Eigentlich ist es nur ein langes Wochenende, von dem der amerikanische Schriftsteller Richard Russo in seinem Roman „Mittelalte Männer“ erzählt. Und obwohl keine wirklichen Katastrophen geschehen, benötigt Russo dafür 600 höchst vergnügliche Seiten. Der Titel darf hier als Programm gelten oder anders gesagt: William Henry Devereux jr. allein zu Haus. Und da passiert dann doch so einiges.
Schon beim Abschied warnt ihn seine Frau, die ihren Vater für ein paar Tage besuchen will: „Ich habe so ein komisches Bauchgefühl: Ich weiß nur nicht, ob es mir sagen will, dass ich dich nach meiner Rückkehr im Krankenhaus oder im Gefängnis besuchen muss.“ Dass Hank – so viel sei verraten – es schafft, in beiden zu landen, gehört zu den vielen Überraschungen des Romans.
Richard Russo, Jahrgang 1949, hat diesen Roman über die physischen Gebrechen und psychischen Blessuren mittelalter Männer bereits 1997 veröffentlicht. Ein Rätsel, weshalb er erst jetzt auf Deutsch erscheint. Er ist so frisch und unverbraucht, dass man lediglich an den fehlenden Mobiltelefonen merkt, dass er schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat.
Männliche Befindlichkeit jedenfalls erscheint hier völlig zeitenthoben. Im Mittelpunkt steht der knapp fünfzig Jahre alte Hank, wie Russos Ich-Erzähler und Hauptfigur genannt wird, der wie schon sein Vater, der renommierte Literaturwissenschaftler William Henry Devereux sen., Anglistikprofessor ist und interimistischer Fachbereichsleiter an einer kleinen Universität in Railton, Pennsylvania. Er hat zwei erwachsene Töchter, führt eine glückliche Ehe mit Lily und hat in jungen Jahren einen Roman veröffentlicht, der wohlwollend besprochen wurde. Gegenwind erhält er allerdings von seinen Kollegen, die meisten von ihnen wie er seit über 20 Jahren Mitglieder des Fachbereichs Anglistik.
Sparzwänge schränken ein
Es gibt Stimmen, die ihn als Leiter absetzen wollen, und es kursieren Gerüchte über Listen an jedem Fachbereich, auf denen jene Namen stehen, die aus Sparzwängen ihrer Posten enthoben werden sollen. Also steht auch Hank im Verdacht, eine solche Liste verfertigt zu haben. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage durch den Roman und sorgt für Animositäten, gar Feindschaften und gelegentliche Fraternisierungen. Und recht groteske Szenen.
Aber viel wichtiger ist Russo die breitgefächerte Gefühlsskala eines Mannes im mittleren Alter: die Beunruhigung über körperliche Beschwerden, insbesondere beim Pinkeln, die neu entflammte Sorge um die erwachsenen Töchter und deren Partner, die Überlegungen darüber, was die Zukunft noch bereithält, die ganz banalen Fragen über Liebe und Ehe, über Verliebtheit und Treue, über Lebensziele, Hoffnungen und Wünsche. „Andere Menschen schließen Frieden mit dem, der sie sind, was aus ihnen geworden ist. Warum kann ich das nicht?“ Dieser Frage ist Russo und mit ihm sein Held mit abgründigem Humor hinterher, mit Hintersinn und großer Menschenliebe. Dabei scheut er weder Peinlichkeit noch Sarkasmus, weder Sentimentalität noch Komik. Und alles zur Erheiterung und Unterhaltung von Leserin und Leser.
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