Mannheim. Das gab es so noch nie: Ein ehemaliger US-Präsident und ein Rock-Weltstar sprechen über gewichtige Themen – und zwar nicht einmalig auf irgendeinem Podium oder im Hinterzimmer wie Elvis Presley und Richard Nixon im Jahr 1970 im Weißen Haus, sondern regelmäßig. Als Podcast über das Weltmedium Spotify, veröffentlicht zwischen Februar und April 2021 (zum Podcast). Die acht Folgen der Gespräche von Barack Obama und Bruce Springsteen erscheinen nun in einem aufwendig bebilderten und hintergründig ergänzten Buch auch auf Deutsch. „Renegades. Born In, The USA. Träume – Mythen – Musik“ ist dank der exzellenten Übersetzung von Stephan Kleiner und Henriette Zeltner-Shane eine leichtgängige, aber auch instruktive Lektüre zwischen Politik, biografischem Interview und Musik.
Fast nebenbei demonstriert sie alle Vorteile des gedruckten Worts gegenüber Audio- und Videoformaten: Um die Podcasts zu hören, braucht es mehr als sechs Stunden. Schnellleser müssen für den locker gesetzten Text ungefähr halb so viel Zeit investieren. Dazu kommt ein detailverliebtes Layout mit gut gewählten Fotos, die den Inhalt beiläufig vertiefen. Wer es intensiver mag, bekommt Songtext-Faksimiles von Springsteen und handschriftlich ergänzte Manuskripte zu Obama-Reden. Man kann also auch mit dem Buch sehr viel Zeit verbringen.
Die ist gut investiert. Denn dieses auf den ersten Blick ungewöhnliche Duo, das sich seit Obamas Wahlkampf 2008 angefreundet hat, vertritt zwar sehr erwartbare Positionen, liefert aber aus den unterschiedlichen Perspektiven durchaus einige spannende Einsichten zum mitunter rätselhaften Phänomen Amerika. Charakter, Status quo, Vorgeschichte und Zukunft des vermeintlichen Schmelztiegels USA sind fast durchgängig die Hintergrundfolie der Gespräche, egal ob der 60-jährige Politiker und der zwölf Jahre ältere Musiker über Freundschaft, Rassismus, Familie oder Kapitalismus reden.
Dialog auf Augenhöhe
Während Obama als Ex-Staatschef dabei zwangsläufig vom Privaten aus immer wieder das große gesellschaftliche Ganze in den Blick nimmt, ist Springsteen gut beraten, sich mehr oder weniger auf seine individuellen Erfahrungen zu konzentrieren. Dass er aus dieser Perspektive eine erstaunliche analytische Tiefenschärfe entwickeln kann, hat er bereits in seiner Autobiografie demonstriert. Die Gespräche laufen also meist als echter, wechselseitig interessierter Dialog auf Augenhöhe. Die Frage „Wer ist hier der Boss?“ stellt sich allenfalls, wenn Obama als Springsteen-Fan Dinge erfahren möchte – und umgekehrt. Etwas Gefrotzel lockert das Ganze auf.
Der Podcast- und Buchtitel führt allerdings in die Irre, wenn man Renegades reflexhaft mit Abtrünnige übersetzt und mit Rebellion assoziiert. Auf zwei der prominentesten wirkungsmächtigsten Stimmen des Westens trifft da wohl eher die randständige Bedeutung zu, die sie sich im Gespräch auch selbst zuschreiben: die des Außenseiters, der sich gemäß des amerikanischen Versprechens nach ganz oben arbeitet. Hier der junge Rock ’n’ Roller, der sich nicht in sein starres Provinzumfeld in New Jersey einfügen will und mit seinen Ausbruchsfantasien zur Rockikone wird. Da der dunkelhäutige Sohn einer alleinerziehenden Weißen auf Hawaii, der es vom Sozialarbeiter bis zum mächtigsten Politiker der Welt bringt. Diese Perspektiven ergeben erstaunliche Parallelen, die trotz weitgehender Einigkeit bei der Sicht der Dinge Spannung ergeben.
Zum Buch
Barack Obama & Bruce Springsteen: "Renegades. Born in the USA. Träume - Mythen - Musik". Deutsche Ausgabe, Penguin Verlag, München. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Henriette Zeltner-Shane. Hardcover, 320 Seiten, 350 Farbabbildungen. 42 Euro.
Offizielle Spotify-Playlist mit Songs zu "Renegades" (hier)
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