Interview - Regina Kammerer, 2021 als Verlegerin des Jahres gewürdigt, hält in ihrer Branche viel von Freiraum für Kreativität, aber wenig von Unterscheidungen nach dem U- und E-Prinzip.

„Büchermachen ist Teamarbeit“

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Regina Kammerer, gebürtige Mannheimerin, fühlt sich ihrer Heimat immer noch verbunden. © Ulrike Frömel/Verlag

Eigentlich sollte an diesem Donnerstag, 17. März, die Leipziger Buchmesse beginnen - sie ist aber zum dritten Mal abgesagt worden. Nicht nur darüber sprachen wir mit Regina Kammerer, Leiterin der Verlage btb und Luchterhand Literatur.

Bei der Leipziger Buchmesse haben vor allem große Aussteller Rückzieher gemacht. Warum?

Regina Kammer: Kurz gesagt: die Corona-Lage. Die Absage vieler Verlage ist allein der pandemischen Situation geschuldet. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in überfüllten Messehallen Standdienst hätten tun müssen, dafür trägt man eine Verantwortung. Der Krankenstand zum Zeitpunkt der Absage tat ein Übriges und war auch in unserem Haus immens.

Frau Kammerer, Sie haben Sasa Stanisic als Autor gewonnen - bevor dessen Roman „Herkunft“ 2019 mit dem Deutschen Buchpreis gewürdigt wurde , ehe 2014 sein „Vor dem Fest“ den Leipziger Buchpreis bekommen hat. Wie gelingt solch ein Coup?

Kammerer: Angesprochen habe ich Sasa Stanisic 2005, als er in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb las. Mit seinem Text über einen Heranwachsenden in Visegrad, der unvermittelt mit Gewalt und Vertreibung konfrontiert wird, gewann er den Publikumspreis. Daraus entstand sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ - ein Buch, leider aktueller denn je, wie wir nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine wissen. Was Krieg und Flucht mit Menschen machen, ist fürchterlich. Dass Sasa Stanisic ein Autor mit großer Zukunft ist, ahnten damals schon viele. Glücklicherweise hat er sich für uns, für Luchterhand, entschieden.

Spielt bei der Suche nach neuen Stimmen auch das Bauchgefühl eine Rolle?

Kammerer: Unbedingt! Die Begegnung mit einem Buch oder einer neuen Stimme ist wie die mit einem Menschen: Sobald sie echt, spannend und überraschend ist, trägt sie. Algorithmen können vieles, aber sie ersetzen nie dieses Gespräch auf Augenhöhe.

Frau Kammerer, Sie sind vom Branchenmagazin BuchMarkt zur Verlegerin des Jahres 2021 gekürt worden. Was macht eigentlich eine Verlegerin?

Kammerer: Zuhören, begeistern - und vor allem viel lesen. Über diese Auszeichnung habe ich mich wirklich sehr gefreut, vor allem weil die Jury aus ehemaligen Verlegern und Verlegerinnen des Jahres besteht. Die Buchbranche ist eine kleine Welt mit ungeheuer leidenschaftlichen Menschen. Eine sehr anregende Gemeinschaft. Büchermachen ist an erster Stelle Teamarbeit, was mit einschließt, dass man eine Vision von einem Verlagsprogramm haben sollte.

Begonnen haben Sie im Journalismus und erlernten Recherchieren wie Schreiben beim „Mannheimer Morgen“ als Partnerzeitung der Deutschen Journalistenschule in München. Vermissen Sie das ursprünglich erlernte Metier?

Kammerer: Absolut. Ich habe lange gehadert, mich zwischen dem Schreiben und Verlegen entscheiden zu müssen. Am liebsten hätte ich beides gemacht. Aber ich war alleinerziehend mit zwei kleinen Töchtern. Und so blieb mir irgendwann gar nichts anderes übrig, wollte ich ehrlich zu mir selbst und dem Metier sein. Meine Liebe zum geschriebenen Wort ist mir erhalten geblieben - und meine Verbundenheit zur Kurpfalz übrigens auch. Ich bin ja gebürtige Mannheimerin, wobei ich in Neckarhausen aufgewachsen bin. Meine Zeit beim „Mannheimer Morgen“ hat mich sehr geprägt. Ich habe viel gelernt von den „alten Hasen“ damals und hatte gleichzeitig junge Mitstreiter wie beispielsweise Nico Hofmann, der zur selben Zeit sein Volontariat beim „MM“ machte. Ich kann mich noch gut an die Premiere seines Debütfilms „Land der Väter, Land der Söhne“ in einem Mannheimer Kino erinnern.

2021 war für Sie ein supererfolgreiches Jahr. Sie haben für Ihre Verdienste um die isländische Literatur in Deutschland den Falkenorden, die nationale Auszeichnung des kleinen nordischen Inselstaates, verliehen bekommen. Was hat Ihre Begeisterung für Bücher von der größten Vulkaninsel geweckt?

Kammerer: Meine Leidenschaft für die nordische Literatur habe ich früh entdeckt. Mit Astrid Lindgren bin ich aufgewachsen, wie wahrscheinlich viele, fast wäre ich nach meinem Studium zum deutschsprachigen Sender von Radio Stockholm gegangen. Als ich mich dann für das Verlagswesen entschied, unternahm ich Reisen in die skandinavischen Länder, um dort gezielt nach Autoren und Autorinnen zu suchen. Es blieb nicht aus, dass ich auf diesem Weg auch Freundschaften schloss, zum Beispiel mit dem isländischen Verleger und Autor Halldór Gudmundsson, der später die Gastlandauftritte von Island und Norwegen bei der Frankfurter Buchmesse organisierte. So kam eins zum anderen.

Als Leiterin des btb-Verlags sind Sie Spezialistin für Mord und Totschlag. Für Krimis eben. Und als Programmverantwortliche des Luchterhand Literaturverlags gilt es, an eine ruhmvolle Tradition anzuknüpfen - bekanntlich verhalf einst „Die Blechtrommel“ von Günter Grass zum internationalen Durchbruch. Wie kriegt man solch eine Doppel-Aufgabe hin?

Kammerer: Es stimmt, dass Kriminalromane gerne gelesen werden und breit verkäuflich sind. In der Tat haben wir da bei btb einiges zu bieten - vom schwedischen Bestsellerautor Hakan Nesser bis zum isländischen Krimistar Ragnar Jonasson. Hier ist auch Hadija Haruna-Oelker zu nennen, die mit „Die Schönheit der Differenz“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. Oder Marian Engel mit ihrem „Bär“, eine Wiederentdeckung aus dem Jahre 1976. Genau diese Vielfalt liebe ich. Es ist ein Geschenk, so arbeiten zu können.

Wir Deutschen trennen in der Musik gern U und E. Wie sehen Sie als Buchmacherin solcherart Unterscheidungen?

Kammerer: Diese Tendenz gibt es in Deutschland leider nicht nur in der Musik, sondern auch beim Buch. Ganz anders als in skandinavischen Ländern oder im angelsächsischen Bereich. Ich kann damit nur wenig anfangen. Ich halte sie für falsch - und auch ein wenig snobistisch. Was zählt, sind Qualität und eine eigene Stimme. Und die gibt es bekanntermaßen nicht nur in der angeblich „hohen Literatur“.

Was wünschen Sie sich als Verlegerin für die Branche?

Kammerer: Gute Bücher, gute Nerven - und viel Freiraum für Kreativität.

Und Ihre Wünsche als begeisterte Leserin für das Buch?

Kammerer: Möge es uns allen noch lange erhalten bleiben, gerne auch in Printform. Aber da bin ich zuversichtlich: Dass Menschen einander Geschichten erzählen, das wird auch in Zukunft so sein.

Regina Kammerer

  • Regina Kammerer, Jahrgang 1959, leitet seit vielen Jahren den btb Verlag und Luchterhand Literaturverlag, die zur Verlagsgruppe Random House gehören.
  • Sie ist Mitglied im Publishers Circle des PEN International und engagiert sich in der IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. 1921 wurde sie zur Verlegerin des Jahres gekürt.
  • Die gebürtige Mannheimerin studierte Politikwissenschaften, Germanistik und Soziologie in Heidelberg sowie München und ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule. Die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern lebt in München.

Freie Autorin

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