Literatur - Louis Begleys jüngster Roman „Hugo Gardners neues Leben“ über einen US-amerikanischen Pensionär in einer Lebenskrise ist nur bedingt empfehlenswert

Noch nicht ganz aller Tage Abend

Von 
Erika Deiss
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Einst ein renommierter Rechtsanwalt: Autor Louis Begley. © dpa

Er hatte erst mit 58 Jahren debütiert, dann aber folgte zügig Buch auf Buch. Louis Begley, 1933 im damals polnischen, jetzt ukrainischen Stryj geboren, hat mit seinem anrührenden Altersbild mit kleinen Macken „Hugo Gardners neues Leben“ einen Coup gelandet. Wie gewohnt spielt der Roman um einen 84-jährigen Pensionär, dem über Nacht sein ganzes Dasein wie ein Kartenhaus zusammenkracht, in Begleys eigenem Milieu, der US-Upper-Class der Ostküste, der er als renommierter Rechtsanwalt selbst angehörte. Es ist einmal mehr der wunderbar ironische, verspielt-vertraute Begley-Ton, der dem Roman Charakter gibt.

Bereits auf Seite eins erfährt der völlig konsternierte Hugo – ein ihm unbekannter Anwalt ruft ihn an –, dass seine Frau sich nach rund 40 Jahren aus lang gewachsener Abneigung schnellstmöglich von ihm scheiden lassen will. Hugo liebt sie allerdings sehr und dachte, sie ihn auch. Die 23 Jahre Jüngere hat sich mit einem sehr viel Jüngeren davongemacht. Natürlich will sie Geld. Als ehemaliger „Time Magazin“-Chefredakteur und Weltstadtjournalist kann Gardner das verkraften.

Man lebte immer in Luxus – edle Dinner, teure Weine: Jeder Kellner auf der Welt erinnert Hugos Trinkgelder. Auch Tochter Barbara, gemein und geldgierig, nennt ihn jetzt ein altes Ekel. Nur Sohn Roddy hält ihm noch die Stange. Zu allem Unglück hatte Hugo jüngst die Diagnose Prostatakrebs, die er überlegen ignorieren wird, erhalten. Damit lebt er nun auf sein Ende hin. Er nimmt indes Kontakt zu einer Ex-Geliebten auf, die er für Valerie einst schnöde hatte sitzenlassen. Zwei Monate genießt er handfest die Affäre, dann lässt sie ihn selbst fallen. Schließlich schneit eine jüngere Cousine ihm rotzfrech ins Gästezimmer.

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Glück ist was? Man sollte es nicht überstrapazieren. Und schon gar nicht den inzwischen obligaten Sex. Herr Begley, im Vertrauen: Der geneigte Leser wünscht nicht, derart plump vors Schlüsselloch gezerrt zu werden. Er ist kein Voyeur und lässt sich dazu nicht degradieren. Hier, höchst quälend, endet Begleys kultivierter Schreibstil in pedantischer Latrinenprosa. Was bei Bukowski und Padura als Milieustudie einst eine Menge Mut erforderte, verkommt hier chronisch.

Zwar geht im Paradiesgärtlein der Künste fast alles – bis zum Gartenzaun des unverhandelbar guten Geschmacks. Und zum Glück kriegt Begley immer wieder die Kurve zum phönixgleich mit leuchtendem Gefieder aus der Jauche tauchenden befreiten Parlando. Doch schon Adorno wusste: „Die großen Kunstwerke sind jene, die an ihren fragwürdigsten Stellen Glück haben“. So buchen wir dies Manko – der Roman hat Drive, Humor und philosophische Prägnanz – als halben Altersbonus. Vielleicht kommt ja, Begleys ungebrochene Produktivität lässt hoffen, bald wieder Besseres nach.

Freier Autor Studium der Germanistik und Philosophie; Promotion in Philosophie. Rund zwanzig Jahre für den Rundfunk tätig: Musiksendungen, Features, Hörspiele und Rezensionen.

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