Mannheim. Kabarettist Florian Schroeder hat ein lesenswertes Buch über Meinungsfreiheit geschrieben. Im Interview spricht er über den Umgang mit Querdenkern, Zensur im Internet und die Selbst-Marginalisierung von Xavier Naidoo und erklärt, dass er die umstrittene Kollegin Lisa Fitz wieder in seiner TV-Show einladen dürfte.
Herr Schroeder, Sie haben mit „Schluss mit der Meinungsfreiheit! Für mehr Hirn und weniger Hysterie“ ein sehr lesenswertes Buch zur rhetorisch angespannten Lage der Nation geschrieben. Warum müssen das Satiriker übernehmen, wo sind die Intellektuellen?
Florian Schroeder: Wollen Sie damit sagen, dass Satiriker keine richtigen Intellektuellen sind? (lacht)
Ja.
Schroeder (lacht laut): Sondern?
Im besten Fall kritische Künstlerinnen und Künstler, die komplexe Zusammenhänge oft handfester darstellen können als Politiker oder Journalisten. Und das unterhaltsam…im Idealfall.
Schroeder: Okay. Ich weiß auch nicht, wo die sogenannten Intellektuellen stecken. Offenbar müssen Satiriker in diesen Zeiten viele zusätzliche Jobs übernehmen, da offene Planstellen mit eingeplantem Personal nicht besetzt werden können. Wir erleben wohl gerade eine Phase, in der es intellektuell recht mau zu geht. Ich konnte mit dem schwammigen Begriff des Intellektuellen ohnehin nie viel anfangen. Ich kenne Psychologen, Mediziner, Naturwissenschaftler, Informatiker, Philosophen, die teils virtuos sind, aber keine Intellektuellen. Und deren Vertreter aus der ersten Reihe neigen oft dazu, eher obskure Thesen zu vertreten. Richard David Precht, der als Intellektueller gehandelt wird, sagt auch mitunter Dinge, bei denen ich manchmal denke: „Wann kommt die satirische Auflösung?“ Aber dann kommt sie gar nicht. Insofern findet vielleicht gerade ein Epochenwechsel statt: Die Clowns verlassen die Seitenlinie und übernehmen die Rolle der - sogenannten - intellektuellen Spielmacher.
An vielen Stellen des Buches geht mit Ihnen der Philosophie-Student durch, Ihr Kollege Eckart von Hirschhausen hat einen Bestseller über die Rettung der Erde geschrieben – vergeht den Humoristen gerade das Lachen beim Gang von der Seitenlinie?
Schroeder: Nein, das Lachen vergeht mir eigentlich nicht. Mit Sicherheit sind es aber herausfordernde Zeiten, die sehr stark ans Grundsätzliche appellieren. Man ist ja als Künstler auch nur Medium der eigenen Zeit. Das heißt: Wenn man den Job ernst nimmt, fließen die Tiefenthemen der eigenen Epoche durch einen hindurch. Sie arbeiten in einem, man beginnt, das Chaos in sich zu ordnen und dann beginnt man, sich entsprechend zu äußern – sofern man navigationsfähig ist. Wir sind nicht mehr in den Zeiten, als die Spaßgesellschaft dominierte – der zweitblödeste Begriff nach Intellektueller übrigens - Sondern heute geht es um grundsätzliche Fragen, die andere Antworten erfordern. Deswegen durchmischen sich ernsthafte und unterhaltsame Elemente vielleicht stärker als früher. Was ich im Übrigen sehr begrüße.
Inwiefern?
Schröder: Weil ich die deutsche Kleinkariertheit bei der Unterscheidung von E- und U-Kultur nie verstanden habe. Wir fordern das Bekenntnis: Entweder man ist immer lustig oder immer ernst. Dabei steckt im Lustigen oft großer Ernst, und im Ernst viel Komik – oft auch unfreiwillig.
Unser Verständnis von bürgerlicher Öffentlichkeit war ja lange von Jürgen Habermas geprägt. Nun haben nicht zuletzt Internet und soziale Medien den Diskurs massiv verändert. Laut Buch lieben und hassen Sie das Internet. Wie weit kann/muss/soll eine mögliche Regulierung des Netzes gehen?
Schroeder: Das ist eine gute Frage. Ich bin eigentlich kein Freund der linksvulgären Haltung „Verstaatlicht die alle!“ Weil mir das immer zu einfach ist. Da bekommt man schnellen Applaus von der vermeintlich richtigen Seite. Aber ich merke mittlerweile, dass die Alternativen zu diesen Schritten gering sind. Außerdem sehen wir, dass die meisten Konzerne schlicht nicht kooperieren, weil ihr Geschäftsmodell auf dem Negativen und der Emotionalisierung aufbaut. Deshalb haben sie gar kein Interesse an einer Regulierung. Wir müssen erkennen, dass diese Konzerne nicht nur privatwirtschaftliche Interessen haben, die global und disruptiv sind – sondern, dass sie parastaatliche Interessen haben, die die ganze Demokratie aushöhlen können. Deshalb glaube ich, dass die Ruder der Politik schlicht nicht mehr ins Wasser reichen. Da gibt es gute und ehrenwerte Versuche, und sowohl im US-Kongress als auch in der EU-Kommission gut gemeinte Gesetzestexte. Aber ich habe das Gefühl, die Politik hat aktiv ein Monster geschaffen, das sie nicht mehr beherrscht.
Wenn extrem prominente Künstler wie der Mannheimer Xavier Naidoo oder neuerdings ein Van Morrison ihre Reichweite nutzen, um gefährlichen Unsinn zu verbreiten, kommt man als Kulturmensch in die Bredouille. Normalerweise sind Kunst- und Meinungsfreiheit sakrosankt. Inzwischen bezweifle ich, dass sich Voltaire schützend vor jeden stumpf frauenfeindlichen Pornorapper oder QAnon-Infizierten werfen würde. Und finde, dass Paragraphen wie Volksverhetzung oder Beleidigung genauer gefasst und mit auch für Pop-Millionäre wie Kollegah spürbaren Strafen belegt werden müssten. Wo stehen Sie?
Schroeder: Häufig stimmt ja der Satz „Man braucht keine schärferen Gesetze, man muss nur die vorhandenen richtig anwenden.“ Das wäre mal der erste Schritt. Bei den von Ihnen angesprochenen Fällen und Gesetzen ist klar, dass die Gesetzeslage einfach zurückhängt. Da ist das Phänomen Internet nicht verstanden und mitgedacht worden bisher. Da müsste man dringend auf die Höhe der Zeit kommen. Ich meine, hier braucht es tatsächlich schärfere Waffen und Reaktionen des Gesetzgebers. Sonst ist dem kein Einhalt zu gebieten. Und die Verächter der Meinungsfreiheit, die sie häufig am lautesten verteidigen, tanzen dem Staat auf der Nase herum.
Sie haben eine journalistische Vergangenheit und analysieren in ihrem Buch auch die Lage der Medien nach dem Ende ihrer Deutungshoheit durch die Vielstimmigkeit des Internets. Wie sehr macht Ihnen die Entwicklung Sorge, auch der Vertrauensverlust?
Schroeder: Es geht in erster Linie über guten Journalismus. Der ist natürlich mehr denn je in Gefahr. Zum einen, weil die Pressefreiheit in vielen Staaten in sehr dramatischer Weise angezweifelt und eingeengt wird. Zum anderen: Wer will den Job noch machen? Immer schlechter bezahlt, immer gefährlicher, da mehr man mehr Bedrohungen ausgesetzt ist, teils auch offener Gewalt. Und das in einer Zeit, in der wir dringend fundierte, gut recherchierte, einordnende Stimmen brauchen. In der Politik stellen sich ja dieselben Fragen: Rund um die Uhr arbeiten für kleines Geld – gemessen an der Belastung und der permanenten Öffentlichkeit– wer tut sich das noch an? Dass das demokratische System implodiert, weil zu wenig Leute Politik und Journalismus betreiben wollen, halte ich für eine ernste Gefahr der nächsten Jahrzehnte.
Sehen Sie einen Ausweg?
Schroeder: So naiv das jetzt klingen mag: Es geht nur über guten, vor allem auch gut bezahlten Journalismus. Sowohl von Seiten der User als auch vonseiten der Medienhäuser. Die Umsonstkultur, die die Medienhäuser lange zugelassen haben, ist ein Problem. Daraus müssen wir lernen. Auch wir Konsumenten.
Wenn wir die mediale Vielfalt und die Kontrolle der Verwaltungen durch eine vierte Gewalt in der Fläche, also auch in Kleinstädten erhalten wollen, werden wir nicht um eine Art GEZ als Stütze für Printmedien rumkommen. Wir sehen ja in den USA, was der Wegfall von Lokaljournalismus teilweise für Auswirkungen hat.
Schroeder: Natürlich, wahrscheinlich brauchen wir so etwas.
Sie singen ja das Hohelied auf den Podcast. Ist das die Zukunft von Journalismus, auch in der Breite?
Schroeder: Ich denke schon. Man merkt es ja jetzt schon. Es gibt unendlich viele Hörerinnen und Hörer. Und es soll deutschlandweit schon gut 70 000 Podcasts geben. Wobei sich das Gros des Markts unter ein paar hundert aufteilt, wenn ich richtig informiert bin. Man kann es unterwegs hören, alles dabei machen, es ist Kino im Kopf, man braucht nicht die Konzentration des Lesens. Für ein Zeitalter, das sich der Mobilität als Religion verschrieben hat, ist das auf jeden Fall ein Medium der Zukunft.
Richtig. Aber die Top-Podcast sind fast komplett eher auf unterhaltsames Geplauder von Prominenten wie Felix Lobrecht, Jan Böhmermann, Micky Beisenherz oder wie bei Ihrem mit Serdar Somuncu bei Radioeins ausgerichtet. Das transportiert oft auch politische und zuletzt in der Pandemie starke wissenschaftliche Inhalte. Aber hat so etwas wie grundständige Haushaltsberichterstattung wirklich eine Zukunft im Podcast?
Schroeder: Podcasts beschränken sich ja nicht auf Geplauder. Es gibt auch zahlreiche Bildungs-Podcasts und Features, die gut funktionieren.
Eine Sternstunde Ihrer Karriere ist eine Art roter Faden des Buches: Ihr schlagzeilenträchtiger Auftritt in der Höhle des Löwen, auf der Bühne einer Querdenker-Demo im August 2020 als scheinbar bekehrter Systemling. Wäre so etwas heute noch denkbar – oder ist es schon zu gefährlich?
Schroeder: Man könnte das heute insofern nicht mehr machen, als sich die Szene mittlerweile so radikalisiert hat, dass möglicherweise die Gefahr zu groß wäre. Damals war das noch heterogener und eher in den Anfängen. Ich hatte dasselbe ja eine Woche vorher in Berlin vor. Das hat zum Glück nicht geklappt. Denn dort wäre es schon damals nicht möglich gewesen, da wäre ich vor 20 000 Leuten untergegangen. Das war so aufgepeitscht und gewaltbereit, da wäre ich nicht durchgedrungen. Das ging dann in Stuttgart, weil es kleiner war. Mit mehr Leuten, die einfach so vorbeikamen. Heute hat die Bewegung eine so radikale Kraft, dass ein Mainstream-Clown wie ich gar nicht mehr zu Wort kommen würde. Heute würde fast jeder, der sich da hinstellt, mit Buhrufen und schlimmerem überzogen. Weil die Bereitschaft zuzuhören, hier wahrscheinlich gar nicht mehr da ist.
Außerdem haben sie mit dem gebürtigen Wertheimer Michael Ballweg einen der Strippenzieher der Bewegung in Ihre Sendung eingeladen. Wie ist mit Abstand Ihr Fazit dieser Aktionen? Haben Ihre Kontakte mit Querdenkern etwas bewirkt?
Schroeder: Das ist für mich selbst schwer zu sagen. Ich bekomme natürlich viele Nachrichten von Leuten, die dankbar waren, dass ich das gemacht habe. Auch von vereinzelten Menschen, die verunsichert waren, und sich fragten, warum man überall das Gleiche zu hören bekomme und ob es keine anderen Meinungen gäbe, die man mal hören sollte. Denen hat die Aktion in Stuttgart gezeigt, dass im Querdenker-Milieu sehr viele Leute dabei sind, denen man besser nicht folgt. Vor allem, wenn sie ihre eigene Intoleranz vorführen. Ich glaube schon, dass es in diese Kreise ein wenig hineingewirkt hat. Aber ich kann das natürlich nicht empirisch belegen. Damit würde ich meine Arbeit vielleicht auch unrechtmäßig überschätzen.
Der zum Querdenker-Flaggschiff gewordene Xavier Naidoo kommt in Ihrem Buch fast ein bisschen kurz, schließlich hat er die Radikalisierung des Sagbaren als einer der Ersten und Prominentesten massiv vorangetrieben. Heute folgen aus Rhetorik Taten….
Schroeder: Heute halte ich ihn für sehr marginalisiert und glaube, dass er längst nicht so gefährlich ist, wie einige denken. Er ist insofern eine Gefahr, als dass er frei oszilliert zwischen QAnon und allen möglichen Verschwörungstheorien. Aber es ist schon sehr absurd und sehr weit weg von jeder Anschlussfähigkeit. Die meisten Verschwörungsideologen leben ja davon, dass sie irgendetwas anbieten, was die Gefühlslage einer etwas größeren Gruppe in der Bevölkerung trifft. Ansonsten marginalisiert man sich selbst und schafft sich ab. Das hat Xavier Naidoo geschafft.
Mit dem Begriff Cancel Culture ist ansonsten das Phänomen beschrieben, dass Menschen quasi abgeschafft werden, vorzugsweise Kollegen und Kolleginnen von Ihnen. Wegen einzelner Pointen teilweise. Sie selbst überstehen Shitstorms wie nach ihrer Herren-Podcast-Runde mit Serdar Somuncu ziemlich folgenlos, also ungecancelt. Dieter Nuhr oder Dave Chappelle scheinen oder schienen dagegen lange in einer „Jetzt erst recht“-Schleife zu stecken. Was machen Sie da besser – ist es die „flexiblere Haltung“, wie Sie es im Buch beschreiben?
Schroeder: Ich weiß gar nicht, ob ich es besser mache. Ich glaube, ich mache es anders. Ich habe nicht das Gefühl, einen auserkorenen Feind zu haben, gegen den ich angehen muss. Oder dem ich immer wieder zeigen muss, was ich kann und dass ich es im Zweifel besser kann. Mein Feind ist der Dogmatismus, sind Dogmen aller Art – dagegen gehe ich an. Deswegen bin ich auch nicht der Auffassung, dass ich nur gegen eine bestimmte Seite angehen muss. Ich vergleiche auch nicht die Woken mit den Nazis, das liegt mir fern. Ich versuche in meiner Arbeit von einem Standpunkt aus in die Welt zu blicken, der sich diesen Gefechten entzieht und trotzdem Position bezieht. Aber nicht in dem missionarischen Anspruch, jetzt endlich mal wirklich zu sagen, wie schlimm diese oder jene sind.
Aber zum Beispiel Rechtsextremismus ist in unserer Gesellschaft ja keine Diskussionsgrundlage, sondern ein Fall für Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaften.
Schroeder: Unbedingt. Der Rechtsextremismus ist und bleibt das größte Problem unserer Gesellschaft.
Kürzlich haben Sie als Moderator der SWR-Satireshow „Spätschicht“ Ihre Kollegin Lisa Fitz mit einer impfskeptischen Nummer und einer falschen Zahl zu Impftoten präsentiert. Das gab einen kräftigen Proteststurm. Aber eigentlich ist es ja nicht falsch, abweichende Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Zumal Sie den Beitrag sehr kritisch eingeordnet haben in der Anmoderation. Würden Sie das wieder so machen? Beziehungsweise dürften Sie?
Schroeder: Na klar dürfte ich. Die Einordnung war in diesem besonderen Fall wichtig. Genauigkeit im Hinblick auf Zahlen und Fakten ist heute wichtiger denn je.
Sollte man keine Witze über Greta Thunberg machen? Dieter Nuhr konnte sich das nach dem ersten Shitstorm lange nicht verkneifen, wie es schien…
Schroeder: Gags über Greta Thunberg sind überhaupt kein Tabu. Jemand, der sich auf so eine große Bühne stellt und so eine Bekanntheit erlangt, über die oder den kann man auch Witze machen. Die Frage ist nur: Welche Witze? Hier entscheidet sich die Qualität im Inhalt. In dem Moment, indem man über eine Person oder Gruppe keine Witze mehr macht, schließt man sie ja quasi aus. Das ist eine kleinkarierte Haltung nach dem Motto: „Das ist eine von den Guten, da machen wir nix dazu.“ Doch!
Das habe ich auch lange so gesehen. Konstantin Wecker hat mich in einem Interview zu dem Thema überzeugt, dass man es besser lassen sollte – weil die junge Frau ohnehin mit Mord und Totschlag bedroht wird. Was man mit Pointen womöglich noch befeuert.
Schroeder: Das ist dramatisch und schlimm. Aber Witze befördern nicht automatisch den Hass. Das würde ja auch bedeuten, dass man diesen Leuten, die sie mit dem Tode bedrohen, eine gewaltige Macht gibt. Wenn wir als Komiker, die für uns beanspruchen, reflektiert und differenziert zu sein, uns vom Mob diktieren lassen, über wen wir noch Witze machen dürfen, dann kommt das einer Kapitulation gleich.
Wie antisemitisch finden Sie Lisa Eckhart?
Schroeder: Überhaupt nicht. Es gibt in meinen Augen auch keinen Grund, sie so zu sehen. Die Pointen und Nummern, die in Rede stehen, sind sehr konsequent – das Ziel ist klar. Gerade in der Nummer zum Filmproduzenten Harvey Weinstein. Ein Jude ist hier Täter, obwohl wir Juden doch auf dem Opfer-Ticket hatten, ist eine sehr luzide Beschreibung unseres Problems. Nämlich, dass wir vielfach nur noch in einfachen Täter-Opfer-Kategorien denken. Und dass wir völlig überfordert damit sind, dass Opfer Täter sein können und umgekehrt. Die Übergänge dazwischen kennen wir nicht mehr. Da hat die Passage voll reingestochen, deshalb gab es diese Aufregung. Die Zielrichtung war nicht antisemitisch, sondern ging in die Richtung, wie radikalisiert und manichäisch wir und unsere Weltbilder eigentlich sind.
Der Heidelberger Karlstorbahnhof würde Eckhart nicht mehr einladen und verbittet sich Pointen gegen Minderheiten auf seiner Bühne. Wie finden Sie das?
Schroeder: Das ist kunstfeindlich. Das darf nicht passieren.
Nachrichtlich zugespitzt: Heißt das, Florian Schroeder findet Witze gegen Minderheiten gut?
Schroeder: Nein, eben nicht! Kunst muss frei sein und darf nicht a priori begrenzt werden. Am Ende ist das ein gefährlich dogmatisches Programm. Das kann von jeder Seite instrumentalisiert werden. Heute sind wir die Guten und wollen keine Witze über Minderheiten. Und morgen sagt die AfD: „Keine Witze auf Kosten von Nazis.“ Das ist austauschbar. Und deshalb ein gefährliches Prinzip. Das ist der Fluch der guten Tat, dass sie am Ende zum Schlimmsten führen kann. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der Kunst vorgeschrieben wird, worüber sie sich lustig machen darf. Man kann Witze über Minderheiten machen, man muss es nur auflösen. Wie Gerhart Polt mit seiner Mai-Ling-Nummer, die purer Rassismus ist, aber letztlich nur einen widerlichen Alltagsrassisten vorführt und nicht seine asiatische Frau. Diese Technik ist heute wichtiger denn je. Weil sich Satire heute oft semi-journalistisch und aufklärerisch versteht – sehr oft auf hohem Niveau - dabei aber manchmal nur offene Türen einrennt, weil alle Beteiligten viel zu genau wissen, wer der Böse ist. Da hilft die Form von Gerhard Polt, da wird gesagt: „Freunde, ich bin hier das Arschloch. Und wisst Ihr was? Ich glaube, Ihr seid es auch!“ Damit evoziert man die Selbstwahrnehmung auch der selbsternannten Guten im Publikum, die im besten Fall sagen „Scheiße, das stimmt!“ So etwas verbieten zu wollen, ist fatal. Ich muss doch auf der Bühne rassistische Klischees aufbieten können, um sie am Ende radikal zu dekonstruieren. Ist das dann noch möglich?
Unverhohlener Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien versus „wokes, oft inquisitorisches Denken“, wie Sie die linke, sich selbst als aufgeklärt verstehende Seite beschreiben. Wie bekommen wir das als Gesellschaft wieder zusammen? Man fühlt sich mitunter schon an die Weimarer Republik erinnert.
Schroeder: Der optimistische Teil in mir würde sagen, das ist eine Zeiterscheinung des Übergangs. Ein Epochenbruch, in dem sich sehr viele Normen und Werte auf einmal verändern. Weswegen eine junge Generation auf den Plan tritt, die lauter ist – und das auch zu Recht, was die Bekämpfung von Rassismus und Sexismus angeht. Weil das, was die früheren Generationen an Liberalem vertreten haben, offensichtlich im Zeitalter des Netzes nicht mehr trägt. Also brauchen wir neue Verabredungen. Nur: Die Veränderungen werden langsamer und systemischer eintreten, als sich das viele vorstellen können. Aber sie werden nach und nach eintreten. Das heißt, wir werden anders miteinander umgehen. Eine wachsende Sensibilität wird in die Gesellschaft einsickern – genau wie einst die Werte von 1968, die die Republik maßgeblich verändert haben.
Und die schlechte Nachricht?
Schroeder: Der pessimistische Teil ist: Ich fürchte, dass sich diese Debatten erstmal weiter verhärten werden. Weil wir in einer Zeit leben, in der das Extreme siegt und attraktiver ist als die ruhigere, ausgleichende Position. Ich hoffe, dass wir den ersten Schritt so frühzeitig schaffen, dass der zweite nicht zu dominant werden kann.
Wird ihr Live-Programm mit dem hoffnungsvollen Titel „Neustart“ hilfreich sein?
Schroeder: Ich hoffe ja. Ich bin auf der Bühne aber der Advcocatus diaboli. Der angekündigte Neustart ist ganz anders, als es der Titel suggeriert.
Start als Parodist
- Der Kabarettist, Moderator und Podcaster Florian Schroeder wurde am 12. September 1979 in Lörrach geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie in FReiburg und Berlin, wo er heute lebt.
- Er profilierte sich zunächst als Parodist und fiel so erstmals 1993 in Harald Schmidts Sendung „Schmidteinander“.
- Inzwischen zählt er zu den gefragtesten Satirikern der Republik – auch dank mehrerer TV-Erfolgsformate wie „Spätschicht – Die Comedy Bühne“ und „Die Florian Schroeder Satire Show“.
- Bei dem Programm „Neustart“ ist er am 28. April im Wormser und am 4. Juni im Bensheimer Parktheater zu sehen.
- Schroeders Buch „Schluss mit der Meinungsfreiheit!: Für mehr Hirn und weniger Hysterie“ ist bei dtv erschienen (368 Seiten, 16 Euro). jpk
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