Wie er so sei, erkundigt sich ziemlich am Ende des Romans einer. „Schwer zu beschreiben“, lautet die Antwort. Sie gibt die Richtung vor für Daniel Kehlmanns neuen Roman. Der nähert sich wieder der Vermessung eines schwer zu beschreibenden Charakters. So hat er es mit Eulenspiegel gehalten, mit Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt. So macht er es nun auf erneut beeindruckender erzählerischer Höhe mit dem Österreicher Georg Wilhelm Pabst (1885–1967).
Der war einer der bedeutendsten Regisseure Europas, ein Gigant des Stummfilms, der dann auch beim Tonfilm einer der Besten blieb. Er verfilmte Wedekinds „Lulu“ und Brechts „Dreigroschenoper“, verhalf Asta Nielsen, Greta Garbo oder Louise Brooks zu Weltkarrieren, und nicht nur als er unter Extrembedingungen den Bergfilm „Die weiße Hölle von Piz Palü“ drehte, war auch Leni Riefenstahl dabei.
Als ein paar Jahre später die Nazis die Macht ergriffen, drehte er in Frankreich, was er wenig später auch in Hollywood tat. Eine ganz normale Künstler-Exilantengeschichte könnte man da denken, nur eröffnet Daniel Kehlmann mit seinem Film-Pabst dann ein Feld, wo die Geschichten noch nicht auserzählt sind. Pabst mag das ihm angebotene Drehbuch „A Modern Hero“ gar nicht, lässt sich nur herab, weil er „heimat- und hilflos“ ist mit Frau und kleinem Sohn. Und überhaupt, in Amerika darf man nicht Nein sagen, hatte ihm Ernst Lubitsch geraten. Pabst aber spürte, dass er nicht hierher gehört, und sein Film wurde ein Flop.
Immer alle überzeugen
Da kommt ihm ein womöglich sogar fingiertes Hilferuf-Telegramm seiner Mutter gerade recht. Gegen alle Vernunft und komplett antizyklisch zu den Zeichen der Zeit geht er zurück auf sein Anwesen in der Steiermark, wo seine hilfsbedürftige Mutter mit der Familie eines nationalsozialistisch mehr als nur überzeugten Hausmeisters im Schloss Dreiturm in der Gemeinde Tillmitsch wohnt.
Weil die Haupteigenschaft eines Regisseurs darin besteht, immer alle von seinem Tun überzeugen zu können, glaubt er fest an eine Rückkehr nach Amerika. Doch stößt er mit seiner Mutter-Geschichte in der potenziellen Exilszene nur auf Unverständnis. Dann passiert in der Bibliothek des Schlosses ein Unfall, der wahrscheinlich genauso fingiert ist wie das Telegramm. Pabst ist nach einem Sturz von der Leiter bewegungsunfähig und kommt nicht mehr weg. Ab hier wächst Kehlmanns Roman zu ganz großer Erzählkunst. Weil er vollkommen unverhoffte Episoden häuft, weil er das Schlingern seiner Hauptfigur zwischen den Fronten plausibel macht, weil er höchste Detailschärfe heranzoomen kann und weil seine Geschichte bis zum Schluss spannend und unvorhersehbar bleibt. Über die Profession des Regisseurs heißt es: „Man war ein Künstler, aber man schuf nichts, sondern man dirigierte die, die etwas schufen.“ Das sind Hunderte, was sehr viel Geld verschlingt, für dessen Beschaffung der Regisseur hauptverantwortlich ist. Ergo: „Wenn man einen Film macht, ist man immer in einer Notlage.“
Nun ist die Notlage eine doppelte, denn Pabst wird von den neuen Machthabern umworben. Kollege Helmut Käutner wiegelt ab: „Sie brauchen uns mehr, als wir sie brauchen.“ Es wird gar nicht lange dauern, und im Berliner Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda wird dieser Optimismus deutlich nach unten korrigiert, wozu der Minister in seinem turnhallengroßen Büro wie beiläufig die erpresserischen Argumente hat und kein Abwiegeln zulässt.
Was für eine großartige Szene, an deren Ende Pabst einen Auftrag hat. Er soll den Trivialroman „Die Sternengeige“ verfilmen, weil der Führer den so mag. Geld spielt keine Rolle. Pabst glaubt, einen unpolitischen Film machen zu können, dreht in Prag, ist noch einmal ganz in seinem Element, dem er voller Hingabe bis in die letzte Nuance nachgeht, um doch von der Historie eingeholt zu werden. „Außerhalb des Studios kann man mich zu nichts gebrauchen“, so Pabsts Selbsteinschätzung. Nun aber ist er wieder drin mit bis zu 800 Statisten und will Kunst machen unter den vorgefundenen Umständen, weil sie im Rückblick das einzig Wichtige sein werde.
Der fast abgedrehte Film „Der Fall Molander“ wurde nie ganz fertig und war nie zu sehen. Er ist eines der großen Geheimnisse der deutschen Filmgeschichte. Daniel Kehlmann nimmt diesen Umstand als Steilvorlage für den zweiten Teil seines Romans und läuft zu Höchstform auf, wenn er von den Dreharbeiten, den Irrtümern dabei, den Lichtspielen in dunkelster Zeit und schließlich der Flucht aus Prag erzählt.
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