Heidelberg. Im Jahr 2013 übernahm der Handschuhsheimer Künstler Matthis Bacht das ehemalige Wohnhaus von Eva Vargas am Wehrsteg. Beworben hatte er sich auf eine Ausschreibung der Stadt Heidelberg aus zwei Gründen: „Durch das Neuenheimer Feld ist das Haus ein öffentlicher Ort geworden, das fand ich auch für meine eigene Arbeit interessant.“ Eine weitere Inspiration seien die Gedichte von Eva Vargas gewesen. Mit seinem Konzept wollte er die Arbeit von Vargas aus dem Blickwinkel anderer Künstler beleuchten. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Ausstellungen zu diesem Thema entstanden, die er Kapitel nennt. Der Künstlerin Eva Vargas kommt er auch über Gespräche mit Besuchern, die sie kannten, Stück für Stück näher. Manche bringen Erinnerungsstücke wie einen über Jahrzehnte geführten Briefwechsel mit einem befreundeten Ehepaar mit.
Aus den anfangs geplanten vier Ausstellungen pro Jahr sind inzwischen mehr geworden, denn Bacht nutzt neben den Räumen des winzigen Hauses auch den Außenbereich und die Fassade. Der ganzjährig zugängliche Garten ist selbst ein kreatives Kunstprojekt. Bacht legte ihn größtenteils neu an mit dem Ziel, eine Einheit mit dem Gebäude entstehen zu lassen: „Die Kunst dabei ist, dass es so aussieht, als wäre nichts geplant.“ Die Aufteilung in unterschiedliche Zonen und die Bepflanzung erlauben spannende Übergänge und Durchblicke.
Rot blühende Pflanzen im Garten
Als optische Verbindung zum Ziegelsteinhaus wählte Bacht ausschließlich rote oder rot blühende Pflanzen. Der Container stammt aus einem Projekt mit dem Heidelberger Kunstverein und bietet zusätzliche Ausstellungsoptionen, der Hof wird für Vernissagen, Filmvorführungen oder Arbeiten im Freien genutzt. Eva Vargas’ 1987 entstandener Vogel schmückt nach wie vor die Fassade des Hauses und lässt sich bis heute vielfältig interpretieren: „Man kann ihn als Friedenstaube, aber auch als Phoenix sehen.“ Er fügt sich nahtlos in Bachts eigenen Lichtkonzepte und -installationen wie „Ich finde es & es findet mich“ ein.
Künstler aus dem gesamten Bundesgebiet nutzen das Haus für ihre konzeptionelle Arbeit, ein bis zwei Wochen dauern diese Arbeitsphasen meist. Sie finden eine Neuinterpretation der ehemaligen Wohnräume von Eva Vargas vor, die ursprüngliche Aufteilung wird immer wieder angedeutet. „Wir haben sehr behutsam zurückgebaut, um den Industriecharme zu erhalten.“ Bacht schuf möglichst viel Wandfläche, die aktuell Ülkü Süngün in ihre Ausstellung „Das Benennen“ mit einbezieht. Die Stuttgarter Künstlerin gründete 2017 ihr „Institut für künstlerische Migrationsforschung“, ihre Fotografien, Videos, Installationen und Skulpturen beschäftigen sich mit Fragen zu Erinnerung, Migrations- und Identitätspolitik.
Ihr hier gezeigtes Projekt entstand ebenfalls während eines Aufenthalts im Haus am Wehrsteg und beschäftigt sich mit der Macht des Benennens. Kuratiert wurde es von Evein Obulor, die sich seit vielen Jahren aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung engagiert, inzwischen auch im Auftrag der Stadt Heidelberg. Eine akustische Installation präsentiert 35 Möglichkeiten, einen Namen aus einer nigerianischen Landessprache falsch auszusprechen. Dies bleibe, so Obulor, nicht ohne Wirkung auf die Angesprochenen: „Schreibt man einen Namen gar falsch, kann das zu falschen Dokumenten und damit zu weniger Rechten führen.“ Parallel dazu wurde ein Namensgebungsverfahren für eine neue Apfelsorte beim Bundessortenamt angestoßen. Ein Prozess, der bis zu einem Jahr dauern kann. Die aromatisch duftenden Äpfel in der Mitte des zweiten Ausstellungsraums sind ein Symbol für das aktive Benennen im Gegensatz zum passiven benannt werden.
An der Ziegelfassade zum Garten zeigt der Fotograf Alexander Ehalt einen Teil seiner Fotodokumentation „Lost Bodies“. „Sie wird dort so lange zu sehen sein, wie die Drucke halten. Wir rechnen mit vier bis fünf Monaten“, erklärt Bacht. Mit diesen beiden Projekten endet die aktuelle Ausstellungssaison. Für das Haus am Wehrsteg erwartet er aber noch viele spannende Projekte: „Ich vertraue auf das, was dieses Haus in den Künstlern auslöst.“
Denkmalgeschützter Ort für Kunst
Architekt des denkmalgeschützten alten Trafohauses sowie des angrenzenden Wehrstegs war Paul Bonatz. Er entwarf unter anderem auch den Hauptbahnhof in Stuttgart.
Der denkmalgeschützte Industriebau entstand Ende zwischen 1925-1930 und wurde als Trafoturm und Reservekraftstoff-Station genutzt.
Seit den 1970er Jahren wird der Ziegelsteinbau als Künstlerhaus betrieben. Er diente der Künstlerin Eva Vargas lange als Wohnhaus und Atelier.
Matthis Bacht studierte unter anderem Bildhauerei in Düsseldorf und stellt aktuell selbst im Heidelberger Bahnbetriebswerk aus.
Mehr Informationen unter www. hausamwehrsteg.info. Öffnungszeiten außerhalb der Wintermonate: samstags und sonntags sowie an Feiertagen von 12 bis 17 Uhr. hdue
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