Nicht nur zu Silvester

Die Feiern zum Jahreswechsel auf dem Times Square gelten als die eindrucksvollsten zu diesem Anlass in der Welt. Doch auch das restliche Jahr über ist der legendäre Platz in New York ein Erlebnis – und dies seit 120 Jahren

Von 
Konstantin Groß
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Wer sie selbst vor Ort miterlebt oder als einer von Milliarden Fernsehzuschauern am Bildschirm verfolgt, der kann bestätigen: Sie ist eine der eindrucksvollsten Silvesterfeiern des Erdballs. Denn ab dem Nachmittag des 31. Dezember eines jeden Jahres versammeln sich zu diesem Anlass mehr als eine Million Menschen auf dem Times Square in New York.

60 Sekunden vor Mitternacht senkt sich zum Count Down eine erleuchtete Kristallkugel, der Ball Drop, an einem Mast hinab. Ist sie unten angekommen, erklingt das schottische Volkslied „Auld Lang Syne“ – bei uns bekannt unter dem Titel „Nehmt Abschied, Brüder“. Ein echter Gänsehaut-, für viele gar ein Taschentuch-Moment. Der sich erst entspannt, wenn Frank Sinatras „New York, New York“ folgt.

Genau vor 120 Jahren, am 31. Dezember 1904, gab es hier die erste Silvesterparty. Gefeiert wurde damit der Einzug der „New York Times“ in ihr neues Verlagsgebäude, das dem Platz seinen Namen gab. Beim Feuerwerk kam es aber immer wieder zu Unfällen; an seine Stelle trat daher 1907 die Zeremonie mit der Kugel.

Hausbesitzer sind zu großen Werbetafeln verpflichtet

Doch nicht nur an Silvester liefert der Times Square ein einzigartiges Erlebnis. Sowohl tagsüber als auch am Abend. Zwischen der 42. und 47. Straße drängen sich Theater und Multiplex-Kinos, Nobelrestaurants und Fast-Food-Imbisse, Andenkenläden und Entertainmentzentralen.

Mit Erfolgsstücken wie „Der König der Löwen“ oder „Hamilton“ zieht die Theaterszene jeden Abend Tausende von Besuchern an. Attraktion für Genre-Fans ist das Hard-Rock-Café, die Königin aller Locations mit diesem Namen weltweit. Mit 700 Plätzen und riesigem Merchandising-Angebot; an der Decke prangt eine überdimensionale Gitarre.

Das ganze Jahr über ist der Times Square Ort spektakulärer Aktivitäten: Kunstaktionen, Massen-Hochzeiten und Verlobungen am Valentinstag, seit 2002 jeweils am Welt-Yoga-Tag im Juni Yoga-Übungen mit 15 000 Teilnehmern im Freien.

Das Alleinstellungsmerkmal dieses Ortes ist jedoch: Nachts ist es hier taghell, leuchtet hinein weit in die umliegenden Straßenzüge. Denn seit Anbeginn ist der Times Square Hort riesiger greller Leuchtreklamen; für Regisseur Fritz Lang, der sie 1923 sah, wurden sie Inspiration zu seinem Filmklassiker „Metropolis“. Bekannteste Reklametafel der 50er Jahre war der riesige „Camel“-Mann, dessen Mund Zigarettenrauchwölkchen entließ. Die Bauvorschrift New Yorks verpflichtet Bauherren hier sogar, ihre Häuser mit Leuchtreklamen zu versehen. Das löste 2022 Erstaunen aus bei Besuchern, die aus Deutschland kamen, wo zur gleichen Zeit Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor verdunkelt wurden, um Energie zu sparen.

Berühmt ist auch der Times Square Ticker, ein riesiges Laufband mit aktuellen Schlagzeilen an der Gebäudefront des One Times Square. Zum ersten Mal lief der Zipper 1928, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zu verkünden.

Zehntausende Menschen bevölkern täglich den Times Square. Auch abends erfüllt quirliges Leben den Ort. Auf den Stufen zum Ticket-Service am nördlichen Ende drängen sich die Touristen. Das Bild erinnert an die Spanische Treppe in Rom, nur ohne historisches Ambiente. Stattdessen steht hier das Denkmal für Pater Duffy; der 1931 verstorbene Militärgeistliche, der nahe dem Times Square seine Gemeinde hatte, rettete im Ersten Weltkrieg Verwundete aus vorderster Kampflinie.

Die abendliche Stimmung hier ist ausgelassen, aber ohne jeden Anflug von Aggressivität. Das mag damit zusammenhängen, dass Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit im Staate New York untersagt ist. Und auch sauber ist alles, zumindest liegen keine Kippen herum. Was natürlich daran liegt, dass auch das Rauchen bei 50 Dollar Strafe verboten ist.

Dafür ist hier möglich, was anderswo im prüden Amerika undenkbar wäre. Für Selfies mit Touristen sind junge Damen unterwegs, sogenannte Desnudas, bekleidet mit High Heels und Tanga, der blanke Busen nur bemalt in den Farben der US-Flagge rot, weiß, blau. Weltbekannt auch das männliche Pendant: Robert John Burck; seit 1999 flaniert der „Naked Cowboy“ nur mit Hut, Cowboystiefeln und weißem Slip.

Der Times Square hat wahrlich viel erlebt. Dabei ging es auf und ab. In den 1920er Jahren säumten ihn Theater und Musicaltempel. Charlie Chaplin und Fred Astaire starteten in ihnen ihre Karrieren. Kein Wunder, dass die Parade zum Sieg über Japan im Zweiten Weltkrieg am 14. August 1945 mit zwei Millionen Menschen hier stattfand. Das Bild des Matrosen, der eine Krankenschwester innig küsst, wurde zur Ikone.

Mit dem Aufkommen des Fernsehens starb vieles, was eine Live-Bühne hatte. In den 1960er Jahren wurden historische Gebäude abgerissen, 1967 sogar das legendäre Astor. Seelenlose Glas- und Betongebäude traten an ihre Stelle. In den 1970ern ersetzten Pornokinos die Lichtspielhäuser, Sexshops die Nobelherbergen, Fast Food die Restaurants.

Dem Niedergang folgte in den 1980er Jahren der Neubeginn

Prostituierte, Drogendealer und Taschendiebe beherrschten das Straßenbild. Die Kriminalstatistik verbuchte sechs Verbrechen pro Tag oder korrekter pro Nacht; der Film „Taxi Driver“ thematisierte 1976 diese Situation und annimierte damit John Hinckley zum Attentat auf Präsident Reagan. Die Polizei erklärte diese Gegend zu einer der gefährlichsten in der Stadt. Einheimische mieden sie, Touristen, unwissend, nicht. Und bereuten es nicht selten.

In den 1980ern jedoch die Wende: Anlieger taten sich zusammen, nahmen nun Aufgaben wahr, welche die klamme Stadt nicht erfüllte, von der Müllabfuhr bis zu Sicherheitsstreifen. Historische Gebäude wurden restauriert, Betonbauten der 1960er Jahre teilweise sogar abgerissen und die Vorgängerbauten wieder errichtet. Große Namen wie MTV, Sony und Vogue ließen sich nun nieder, Hotelketten und Theater folgten.

Die Politik zog nach – mit „No tolerance“ bei der Sicherheit sowie stadtplanerischen Initiativen. 2009 wurde der Bereich von der 42. bis zur 47. Straße Fußgängerzone. Zu ruhig wurde es hier während Corona: Der Times Square war ausgestorben. Da merkten sogar Kritiker des Trubels, was ihnen und der Welt fehlte.

Infos und Tipps

Anreise: per Flugzeug direkt aus Frankfurt, 9 Stunden. Tipp: Singapore Airlines 2379 Euro pP Hin- & Rückflug, mittlere Kategorie (Business Economy).

Wohnen: Tipp: Hotel „Riu Plaza“, am Times Square, 28 Stockwerke, DZmF ca. 430 Dollar.

Times Square: gelegen im Stadtteil Manhattan, langgezogener schleifenförmiger Platz zwischen der 42. und der 47. Straße.

Interessante Gebäude:

New York Times Building: erbaut 1904, bis 1913 Sitz der New York Times, seit 1961 unter wechselnden Besitzern, 25 Stockwerke, 111 Meter hoch, derzeit im Umbau zu einem Museum mit Aussichtsplattform, voraussichtliches Ende der Arbeiten 2025.

Paramount Building, 1916-64 Kino mit 3700 Sitzplätzen, seither Büro.

Astor Plaza: an Stelle des 1904 erbauten und 1967 abgerissenen Hotels Astor, 1972 eröffnet, 54 Stockwerke, 227 Meter, seit 2022 Hauptsitz von Paramount Global.

Geschäfte: Disney Store (Marchandising), Forever 21/ehemals Virgin (Fast Fashion), Hard Rock Café (Gastrobereich und Marchandising), Ticketservice TKTS.

Attraktion: Coca-Cola-Schild (von 2017) 21 m hoch, 13 m breit. -tin

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