßen, die unter Druck und mit dem Rücken zur Wand standen, sondern von denen, die einen freien Blick hatten. Eine politische Bewegung in einer jungen Generation ist immer dann besonders stark, wenn die ökonomischen und beruflichen Perspektiven grundsätzlich besonders gut sind. Und genau das ist im Übergang zur aktuellen jungen Generation passiert. Deshalb haben wir diesen starken Wandel zwischen den Menschen, die vor und denen, die nach 2000 geboren worden sind.

Welche Generation wächst hier heran?

Hurrelmann: Wir haben im Buch das Wortspiel verwendet, dass hier keine „Egotaktiker“ wie die vor 2000 Geborenen heranwachsen, sondern Ökotaktiker, die in einer strategischen Weise die ganze Politik aufgemischt haben und die politische Agenda – trotz der Unterbrechungen wegen der Corona-Krise – sehr stark geprägt haben. Und es ist eine Generation, die sehr viel Wert auf Lebensqualität legt.

Inwiefern?

Hurrelmann: Sie hat den Anspruch, ein lebenswertes Leben zu führen. Das gilt für den physischen, den klimatischen Bereich und auch für den sozialen, persönlichen Bereich. Diese Menschen möchten mit ihren persönlichen Bedürfnissen leben, sie wollen keine gesellschaftlichen Restriktionen. Dazu gehört zum Beispiel die persönliche Beziehungsgestaltung – übrigens eine auffällige Parallele zu den 68ern. Ein starkes Thema ist auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier schwingt auch ganz stark der Wunsch mit, sich nicht vom Beruf auffressen zu lassen, insbesondere, weil man digital aufgewachsen ist. Und: die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ihnen wichtig. Das sieht man auch daran, dass in der Jugendbewegung besonders viele Frauen dominant die politische Bewegung vorangetrieben haben.

Ihre Einschätzung: Wird die Protestbewegung versanden oder sich etwas verändern?

Hurrelmann: Wir blicken ja auf zwei Jahre zurück, in denen der Bewegung zwei ihrer wichtigsten Instrumente – durch die Corona-Krise – aus der Hand geschlagen wurden: öffentliche Proteste und Schulstreiks. Wenn man das bedenkt, dann ist die Bewegung trotz der Pandemie noch da. Sie ist stark und artikulationsfähig. Das würde ich als Symptom dafür sehen, dass sie eine nachhaltige politische Bewegung und stark im Bewusstsein der jüngeren Bewegung verankert ist. Und das Thema wird ja auch in der Gesamtbevölkerung immer wieder auf Aufmerksamkeit stoßen, weil wir durch Naturkatastrophen fast wöchentlich daran erinnert werden. Es wird sicherlich andere Formen geben, aber wir wissen, dass der Fokus auf diese Themen auch in den mittleren und älteren Generationen angekommen ist.

Klaus Hurrelmann / Erik Albrecht, Generation Greta, Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist. Beltz Verlag 2020, 19,95 Euro
 

Klaus Hurrelmann © Britta Pedersen/dpa

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