Reise

Dithmarschen: Zwischen Kraut und Rüben

Wenn in Dithmarschen erste Herbstwinde über das Schleswig-Holsteiner Land wehen, rollen auf den Feldern Köpfe. Die Küstenregion ist Europas größtes Kohlanbaugebiet. Jedes Jahr im September wird dort „Anschnitt“ gefeiert.

Von 
Manfred Lädtke
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In Anlehnung an die ehemalige Bauernrepublik Dithmarschen halten Regentinnen und nicht Königinnen den Kohl in der Hand. © Manfred Lädtke

Zwischen Watt und Nord-Ostsee-Kanal breitet sich ein sattgrünes Gemüsemeer aus. Pralle Kohlköpfe bedecken den feuchten Marschboden und warten auf die Ernte. Kohlrouladen, Kohlsuppe und Kohlpudding sind jetzt kulinarische Schmankerl in Dithmarschens Gasthäusern und Gutshöfen. Wo Corona-Fallzahlen es zulassen, feiert die Kohlküste das junge Gemüse auf Höfen und Märkten mit Bühnenprogrammen, Kunsthandwerk, Kochwerkstätten und regionalen Erzeugnissen.

Kombiniert wird der Kohl mit Petersilienwurzeln, fein-süßlicher Pastinake sowie Hack und Speck, die ihn für die raffinierte Herbstküche fett machen. Beim Vitamin C stehe Kohl einer Zitrone in nichts nach, preist Jan Henning Ufen das mineralstoffreiche Gewächs an. James Cook und andere Seeleute hätten Sauerkraut mit an Bord genommen, um sich vor der gefürchteten Skorbut-Krankheit zu schützen.

80 Millionen Köpfe im Jahr

Mehrmals hat Landwirt und Agrar-Betriebswirt Ufen den öffentlichen Kohlanschnitt mit lokaler Politprominenz organisiert. Schon bei der Premiere vor 18 Jahren kamen statt der erwarteten 1000 Gäste dreimal so viele zum „Anschnittsfest“ in die Kohlkammer Deutschlands. Das machte Mut für alljährliche Festtage.

Allerdings begann die Erfolgsgeschichte von Dithmarschens Kohlproduktion schon Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Gärtner erkannte die Nährstoffe des Marschbodens. Auf überschaubaren drei Morgen pflanzte er die ersten Köpfe. Skeptische Nachbarn belächelten ihn als „Hohlkopf“. Als er 1924 im Alter von 65 Jahren starb, war der Kohlpionier ein erfolgreicher Unternehmer und stolzer Villenbesitzer. Heute ist die Region mit 3000 Hektar Europas größtes Anbaugebiet für unterschiedliche Kohlarten. „Wir ernten jedes Jahr mehr als 80 Millionen Köpfe“, erklärt Jan Henning Ufen. Ein Kopf für jeden Bundesbürger also.

Reise-Infos

Anreise: Mit der Bahn über Hamburg bis Heide. Von Heide aus sind viele regionale Ziele in Dithmarschen mit dem ÖPNV erreichbar.

Kohltage 16. bis 21. September 2021: Auftakt zum Kohlfest ab 9.30 Uhr auf dem Marktplatz in Heide

Sehenswert: Die St. Laurentius-Kirche und ihr Geschlechterfriedhof in Lunden sind Zeitzeugen der „Dithmarscher Bauernrepublik“. Die zwischen 1500 und 1700 begrabenen mächtigen Bauernfamilien wollten der Nachwelt in Erinnerung bleiben. In Wesselburen befinden sich das Hebbelmuseum (www.wesselburen.de) und das KOHLosseum (www.kohlosseum.de)

Unterkunft: Hotel Lindenhof in Lunden (www.lindenhof1887.de). In Büsum: Aparthotel Bernstein (www.aparthotel-bernstein.de)

Von einer gestapelten Kohlpyramide nimmt Ufen eine fußballgroße grüne Kugel und schneidet sie in Teile. „Kostprobe!“, sagt er. „Und…?“ Schmeckt frisch, mild-würzig und knackig. Auf Ufens Hof im Karolinenkoog schlendern erste Besucher von Stand zu Stand. Eine Band stimmt plattdeutsche Lieder an. Zwei in Trachten gewandete Frauen machen sich bereit für den feierlichen „Anschnitt“. Für Touristen und Fotografen posieren die Kohlköniginnen – nein, die Regentinnen – im Kohlfeld. „Weil Dithmarschen früher eine freie Bauernrepublik war, heißt das bei uns nicht Königin, sondern Regentin“, klärt Hepke Nöhrenberg auf. Im Winter 1500 schlugen Bauern Truppen des dänischen Königs zurück. Reiche Grundbesitzer bestimmten weitere 60 Jahre die Politik in Dithmarschen, die kein blaues Blut duldete.

Auf dem Hebbel-Wanderweg

Während regionale Prominenz noch erste geschnittene Kohlköpfe plakativ in die Kameras hält, bewegt sich der Touristentross zurück zum Gutshof. In der Scheune tischen Landfrauen deftige Kohlrouladen mit Kartoffeln auf. Vor dem Tor an einem Info-Stand beschwört eine Landwirtin Kohlblätter als Bakterienkiller und Zellschützer. Kohlwickel würden bei Gelenkentzündungen und Kopfschmerzen helfen.

Wer seinen Wissenshunger noch nicht stillen konnte, findet 15 Autominuten entfernt in Wesselburen informativen Nachschlag. In eine alte Sauerkrautfabrik ist das „Kohlosseum“ mit Krautwerkstatt und einem Museum eingezogen. Was es mit einer Salbe aus Weißkohlsaft auf sich hat, ist hier nur eines der Themen in Vorführungen und Kochkursen.

„Wenn der Kohl am besten schmeckt, soll man aufhören“, sagt ein Sprichwort. Kalorien bewusste Gäste nutzen für einen Spaziergang den benachbarten Hebbel-Rundwanderweg. Der Schriftsteller, verfließ im Alter von 21 Jahren Dithmarschen und starb 1863 in Wien. Gedanken über seine „kleine Welt“, in die Friedrich Hebbel nie wieder zurückkehrte und die er nie wirklich geliebt hat, sind in seinen Schriften und auf dem Rundweg nachzulesen.

Weiter geht es auf der kulinarischen Nord-Tour nach Büsum, wo Reisende über den mit Kohl gefüllten Tellerrand hinausschauen.

Herr der Krabben

Im Hafen dümpeln Fischkutter und zerren an haltenden Tauen. Kreischende Silbermöwen begleiten einen Lastkahn, der mit wummerndem Motor vorbeizieht. Am Kai wartet Momme Clausen. „Kommt, wir gehen rüber zum alten Hafen“, ruft er. Das „Becken I“ wurde vor 20 Jahren zum Museumshafen umfunktioniert und ist für den beleibten Fischer ein offenes Heimatbuch. Wenn einer die Geschichte der Fischerei und Geschichten von Meer und Seefahrt kennt, dann er. Als er von Kapitänen und Stürmen erzählt, nestelt er eine Handvoll Krabben aus der Hosentasche. Momme liebt Krabben, hat beim Pulen den richtigen Dreh raus und isst sie mit Genuss. „Ist der Panzer auch schön knackig, ist die Krabbe ganz schnell nackig“, so Momme. Im Meeresmuseum zeigt er, wie man den Panzer der Garnele knackt, und mit etwas Geschick das nussig schmeckende „Gold der Nordsee“ herausfischt.

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Es ist Abend geworden. Langsam taucht die glutrote Sonne unter und verzaubert den Horizont in einen orange-gelben Farbstreifen. Zeit, in einem der originellsten Hafenlokale Büsums vor Anker zu gehen. „Kolles Alter Muschelsaal“ macht seinen Namen alle Ehre. Fast hunderttausend Exemplare zieren Wände und das Mobiliar alter Schule. Seeleute brachten die Meermandeln, Austern und Jakobsmuscheln aus allen Weltmeeren mit nach Hamburg. Sein Großvater habe die ehemalige Fischerkneipe vor 100 Jahren übernommen und die Muscheln sackweise eingekauft, erzählt Inhaber Karl-Heinz Kolle. Später kamen immer mehr Stücke dazu. Eine 1907 an den Strand gespülte Galionsfigur wacht im Lokal über Vitrinen mit stolzen Segelschiffe und stilvoll dekorierten Tischen.

So vielseitig wie das Wetter an der Waterkant ist auch die Speisekarte. Sauerfleisch von der Wildgans, Auster „Natur“ auf gestoßenem Eis und natürlich die original Büsumer Krabbensuppe werden aufgetischt. Seniorchefin Erika Kollers Schwiegermutter hatte die Suppe 1920 ihrer Familie eingebrockt. Wenn die rüstige Dame von Tisch zu Tisch geht und Gäste begrüßt, darf man sie alles über Land, Leute und Küche fragen – nur nicht nach dem Rezept für die Krabbensuppe. Das sei ein Familiengeheimnis, sagt sie. „Dat wer ümmer so un dat blifft ok so.“

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