Literatur

Peter Handke veröffentlicht neue Erzählung

Peter Handkes neue Erzählung erscheint. In "Die Ballade des letzten Gastes" erzählt der österreichische Literaturnobelpreisträger von einem modernen Odysseus

Von 
Frank Dietschreit
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Der Literaturnobelpreisträger Peter Handke hat eine neue Erzählung geschrieben, die an diesem Montag in den Buchhandel kommt. Es geht darin um einen modernen Odysseus. © Bernd Weißbrod/dpa

Als Peter Handke 2019 den Literaturnobelpreis erhielt, war die Empörung groß. Vorgeworfen wurde ihm, während der jugoslawischen Bürgerkriege für die serbische Seite Partei ergriffen und Diktator Milosevic gehuldigt zu haben. Zuletzt ist es ruhig geworden um den österreichischen Autor, der seit vielen Jahren in Chaville bei Paris lebt. Er hat literarische Miniaturen veröffentlicht, „Mein Tag in einem anderen Land“ beschrieben, ein „Zwiegespräch“ mit sich geführt und nun die „Die Ballade des letzten Gastes“ gedichtet. Natürlich ist es kein minutiös durchgearbeitetes Lang-Gedicht mit Versen, Strophen, Reimen, Metrum. Aber Handke spielt mit den Möglichkeiten literarischer Verwandlung und mit Elementen der alten Troubadour-Balladen, vermischt antike, mittelalterliche und zeitgenössische Stoffe, beschwört Naturgewalten, Fabelwesen und Fantasiewelten, Untergang und Tod, spricht in verschiedenen Rollen und mit unterschiedlichen Stimmen.

Anspielung auf Odyssee

Er spielt auf Homer und die Heimkehr des Odysseus nach langer Irrfahrt an. Jemand wird geplagt von Alpträumen, sieht sich als einen Anderen, erzählt von der Weltflucht aus wechselnden Perspektiven. Wenn eine Stimme fragt: „Wozu?“, antwortet eine andere: „Kein wozu.“ Wenn jemand zu sich sagt: „Ich habe nichts mehr zu suchen daheim, rein gar nichts!“, dann entgegnet jemand anderes: „Und gerade das macht dich heiß“.

Der moderne Odysseus heißt Gregor und ist auf einer niemals endenden „Ein-Mann-Expedition“. Gelegentlich kehrt er in seine Heimat zurück, wandert durchs Land, schläft in dunklen Wäldern und schwimmt in verwunschenen Teichen, fährt ziellos mit dem Bus durch die Gegend und vertrödelt seine Tage im Kino oder auf dem Fußballplatz. Wir kennen die Schauplätze aus früheren Büchern des passionierten Wanderers, auch die Obstgärten und Apfelbäume haben wir schon oft mit Handke besucht: Doch jetzt ist Gregor entsetzt über den Zustand der Natur.

Nur ein Hund erkennt ihn

Im Wald krakeelen Jugendliche, der familiäre Obstgarten ist von Straßen und Industrieansiedlungen umzingelt, so dass Gregor zu Axt und Säge greift und das marode Paradies kurzerhand vollends zerstört. Das vormalige „Vieldörferland“ seiner Kindheit hat sich in eine städtische „Agglomeration“ verwandelt, das einst Vertraute ist ihm fremd geworden. Vater, Mutter, Schwester führen die immer gleichen Gespräche. Und so wie Odysseus bei der Rückkehr erst nur von seinem alten Hund erkannt und beschnuppert wird, wird jetzt Gregor am Busbahnhof nur von einem herrenlosen Hund neugierig begrüßt.

Gegenwart und Vergangenheit, Erlebtes und Erinnertes überlappen sich, Film-Szenen und Schlager-Melodien kreiseln in Gregors Kopf: Dass ausgerechnet er, der niemals eine Familie gründen wird, Taufpate des Kindes werden soll, das seine Schwester ihm stolz präsentiert, verursacht ihm Übelkeit. Gregor wird von seinen inneren Stimmen geplagt, wandelt sich vom allwissenden zum Ich-Erzähler, sieht sich „als der letzte Gast an einem wackligen Tisch“ sitzen: „Der letzte Gast“ zu sein wird zur Obsession. Er genießt es, mit dem Wirt einen letzten Trunk zu nehmen, vielleicht sogar von ihm eine karge Bettstatt zu erhalten.

Er liebt es, das Erzählen hinauszuschieben, wie Scheherazade, die Heimkehr zu vertagen, wie Odysseus: „Letzte Gäste“, sagt er, sind „unsere Zukunftsaussicht.“ Das klingt nach „Letzter Generation“ in einer dem Untergang geweihter Welt, die er beschützen muss, verweist doch schon sein Name „Gregor“ darauf, dass er Wächter, Hüter und Hirte sein soll.

Doch mit dem Ruhe- und Heimatlosen wird die männliche Linie der Familie aussterben: Per SMS auf dem „Taschentelefonschirm“ bekommt Gregor die Nachricht, dass Hans, sein jüngerer Bruder, der Luftikus und Hallodri, den es aus einer Laune heraus in die Fremdenlegion gezogen hat, in irgendeinem fernen Krieg gestorben ist. Gregor weiß nicht, wie er der Familie diese Wahrheit beichten soll, er wird es hinauszögern, lange Zeit der „letzte Gast“ im Wirtshaus sein und nicht heimkehren. Wer mag schon der Bote schlechter Nachrichten sein?

Der politisch umstrittene Handke kommt auf Um- und Abwegen zum Vorschein. Als Wanderer ist er angewidert vom Zustand der Wälder, spricht vom „Krieg“ gegen „Mutter Natur“. Die Schimpfwörter („Nichtsnutz“, „Furzkaspar“, „Mundräuber“) die er seinem Taufkind an den Kopf wirft, sind nichts für empfindliche Gemüter. Im Kino wettert er gegen läppische Blödeleien und erotisches Gestöhne auf der Leinwand: „Nie wieder Kino. Schluss mit den Filmen als Zuschauerrechtsverletzungen. Teil der Demokratie das Zeug? Nieder mit der Demokratie, weg mit all den Alles-geht-Demokratien. Her mit einer Diktatur, einer neuen, einer, die verbietet, was verboten gehört.“ Starker Tobak, aber nicht ganz ernst gemeint, mehr der Hilferuf eines an der Moderne verzweifelnden Mannes, der in der Erinnerung lebt und die Ballade vom Schulkind singt, das „trödelnd auf dem Heimweg, im Gehen den Schulbeutel von einem auf die beiden Schultern wechselte.“

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