Literatur regional

Vergeben, aber nicht vergessen

Noch einmal lässt die Autorin Lilo Beil ihren Ex-Kommissar Friedrich Gontard ermitteln. Und erneut führt die Spur in die deutsche Vergangenheit. Im Roman "Schlafende Hunde" geht es um Verdrängung und notwendige Aufarbeitung

Von 
Thomas Groß
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Die Zeit vergeht, Menschen werden älter. Aber manches, so scheint es, ändert sich doch nie – im Guten wie im Schlechten. Wer mit Leidenschaft Kriminalhauptkommissar war, der verliert auch im Ruhestand seinen Spürsinn nicht, und eine ehemalige Lehrerin bewahrt sich entsprechend ihr pädagogisches Ethos. Das gilt auch für Friedrich und Anna Gontard, die Hauptfiguren aus Lilo Beils neuem in der Rhein-Neckar-Region spielenden Kriminalroman „Lebende Schatten“.

Vor 16 Jahren veröffentlichte Beil, die selbst Lehrerin war, ihren ersten Gontard-Roman; nun folgt der achte. Er spielt im Jahr 2007. Über achtzig ist Gontard jetzt, spürt die Beschwernisse des Alters, während seine anderthalb Jahrzehnte jüngere Frau noch deutlich agiler wirkt. Ein beschauliches Pensionärsleben führt das Paar im Odenwald, mit eigenem Haus und treuem Hund, doch erneut wird die Idylle durch eine Gewalttat gestört. Auf deren Zusammenhänge werden sie zunächst von zwei ehemaligen Schülern Annas gebracht; in der Nachbarschaft ihrer Tochter Lilli in der Südpfalz, wo die Gontards die zwei Enkelkinder hüten, entfaltet sich die Geschichte weiter und führt dann noch mehr in die Ferne – in geografische wie auch in historische.

Kindertransporte nach England

Eine in der Nähe weilende Engländerin kommt ins Spiel, deren Mutter Elsa aus Deutschland stammte und von ihren jüdischen Eltern mit den letzten Kindertransporten nach Großbritannien geschickt wurde; die Eltern und die jüngere Schwester Leni blieben hier und wurden von den Nationalsozialisten im KZ ermordet. Emily Parker sucht nach Spuren ihrer Tante Leni, die sich zeitweilig versteckt hielt und verraten wurde. Gontard soll dabei ebenso helfen wie ein entfernter Verwandter, Gabriel Sutter, der im Gymnasium in Bad Bergzabern Geschichte lehrt. Die vermeintliche „Nestbeschmutzung“ passt aber einem dubiosen Zeitgenossen nicht. Sutter wird Opfer eines Gewaltverbrechens, und Gontard bleibt es vorbehalten, gemeinsam mit einer jungen Kollegin den Mord aufzuklären und außerdem Licht ins historische Dunkel zu bringen.

Die Lösung des Falls steht und fällt mit den geschichtlichen Hintergründen, welche die Autorin mit aufklärerischem Engagement enthüllt. Die Verbindung wird auch durch Friedrich Gontard personifiziert, der als junger Mann noch in den Krieg geschickt wurde. Ein Ausflug ins beschauliche Schwetzingen zu den Festspielen verschafft ebenso den Gontards wie den Lesern ein unbeschwertes Zwischenerlebnis, das ebenfalls eine historische Einordnung erfährt. Lilo Beils Roman liest sich stellenweise ein wenig wie eine didaktische Übung. Aber zuweilen heiligt ein guter Zweck wohl auch in der Literatur die Mittel. Der Bezug von Lenis Aufzeichnungen im Versteck zum Tagebuch der Anna Frank wird leichthändiger vermittelt. Und wie gewohnt geizt Lilo Beil nicht mit literarischen Zitaten: Friedrich Rückerts „Kindertodtenlieder“ kehren leitmotivisch wieder, und William Shakespeares Rang wird von der Autorin erneut unterstrichen.

Der letzte Satz des Buches lautet: „Man soll vergeben, aber niemals vergessen.“ Dass er nicht nur den Lesern des Buches, sondern möglichst allen zu denken gibt, wäre gewiss im Sinne der Autorin Lilo Beil – aber ebenso ja im Sinne des demokratischen Ganzen. Alles könnte so schön sein im Leben, doch der Mensch hat seine Schattenseiten, und gegen die gilt es immer wieder anzugehen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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