Jane Gardam muss man nicht mehr vorstellen. Sie dürfte weltweit wohl die älteste Autorin sein, die immer noch so produktiv ist. Geboren 1928 in North Yorkshire, hat die mittlerweile 95-Jährige ein umfangreiches Werk an glänzenden Erzählungen, Romanen, Kritiken und Kinderbüchern vorgelegt.
Ihren Durchbruch hierzulande feierte sie 2015 mit ihrer unvergleichlich schrägen Old-Filth-Trilogie. Jetzt ist ihr Briefroman „The Queen of the Tambourine“ von 1991 auf Deutsch unter dem Titel „Gute Ratschläge“ erschienen.
Die Protagonistin schreibt Briefe, die nie beantwortet werden
Worum geht es? Man könnte sagen: um ein Kommunikationsproblem. Eliza Peabody, 51, „hochrangige Diplomatengattin“, schreibt ihrer Nachbarin, die sie kaum kennt und dennoch ihre Freundin nennt, Unmengen zudringlicher Briefe, die sie noch dazu auf göttliches Diktat mit heißer Feder strickt.
Aber Joan, die eben Mann und Kinder, Hund und Heim verlassen hat, antwortet nie. Sie schickt allerdings gelegentlich Geschenke, die Eliza hell entzücken. Und Eliza lässt sich nicht entmutigen. Schließlich erkennt sie gar selbst, dass sie Joan nur als „Tagebuch“ und „Spiegel“ nutzt.
Ihr wird von Anne Robin, die als einzige Elizas „nette kleine Briefchen“ schätzt, geraten, sich einen ihre leere Zeit ausfüllenden Beruf zu suchen, denn Eliza ist inzwischen ebenfalls von ihrem Mann verlassen worden. Er lebt jetzt mit Joans Mann Charles zusammen.
Sie soll schreiben. Bücher. Da geht sie auf Abwehr. Unsinn! Immerhin: Sie geht in Annes Seminar für kreatives Schreiben. Um es noch vor der Diskussion fluchtartig zu verlassen. Davon abgesehen, sie hat ja einen Job. Sie hilft den Nonnen im Hospiz für Sterbende, wenn auch nur in der Küche, beim Spülen.
Was ist verrückt, was normal? Der Leser muss es selbst herausfinden
Wir kürzen ab. Was also hat es mit Elizas Briefen auf sich? Vorderhand fällt auf, dass sie, als sich Eliza sozusagen warmgeschrieben hat, unendlich lang sind. So schreibt man keine Briefe, die auf Antwort warten. Diese Briefe sind in Wahrheit Monologe. Es ist ein Monodrama. Elizas eigenes Leben zieht darin an ihr vorbei, wenn auch nicht chronologisch. Und die Eliza, wie sie anderen erscheint: „Eliza Peabody, die angeblich einen an der Waffel hat.“
Was ist verrückt, was ist normal? Jane Gardam spielt die Frage auf insgesamt 317 lebensprallen Seiten durch, doch eine Antwort muss der Leser selber finden. Die schrille Komik vieler Szenen ist das Unterfutter einer Szenerie der postviktorianischen Gesellschaft, der zu trauen sich nicht selten bitter rächt.
Wo noch die Hunde ihre Herrchen als konkrete Dialogisierende so keck wie höhnisch überbieten, ist die heile Welt der Vorstädte entschieden aus den Angeln. Jane Gardam registriert dies seismographisch sachte, aber voll Genuss. Mit „guten Ratschlägen“ die Welt zu bessern ist ein schlechter Witz. Nur gut, dass sie auch überwältigendes Lachen produzieren.
Zum Buch: Jane Gardam: "Gute Ratschläge". Aus dem Englischen von Monika Baark. Hanser Verlag, 317 Seiten, 25 Euro.
Zum Buch
- Jane Gardam: "Gute Ratschläge"
- Aus dem Englischen von Monika Baark
- Hanser Verlag, 317 Seiten
- Preis: 25 Euro
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