Urlaub in Deutschland

Das knallharte Landleben im Sauerland

Die Sauerländer punkten gerne damit, „am Ende der Welt“ zu leben. Firlefanz braucht es nicht. Wanderwege sowie Einkehrmöglichkeiten setzen auf Einfachheit und Regionalität.

Von 
Bernadette Olderdissen
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Dörfer mit drei bis sechs Häusern, berggipfelähnliche Stille und eine Menge Grün gibt es auch ganz nah an einer der am dichtesten besiedelten Regionen Deutschlands, dem Ruhrgebiet: im Sauerland. Wo ungezogene Kinder „Blagen“ sind, Hosen „Buchsen“ und jeder zweite Satz mit einem bekräftigenden „woll?“ endet. Alltag und Großstadt sind schnell vergessen auf Etappen des Fernwanderweges „Höhenflug“, beim Schlemmen von Sauerländer Wild oder beim Pülleken Bier mit Wald- und Wiesenblick. Doch das Landleben hat auch seine Tücken.

Es scheint das Paradies auf Erden zu sein. Von seinem Garten mit selbst gezimmerter Holzschaukel sieht Waldbauer Friedrich Nagel (50), wie Rehe über die Wiese hüpfen. Verwurzelt ist er besonders mit dem Wald, der ihn umgibt und durch den auch der bekannte Sauerländer „Höhenflug“ führt – ein Fernwanderweg von 250 Kilometern. Wer sich aufmacht, ihn ab Faulebutter zu erkunden, fragt sich zwangsläufig, ob im Restaurant dort tatsächlich faule Butter auf den Tisch kommt. Dabei entstammt der Name offiziell dem Ausdruck „fuhle Botte“, was auf den früheren morastigen Boden anspielt. Inoffiziell aber soll ein Bischof zu Gast in Faulebutter gewesen sein und ranzige Butter auf seinem Brot vorgefunden haben.

Von Faulebutter führt der „Höhenflug“ auf etwa 13 Kilometern in Richtung Wildewiese, ein Dorf mit 90 Einwohnern. Am Wegesrand wachsen teils Kamillenbüsche, teils wilde Himbeeren und viele Ebereschen. Es geht durch den sogenannten Schlubber Bruch und vorbei an der Maria-Kron-Buche, wo früher der Postbote seinen Likör versteckt haben soll, um sich an kalten Wintertagen aufzuwärmen. Die alte Buche hat Glück, dass sie noch steht – denn ihren Nachbarn, den Fichten, geht es aktuell an die Substanz.

„Seit etwa 2017 haben wir ein Fichtensterben wegen des Borkenkäfers“, berichtet Nagel, und dass er und seine Kollegen an die 120 Bäume am Tag fällen müssten. „Wenn das so weitergeht, werden in einem Jahr keine Fichten mehr stehen.“ Warum? Weil die Nadelbäume durch den Klimawandel mit anhaltender Trockenheit anfälliger geworden sind. Wird ein befallener Baum nicht entfernt, verbreiten sich die Käfer rasant auf die umstehenden Bäume. Die als „Buchdrucker“ bekannten Insekten graben Gänge im Inneren der Rinde, wo sich die Larven bilden – Gänge, die aussehen wie gedruckt. Steht man in Wildewiese auf dem 648 Meter hohen Schomberger Aussichtsturm mit einer Besucherplattform in 30 Meter Höhe, fällt der Blick zunächst auf das Obere Becken des Pumpspeicherwerks gegenüber, um das ein Spazierweg von gut einem Kilometer führt. Das 1969 erbaute Werk reguliert auf natürliche Weise die Stromerzeugung der Region und gilt damit als absolut nachhaltig. Doch das Becken ist nicht der einzige Blickfang.

Überall rollen Wälder und Wiesen dem Horizont entgegen, streicheln die Sonnenstrahlen die hügelige Landschaft und bläst die Brise die letzten Sorgen der Sauerland-Gäste davon. Nagel aber deutet auf viele kahle Flächen in den einst dichten Wäldern. Anstelle der Fichten sollen künftig unter anderem Douglasien wachsen.

Auf Naturschutz setzt auch Steinbergs Naturhotel unterhalb des Aussichtsturms, das laut Inhaberin Marion Steinberg einem strengen grünen Faden folgt. „Wir stehen seit Jahren für eine Rückbesinnung zur Natur am Ende der Welt“, berichtet sie, denn dort, wo das Hotel liegt, endet sogar die Dorfstraße. Unter dem Motto „Gastlichkeit am Ende der Welt“ heißt es dann abschalten – und lecker schlemmen.

Die Einwohner von Hagen nennen ihren Ort liebevoll Kuhschisshagen

Sterneküche sucht man vergeblich, dafür gibt es viel Frisches, Regionales und Essen für jedermann, von Schnitzel bis vegan. Der kulinarische Höhepunkt: frisches Wild mit hausgemachter Soße aus dunkler Schokolade. Wer glaubt, in Wildewiese bereits am Ende angekommen zu sein, sollte ruhig noch vier Kilometer weiterwandern bis zum „inspirierendsten Arsch der Welt“. Unter diesem Stichwort betreiben Michaela Pielsticker und ihr Mann seit 2013 das Café „Das knallharte Landleben“ unweit von Kuhschisshagen – eigentlich nur Hagen, aber aufgrund seiner Agrarstruktur benannten die Einwohner den Ortsteil von Sundern liebevoll um.

Von freitags bis sonntags schlemmen Besucher im Schatten einer großen Ulme Käse- oder anderen von Michaela gebackenen Kuchen. „Bei uns stand auch schon ein Pferd vor der Tür“, berichtet die junge Frau. Im Inneren des Cafés hängen von ihr gemalte Bilder, meistens Tiere, und manchmal hält sie Kaffee-Kritzel-Kränzchen ab, wobei der Kaffee als Farbe dient. Der perfekte Ort zum Durchatmen. Michaela lacht. „Wenn ihr wüsstet, mit wie viel Bürokratie wir uns rumschlagen müssen!“ Das knallharte Landleben eben.

Sauerland

Anreise Ab Stuttgart mit dem Auto über Frankfurt und Siegen (ca. 4,5 Stunden). Mit dem Zug bis Finnentrop mit Umsteigen in Mannheim und Hagen, www.bahn.de.

Unterkunft Steinbergs Naturhotel in Wildewiese ist ein gemütliches und umweltfreundliches Hotel mit Interior aus lokalem Holz, Doppelzimmer mit Frühstück ab 110 Euro oder Ü/F ab 70 Euro pro Person, www.steinbergs-wildewiese.de. Im afrikanischen Stil gestaltet ist das Halbersbacher Sunderland Hotel. Das Haus liegt am Naturpark Homert in Sundern. DZ/F ab 81 Euro oder Ü/F ab 63 Euro pro Person, www.sunderlandhotel.de.

Hotel Zur-Borke in Neuenrade ist hübsch und verfügt über Familienzimmer und Terrassen. DZ/F ab 119 Euro oder Ü/F ab 89 Euro pro Person, www.zur-borke.de/ Café Das Knallharte Landleben: www.dasknallhartelandleben.de/

Aktivitäten Schomburgsturm mit Aussichtsplattform, Pumpspeicherwerk (Spaziergang Oberes Becken), Café das Knallharte Landleben, Wanderweg ‚Höhenflug‘

Allgemeine Informationen Sauerland Tourismus, www.sauerland.com/

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